„Ich kann nicht mehr!“, schrie ich und sackte zusammen. Betroffen und hilflos stand meine Mutter daneben. „Wenn ich dir doch nur helfen könnte.“, murmelte sie. Unzählige Therapiestunden hatte ich hinter mir, Klinikaufenthalte, Psychopharmaka und vieles mehr. Doch den Alltag zu stemmen, wieder ins Leben zu finden und „irgendwie klarkommen“ – Das ist eine tägliche Mammutaufgabe. Warum ich trotzdem nie aufgegeben habe und was mir geholfen hat, erfährst du in diesem Bericht.
Wenn du selbst von psychischen Leiden betroffen bist, findest du am Ende des Artikels mögliche, hilfreiche Hilfsangebote.
Wollen und nicht können
An unzähligen Tagen wachte ich morgens auf, noch benebelt von den Medikamenten und wankte schlaftrunken ins Badezimmer. „Kann denn der Tag nicht schon vorbei sein?“, lamentierte ich. Mein Leben erschien mir schwer wie ein Felsbrocken, dessen Wände unbesteigbar waren. Mal rasten meine Gedanken von einem zum anderen, dann fühlte ich mich leer wie in einem Vakuum. Ich kam mir lebensunfähig vor. „Ich bin nicht fürs Leben gemacht.“, wiederholte ich stets. Ich beobachtete andere Menschen beim Leben und verstand nicht, warum ich keinen Platz in dieser großen, weiten Welt fand. „Nie ankommen, nie da sein, nie richtig sein, nie gewollt sein, nie zur Ruhe kommen.“ Das waren meine Lebensmottos.
Umdenken
Mit der Zeit löste ich mich von der Überzeugung, lebensunfähig zu sein und verabschiedete mich von einer abstrakten Lebensvorstellung. Bisher drehte ich mich um „das Leben“ und „was man im Leben erreichen sollte“. Doch dann ging es allmählich um mein Leben. Wie wollte ich das gestalten? Und welche Ressourcen standen mir zu Verfügung? Natürlich waren diese in depressiven Phasen stark verdeckt und oft nicht zugänglich. Und obwohl ich nach wie vor während einer Depression überzeugt war, dass sie nie enden würde, konnte ich zum Beispiel auf Karteikarten zurückgreifen, wo ich meine Ressourcen vermerkt hatte.
Schließlich konzentrierte ich mich mehr auf Therapie-Werkzeuge und probierte diese aus. Dafür musste ich aber weitere Grundüberzeugungen loslassen. „Eigentlich sollte ich in der Uni sein und mich darauf konzentrieren.“ „Nun sitze ich in einer Klinik fest und sollte eigentlich lernen.“ „Mir wird es eh nie besser gehen.“ Ich war leider derart erkrankt, sodass ich mein Studium nicht fortführen konnte und erst einmal eine Langzeitmaßnahme absolvierte, in der ich in einem geschützten Rahmen eine Therapie und später eine Ausbildung machte.
Lebensträume sind Schäume
Ist mein Leben sinnlos geworden, weil ich meine bisherigen Lebenspläne nicht realisieren konnte? Emotional hätte ich dem zugestimmt. Ich war enttäuscht und frustriert, dass ich im Moment der Berufsfindung und „in den besten Jahren“ erkrankt war. Ich fühlte mich ausgeknockt und „vom Leben betrogen“. Als hätte man grundlegend ein Recht auf ein schmerzfreies, gesundes und stabiles Leben. Ich habe bei meiner Geburt leider keinen Garantieschein dafür bekommen. „Mach nun das Beste daraus.“, tönte der gut gemeinte und oft wiederholte Ratschlag. Ich versuchte es zumindest. So raffte ich mich immer wieder auf – einmal, in der Hoffnung, dass „alles besser wird“, ein anderes Mal, um andere nicht zu enttäuschen „Ja, ich strenge mich doch an.“, oder um deren Erwartungen gerecht zu werden „Ja, der Klinikaufenthalt hat etwas gebracht.“
Was ich aufgab
Den Motivations-Spruch „Gib niemals auf.“ betrachte ich differenziert. Zum einen habe ich Etliches aufgegeben: Die Sicherheit, mich auf eine stabile Psyche verlassen zu können; den Druck, schnell gesund zu werden; eine berufliche Karriere hinzulegen. Letzteres gab ich auf, weil meine Belastbarkeit nicht mehr ausreichend war und eine chronische Schmerzerkrankung dazukam. Aber je mehr von meinen einst vermeintlichen Sicherheiten wegbröckelte und was ich dachte „erreichen und beweisen zu müssen“, fühlte ich mich freier. Ich startete einige Experimente, probierte mich aus, wechselte den Wohnort, begann neue Freundschaften und gestand mir vor allem das „Fehler machen dürfen“ ein.
Was mich im Leben gehalten hat
Das war vermutlich der Glaube einiger Menschen in meinem Umfeld, die an meiner Genesung festhielten. Auch half mir der bewusste Blick auf die Glücksmomente, die mir in meinem Leben geschenkt wurden. Und letztlich ist alles eine Entscheidung: Irgendwann kommt der Punkt im Leben mit psychischen Erkrankungen, an dem man eine grundsätzliche Entscheidung treffen muss. Wer immer zwischen Leben und Tod schwankt, verbraucht sehr viel Energie dafür. Ich habe mir vorgenommen: „Ich bleibe im Leben und werde nun alles dafür tun, dass es schöner, besser und echter wird.“ Das ist bis heute meine Lebensreise und ich habe die Entscheidung für mein Leben nie bereut, obwohl ich sie mir in jeder weiteren Krise erneut bewusst mache.
Ankermomente
Gerade in depressiven Momenten scheint alles grau oder schwarz zu sein. Einstige Dankbarkeitsmomente sind für mich nicht greifbar und die Lebenszeit noch zu lange, um sie herumzukriegen. Ich habe oft innerlich geschrien: „Ich schaffe meine Lebenszeit nicht mehr. Ich halte das nicht mehr aus!“ Da helfen mir bestimmte Strategien, wie zum Beispiel einen Anker aufzuhängen, an dem ich besonders schöne Momente notiere; Lob, das ich bekam oder Worte, denen ich Glauben schenken will. Anker können unser Lebensboot in den Stürmen sicher am Boden festhalten und wenn das Wetter wieder besser wird oder wir weiterfahren wollen, ziehen wir sie wieder ein.

Ein mit bunten Schnipseln gebastelter Anker hängt in der Mitte einer Pinnwand. Zettel mit verschiedenen Sprüchen sind angepinnt.
Bucket Liste
Gerade, wenn bei mir lebensmüde Gedanken aufkommen, ist es für mich notwendig, davor einen Krisenplan aufgestellt zu haben. Dieser beinhaltet eine Kontaktliste, Notfallnummern und einen Notfallkoffer mit Dingen, die mir zur Regulation dienlich sind. Mir hilft es eine Bucket Liste zu haben, die meine größten Ressourcen beinhaltet, was ich gerne tue, warum ich gerne auf der Welt bin und was ich meiner Nachwelt hinterlassen möchte.
Mit welchem und sei es noch so kleinen Beitrag möchte ich unsere Welt ein wenig bunter, schöner, besser und freudiger hinterlassen? Erst neulich berichtete mir eine Bekannte in ihrer langen Ein mit bunten Schnipseln gebastelter Anker hängt in der Mitte einer Pinnwand. Zettel mit verschiedenen Sprüchen sind angepinnt.Krankheitsgeschichte, dass sie nun einen Genesungsweg für sich gefunden habe und Menschen sich gerne mit ihr umgeben, weil sie so anziehend wirke. Was für eine wunderbare Vorstellung und ein herrliches Lebensziel. Ich möchte auch für meine Umgebung so ein Mensch sein, mit dem man gerne zusammen ist. Und das ist für mich möglich trotz oder gerade wegen meiner psychischen Erkrankung. Oft bemerke ich in mir viel Empathie, weil ich bestimmte Gedanken und Gefühle anderer nachempfinden kann.
Ich brauche dringend mehr Ordnung und eine Struktur

Drei gebastelte Siebe liegen auf einem goldenen Topf. Verschiedene Textschnipsel mit Glaubenssätzen umgeben die Siebe.
Ich hatte lange einen wirren Gehirnnebel in meinem Kopf und war unfähig, klare Verhaltensmuster bei mir zu erkennen. Nach der Lektüre von „Die Weisheit des Herzens“ von Raphael M. Bonelli bastelte ich mir drei Siebe. Diese nutze ich immer, wenn mein Kopf fast platzt vor anstrengenden Gedanken und Gefühlen. Ich filtere sie durch drei Siebe: „Ist das schön? Ist das wahr? Ist das gut?“ Nur, was diese drei Fragen mit einem klaren Ja beantwortet, gelangt in mein goldenes Töpflein. Meistens scheiden bei mir Gedanken in dem Sieb „Ist das wahr?“ aus. Ich erkenne wieder einmal, dass meine Gefühle nicht auf Tatsachen beruhen, sondern wie ich etwas interpretiert habe. Ich frage schneller bei Personen nach: „Habe ich das richtig verstanden? Was meintest du konkret damit?“ Es ist meine Art, mich mit der Realität zu konfrontieren, die mir hilft, mehr Ordnung und Klarheit zu erleben und Grübelfallen zu vermeiden.
Was mich am meisten gelähmt hat…

Ein großer, grauer Stein liegt neben einem Steinhaufen, der aus mehreren bunten Steinen besteht. Vom Gewicht her wiegen sie ungefähr gleich.
Ich bekam bei einem Psychiater zunächst eine Diagnose, später gesellten sich noch einige in weiteren Kliniken dazu. Ich sah einen Berg an Problemen und war unfähig, sie zu lösen. Mensch, da lag ein großer Stein in meinem Leben und meine Beine waren schwer wie Blei. In diesem Moment war es für mich unheimlich schwer, meinen Lebensmut nicht zu verlieren. Daher war für mich retrospektiv relevant zu erkennen, dass dieser große Stein in Wirklichkeit aus vielen kleinen Steinen bestand. Ich entschied mich, meinen Blick von diesem großen, grauen, angsteinflößenden Stein abzuwenden und mich auf die Suche nach den kleinen Steinen zu machen. Diese entdeckte ich nach und nach, konnte den einen beim Namen nennen, während ein anderer geparkt werden musste. „Der ist noch nicht dran. Das muss warten.“ Da liegen nicht nur Steine auf meinem Lebensweg, sondern auch einige noch nicht geknackte Nüsse. Aber ich bin sehr gespannt, welche Erkenntnisse ich noch gewinnen werde und mit welcher Kreativität ich Schwierigkeiten überwinde oder integriere.

Ein großer, grauer Stein liegt neben einem Weg aus mehreren kleinen Steinen.
Experte in eigener Sache werden
Schließlich war das Wichtigste für mich, anzunehmen, dass ich da sein darf mit meinen vielen Baustellen, Herausforderungen und Überwindungskünsten. So darf ich vor allem Expertin in eigener Sache werden. Mir haben einige Leute, auch Therapeuten, aufzeigen wollen, wie ich anders denken soll. Da habe ich immer abgeblockt. „Nimm mich an die Hand, lass mich meinen eigenen Weg finden. Hilf mir, mich kennen zu lernen.“ Das sind nun meine Lebensmottos geworden und wie ich anderen Menschen begegne.
Hast du psychische Krisen überwunden? Was hat dir geholfen, nicht aufzugeben?
Mögliche Hilfsangebote:
- 116117.de – Psychotherapie
- TelefonSeelsorge® Deutschland | Sorgen kann man teilen. 0800/1110111 · 0800/1110222 · 116123. Ihr Anruf ist kostenfrei.
- Kostenfreie Telefonberatung für Kinder und Jugendliche
- Online-Beratung für suizidgefährdete junge Menschen [U25]
- Kliniken für Psychiatrie, Psychosomatik, ambulante Psychotherapie, Arbeit mit einem Genesungsbegleiter (Ex-In Genesungsbegleitung), lokale Hilfsangebote






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Wunderbar ehrlich, wie du schreibst. Klug, praktisch und sympathisch. Ein Mensch zum herzhaften und einer, den ich gerne kennenlernen würde.