Johannes Müller ist für zwei bis drei Wochen im Jahr Konfliktfotograf. Er war bereits in Afghanistan, im Irak und in Kurdistan. Mit f1rstlife hat er über seine Motivation, Erlebnisse, Mut und Menschlichkeit gesprochen.
„Wenn es Dich so sehr interessiert: Warum machst Du es nicht einfach selber“, hat sich Johannes Müller 2010 gefragt. Dabei geht es aber nicht darum, selbst einen Bootsführerschein zu machen oder Tierzüchter zu werden, sondern in die gefährlichsten Krisengebiete der Welt zu reisen, um vor Ort Fotos zu machen.
Schon seit dem Gemeinschaftskundeunterricht in der neunten Klasse interessiert sich der Fotograf für die militärischen und wirtschaftlichen Konflikte im Nahen Osten. Doch nicht nur die Auseinandersetzungen der verschiedenen Gruppen fesselten ihn. Je intensiver er sich mit den Krisengebieten auseinandersetzte, umso mehr inspirierten und faszinierten ihn diejenigen Menschen, die es ihm ermöglichten, an den Geschehen teilzuhaben: Kriegsberichterstatter und Kriegsfotografen.
Einer von ihnen war Tim Hetherington, unter anderem der Regisseur von „Restrepo“, einer Dokumentation über eine Einheit der US-Army in einem abgelegenen und hart umkämpften Tal in Afghanistan. Nachdem Johannes Müller diese Dokumentation geschaut hatte, stand sein Entschluss, Konfliktfotograf zu werden, endgültig fest. Wie gefährlich sein Vorhaben war, zeigt allein die Tatsache, dass der Regisseur ein Jahr nach der Premiere des Films in einem Straßengefecht umkam – dasselbe Jahr, in dem Johannes Müller seine erste Reise an die Front antrat.
Obgleich er nebenberuflich Fotograf ist, verlief die erste Akkreditierung bei der NATO natürlich alles andere als einfach. „Ich war ein unbeschriebenes Blatt ohne Medienkontakte“, beschreibt Müller seine Ausgangssituation. Viele Telefonate, direkte Kontakte an die Front und eine gewisse Hartnäckigkeit führten dann aber letzten Endes zu seinem ersten „Embed“. Unter „Embedded Journalist“ versteht man einen Reporter, der, eingebettet in eine militärische Einheit, von der Front berichtet.
Statt Erholung Flüge an die Front
Hauptberuflich arbeitet der 41-Jährige in der Kommunikationsabteilung eines großen Industrieunternehmens. In den Ferien erholt er sich jedoch nicht von seinem Beruf. Statt eines Wellnessurlaubs bucht er Flüge in Fluchtregionen, um Menschen kennenzulernen, die sich gegen übermächtige Militärgewalten erheben – ein Grund, weshalb sein erstes Ziel Afghanistan hieß. „Afghanistan galt damals als Land der Fanatiker. Ich wollte wissen, wie und vor allem wer die wirkliche Bevölkerung ist. Ich traf nur wenige fanatische Menschen. Die überwältigende Mehrheit war liebevoll, interessiert und über alle Maßen gastfreundlich. Das hat mich tief beeindruckt“, erklärt Johannes Müller.
Auf seinen Reisen nach Kurdistan – ein paar Jahre später – war der Manager jedes Mal ergriffen von den mutigen Peschmerga-Kämpfern, die sich bereits gegen die Terroristen des Islamischen Staates stellten, als der Rest der Welt noch darüber rätselte, wer oder was der IS überhaupt ist. Das friedliche Zusammenleben verschiedenster Religionen begeisterte ihn ebenso. Als „ungewöhnlich liberal“ beschreibt er Kurdistan, das er die Anerkennung als souveränen Staat so sehr wünscht. Kirchen, Ezidentempel und Moscheen seien quasi Tür an Tür gebaut, beschreibt der Fotograf. In Kurdistan gibt es ein unbändiges Bestreben nach sozialer und wirtschaftlicher Modernisierung. Ein Grund, weshalb die Fotostrecke über seine letzte Reise „Traces of hope“ auf Deutsch: „Spuren der Hoffnung“ heißt.
Am Abend leidet er unter „Adrenalinkater“
Allerdings reist Johannes Müller auch in Gebiete, wo man vergebens nach Hoffnung sucht. „Unter Beschuss zu sein – sei es von Scharfschützen oder Mörsern – ist eine furchtbare Erfahrung.“ Der Fotograf befindet sich oft an der Front. Das bedeutet auch, dass Granaten neben ihm explodieren. „Das ist einfach wahnsinnig intensiv und einschüchternd“, beschreibt er. Für den Moment sei das durch den Adrenalinschub irgendwie aushaltbar, verdrängbar. Aber am Abend nach derartigen Grenzerfahrungen merke er die Auswirkungen umso stärker. Er kann tage- oder gar wochenlang nicht richtig schlafen und hat permanent Kopfschmerzen. „Adrenalinkater“ nennt er das – auf den er gut verzichten könne. Trotzdem macht er weiter, nicht aus Adrenalin- oder Geltungssucht. Das sind Vorwürfe, mit denen er sich manchmal konfrontiert sieht. Er macht vielmehr weiter, um den Krieg, aber auch die Hoffnung auf Frieden für die Menschen fassbarer zu machen.
Hoffnung auf Frieden
Er möchte die Menschen über den Krieg und dessen Folgen aufklären. „Wenn ich in die Augen der Flüchtlinge sehe und die Schrecken des Krieges erkenne, dann ist das einerseits traurig und verstörend, aber es ist Motivation zugleich. Mir wird dann bewusst: Es ist richtig und wichtig, dass man etwas tut“, beschreibt Johannes Müller.
Durch sein Engagement vor Ort und in den Flüchtlingslagern bemerkte der Fotograf allerdings auch: „Es gibt kein Aber. Wir als deutsche Gesellschaft stehen in der Verantwortung, Flüchtlinge aufzunehmen, zu helfen. Auch wenn das sicherlich deutlich geordneter und – im europäischen Kontext – gerechter ablaufen muss als in den letzten Jahren.“ Auf seinen Reise realisierte er: „Barmherzigkeit und Nächstenliebe sind ein sozialer Gewinn. Wenn hilfsbereite Menschen als naiv und dumm bezeichnet werden, läuft in unsere Gesellschaft etwas falsch.“ Er habe das Gefühl, die Menschen seien kälter und verrohter gegenüber Hilfesuchenden geworden.
Menschen im Krieg ein Gesicht geben
Aber auch das spornt Johannes Müller an. Mit seinen Fotografien möchte er Empathie gegenüber den Flüchtlingen wecken und ein Bewusstsein für ihre prekäre Lage schaffen. Trotzdem ist seine Arbeit nur ein Tropfen auf den heißen Stein, das sei ihm bewusst. Kriege, Gewalt und Diskriminierung kann er durch seine Fotografien nicht stoppen, er kann den Opfern lediglich ein Gesicht geben. „Aber wenn auch nur ein Besucher meiner Ausstellungen sich nachträglich entscheidet, sich aktiv für Flüchtlinge einzusetzen, dann hat sich meine Arbeit gelohnt.“
Vermerk: Der gesamte Gewinn der Fotos geht an Hilfsorganisationen. Alle Bilder findet ihr unter: https://jomueller-photography.com/
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