Seit dem Hype um Pokémon GO ist sie wieder an der medialen Oberfläche. Doch für viele Menschen ist sie alltäglicher Begleiter und manche machen sie sich sogar zum Beruf. Die Rede ist von der japanischen Popkultur, ihren medialen Erzeugnisse und Trends. f1rstlife sprach mit Désirée Richter, Sängerin der Sailor-Moon-Band „Harmoonics“ über ihre Liebe zu Japan und das Verhältnis von moderner und traditioneller japanischer Kultur.

Mangas, Cosplay, Videogames – japanische Popkultur boomt in Europa. Sie ist zum Kult geworden. Was fasziniert dich daran?
Die Faszination, die für mich von den drei genannten Phänomenen ausgeht, ist sehr unterschiedlicher Natur. Für Videospiele habe ich mich seit frühester Kindheit interessiert. Im Alter von zehn Jahren ist mir dann aufgefallen, dass alle meine Favoriten dieses Genres aus Japan kamen. Ich war ein riesiger Fan von gut erzählten Geschichten, die mich eintauchen ließen in unbekannte Welten, mich facettenreiche Charaktere spielen ließen, mit einer liebevoll erzählten Story mein Herz berührten und das gesamte Setting mit wunderschöner Musik untermalten. Japanische Videospiele, insbesondere die ersten Role Play Games (RPGs), waren in den 1990er Jahren die Vorreiter auf diesem Gebiet.

Die japanischen Manga haben hingegen eine sehr weit zurückreichende Geschichte. Mittlerweile gibt es in Japan eine Fülle an Comicheften, die unsere Vorstellungen sprengen. Für jede Altersgruppe, jedes Thema gibt es gezeichnete Geschichten mit Figuren, die unterschiedlicher nicht sein könnten. Wer heutzutage denkt, Manga sei ein festgelegter Stil mit püppchenhaften Charakteren, die alle bunte Haare und große Augen haben, irrt sich gewaltig. Die Faszination liegt gerade in der grenzenlosen Auswahl an Themen und Genres, die geboten werden.
Ich persönlich habe als Teenager mit einem „Klassiker“ angefangen: Ranma ½ von Rumiko Takahashi. Eine Geschichte über einen jungen Mann, der bei einem Besuch verfluchter Quellen in eine solche fällt und sich fortan bei Berührung mit Wasser in ein Mädchen verwandelt. Zeitnah lernt er dann seine ihm versprochene Verlobte kennen, die zunächst nichts von seinem Geheimnis erfahren soll. Es ist die Art und Weise, wie diese Geschichte erzählt wird. Die Versteckspiele, der Humor, die Momente in denen man sich denkt: „Schlimmer kann es doch gar nicht mehr werden… oder doch?!“ Das liebe ich an Manga.

Was ist Cosplay genau und was bedeutet es dir?
Cosplay bezeichnet einen Verkleidungstrend, der in den 1980er Jahren in Japan begonnen hat. Jugendliche und junge Erwachsene treffen sich mittlerweile auf großen Veranstaltungen und Messen zum gemeinsamen Cosplay. Es werden die Charaktere aus Anime (animierte Manga), Videospielen, Filmen und auch Manga als Vorlage genommen. Für die Kostüme braucht man handwerkliches Geschick: Über Rüstungsbau aus thermoplastischen Platten, Schneiderei-Fähigkeiten, das Zusammennähen von Haartressen für die perfekte Perücke bis hin zur Ganzkörperschminke ist wirklich viel Know-How gefragt, um dem Original so nah wie möglich zu kommen.
Die Faszination des Cosplay liegt für mich vor allem in der Möglichkeit, die eigene Kreativität so umfangreich zu nutzen, sodass ein unmöglich erscheinendes Konstrukt aus Kostümideen Realität wird. Das hat mir persönlich eine wichtige Überzeugung für das Leben vermittelt: Es gibt nicht immer einen allgemeingültigen Plan für die Probleme im Leben. Aber es gibt einen Weg, den ich mir selber machen kann, ihn mir quasi aus den Fingern ziehen kann.
Kritiker unterstellen japanischer Popkultur nicht selten, sie sei oberflächlich, kindisch und kommerzialisiert – ist da was dran?
Die Unterhaltungs- und Medienlandschaft Japans ist enorm. Und vieles bleibt uns dabei verborgen. Auch wenn manche ihre Auswüchse kritisieren, sollte man sie nicht pauschal verurteilen. Gerade wegen der Vielfalt und der Kreativität japanischer Medien und Produkte sind sie schon nicht „oberflächlich“. Logischerweise gibt es auch einen gewaltigen Markt für Kinder und Jugendliche mit entsprechend passenden Produkten. Aber die japanische Popkultur per se als kindisch zu bezeichnen, ist nicht richtig. Ein gutes Beispiel bietet für mich der zehnte Teil der äußerst beliebten Videospielreihe Final Fantasy:

Der Spieler taucht in eine fiktive Welt namens Spira ein, die von einem Wesens namens „Sin“ heimgesucht wird. Zur Rettung der Welt werden junge, gläubige Menschen mit ihren Freunden als Wächter auf eine Pilgerreise entsandt, um magische Fähigkeiten zu erlernen und sich dem Koloss zu stellen. Der Spieler muss sich im Verlauf des Spiels immer wieder die Frage stellen: „Wann ist es an der Zeit, Gegebenheiten loszulassen und die Ordnung in Frage zu stellen? Wo sind die Grenzen? Was kann ein einzelner Mensch tun, um sinnloses Leid zu verhindern?“ Das Spiel ist für mich ein gutes Beispiel, dass japanische Populärkultur, auch in einer noch so fiktiven Weise, sehr tiefgründig sein kann.
Hat diese moderne japanische Popkultur denn eigentlich noch etwas mit der traditionellen japanischen Kultur zu tun?
Dazu muss ich sagen, dass das Begriffepaar „Tradition und Moderne“ im Japankontext immer mit Vorsicht zu verwenden ist. Das liegt vor allem daran, dass die Modernisierung in Japan sehr abrupt Einzug gehalten hat und drastische Veränderungen in jeder Ecke des Landes hinterlassen hat. Viele „traditionelle“ Künste oder Praktiken wurzeln daher geschichtlich gar nicht mal so tief, wie man vermuten würde. Schlussendlich bedeutet das aber auch, dass die heutige Populärkultur in Japan sich genau mit diesem Hintergrund auch entwickelt und verändert hat.
Viele landestypische Einflüsse (ich möchte nicht Traditionen sagen) sind jedoch auch in Manga, Anime und Videospielen zu entdecken und erzählen dem Zuschauer mehr über die Art und Weise, in Japan zu leben und das Land zu reflektieren. Sie machen einen ganz besonderen Reiz aus und schon so mancher Ritterfan ist dadurch auf den Geschmack für Samurai-Geschichten gekommen. Im Anime „Inuyasha“ bekommt man beispielsweise einen Einblick in das Japan des 15./16. Jahrhunderts. Es wundert mich daher kaum, dass viele meiner Kommilitonen im Studienfach „Modernes Japan“ an der Heinrich-Heine-Universität ihr erstes Interesse für Japan durch Anime und Manga entdecken konnten.

Du selbst bist Sängerin in einer Anime-Band, hast ein Album veröffentlicht und gibst Konzerte in Japan. Was hast du noch vor?
Aktuell stehe ich an einem interessanten Punkt in meinem Leben. Ich habe dieses Jahr meinen Bachelor of Arts erfolgreich abgeschlossen und einen Plattenvertrag in Japan erhalten. Ich habe viele Jahre auf den deutschen Anime-/Manga-Conventionbühnen gestanden und bin glücklich, dass ich so viele wertvolle Erfahrungen machen durfte und tolle Menschen kennenlernen konnte. Mit so viel Rückhalt geht es nun in einen neuen Abschnitt meines Lebens. 2016 legen meine Band „Harmoonics“ und ich den Grundstein für eine Zukunft in der Musikbranche.
Wir haben einen Traum: Endlich wieder deutsche Anime und Game Songs produzieren, die den Geist der Zeit treffen, aber auch aus den Herzen der Japanliebhaber in Deutschland sprechen. Mein Beitrag dazu wird natürlich meine Stimme sein, aber mir liegt auch sehr viel daran, die Botschaft der Songs aus dem Japanischen so nah wie möglich zu transferieren. Zeitnah möchte ich außerdem meinen Master für Modernes Japan beginnen und noch tiefer in den Japandiskurs eintauchen. Ich liebe es, Studium, Job und meine Leidenschaft derartig zu verbinden.
Warum eigentlich gerade Sailor Moon, ist das nicht nur was für Mädchen?
„Sailor Moon – Das Mädchen mit den Zauberkräften“ war meine große Leidenschaft als kleines Mädchen. Ich habe die Abenteuer der Kriegerin im Matrosenkleid täglich nach der Schule im Fernsehen verfolgt, mit meinen Freundinnen auf dem Schulhof die Geschichte nachgespielt und begeistert kreative Projekte rund um die Heldinnen der Serie gestartet. Der Anime hat 200 Folgen, die ich auf VHS aufgenommen habe und mir später immer wieder gerne angesehen habe.
Dabei fiel mir auf, dass neben den kindischen Witzen auch sehr ernste, erwachsene Diskurse, wie beispielsweise Work-Life-Balance oder Homosexualität, in der Serie thematisiert werden. Sailor Moon spricht viele Altersgruppen beider Geschlechter an und verzaubert durch das Aufbrechen von klassischen Rollen. Hier gewinnt nicht immer, wer am schlausten oder reichsten ist. Als Mitglied der Band „Harmoonics“ singen wir die klassischen Sailor Moon Songs, die wir im moderneren Sound aufführen und so das Feeling von früher auf die Bühne bringen.
Zieht es dich irgendwann ganz nach Japan?
2012 bis 2013 habe ich bereits ein Jahr in Tokyo gelebt und habe mir seit meiner Rückkehr das Ziel gesetzt, nach Japan zu gehen und dort für einige Jahre zu arbeiten. Aktuell bin ich bei einem japanischen Plattenlabel als Sängerin unter Vertrag und habe gerade meine dritte CD in Japan veröffentlicht. Für die Arbeit stehe ich derzeit nur online mit meinem Label in Kontakt, aber wir verstehen uns sehr gut und ich bin froh, ein gutes Team an meiner Seite zu wissen. Der Umzug nach Japan wäre ein sinnvoller Schritt für ein noch besseres Arbeitsverhältnis und um noch mehr Erfahrungen zu machen.
Wenn mich Leute fragen, warum ich denn unbedingt nach Japan will, dann waren sie meist selber noch nicht dort und können die Faszination nur schwer nachvollziehen. Japan begeistert schon durch simple Handlungsweisen, die beim Rest der Welt ganz anders gehandhabt werden. Ich gehe gerne mit offenen Augen und Geist auf fremde Dinge zu und liebe das Entdecken. Japan hat mich in diesem Punkt einfach noch nie enttäuscht. Es ist immer eine Entdeckungstour wert!
Schreibe einen Kommentar