Im Frühling des vergangenen Jahres begab sich Deutschland das erste Mal in einen Lockdown. Nach einem entspannten Sommer kam der Rückfall, seit ein paar Wochen müssen wir wieder in unseren eigenen vier Wänden bleiben. Warum hat sich das im März besser angefühlt? Ein Kommentar.
Promi-Virologe Christian Drosten ahnte es bereits im April 2020: Während eines Interviews mit einem österreichischen TV-Sender prognostizierte er nicht nur einen von Lockerungen und niedrigen Fallzahlen geprägten Sommer. Er warnte bereits damals vor „wenig Bevölkerungsimmunität“ und einer „immunologisch naiven Bevölkerung“, mit der wir „in eine Winterwelle“ reinlaufen würden. Gesagt, getan! Nun befinden wir uns in ebendieser zweiten Welle. Wir verbrachten Weihnachten mit so wenig Familienmitgliedern wie nie zuvor und auch in ein hoffentlich besseres neues Jahr 2021 rutschten wir allein oder mit nur wenigen Mitmenschen. Während der ersten Welle konnten sich viele noch gut mit der neuen Situation arrangieren. Jetzt sieht das in großen Teilen der Bevölkerung anders aus. Warum?
Das Gewohnheitstier Mensch?
Der Mensch ist ein Gewohnheitstier. Diese Meinung vertreten nicht wenige. Zumindest taten sie das vor der COVID-19-Pandemie. Seitdem lässt sich ein eher gespaltenes Bild diesbezüglich beobachten. Ja, das Maskentragen in Supermärkten, die Abstandsstriche auf dem Boden, die ehemals peinliche Ellenbogen-Berührung-Begrüßung – all das ist zur Gewohnheit geworden. Die Menschen desinfizieren brav beim Betreten der Läden ihre Hände und schnappen sich für den Kauf von Kaugummis einen Einkaufswagen. Man hinterfragt im öffentlichen Raum nicht mehr, was noch vor einem Jahr undenkbar schien. Und im privaten Raum?
Hier lässt sich, zumindest unter jüngeren Generationen, ein ganz anderes Bild beobachten. Im ersten Lockdown wussten wir, uns noch zu helfen. Die YouTube-Klickzahlen der Online-Work-Outs von Sportskanone Pamela Reif schossen nur so in die Höhe, die monatliche Stammtischrunde wurde in ein Online-Beer-Tasting umgewandelt und jeden Tag wurde fleißig nach den Corona-Fallzahlen gegoogelt, da man immer auf dem aktuellen Stand sein wollte. Dies hat sich im Winter-Lockdown geändert. Durch den aus pandemischer Sicht entspannteren Sommer und die damit in Verbindung stehenden Lockerungen konnten wir uns wieder an ein im Ansatz normales Leben gewöhnen.
Wir saßen mit Freunden in Restaurants oder Bars und wir konnten sogar wieder Großveranstaltungen besuchen, wenn auch in Form von Auto-, Picknick- oder Plexiglasbox-Events. Der Rückschritt jetzt im Winter ist für viele junge, aber auch für ältere Menschen offensichtlich schwieriger zu gehen als noch im März. Das Leben in den eigenen vier Wänden, ein Leben voller virtueller statt echter Kontakte, es ist wohl noch lange nicht zur Gewohnheit geworden.
Das Ungeduldstier Mensch!
Der Hauptunterschied zwischen erstem und zweitem Lockdown, der dazu führt, dass Menschen die jetzige Situation als wesentlich unangenehmer empfinden, liegt also auf der Hand: Der erste Lockdown, er war eben der erste! Die Situation war für uns alle neu. Alle fanden es auf eine gewisse Art und Weise spannend, zu Hause bleiben zu müssen, um die Welt zu retten. Das ist längst vergangen! Niemand hat mehr Spaß an Spieleabenden, Online-Partys, virtuellen Work-Outs, Heimwerker-Projekten und generell daran, dass allem, was man macht und tut, ein „Home-“ vorgestellt werden muss. Auch das an die Intensivkräfte und Krankenpfleger gerichtete Klatschen am Balkon haben wir längst eingestellt. Und das, obwohl es wohl mindestens so angebracht wäre wie noch im vergangenen April.
Wir können uns also aus der Situation keinen Spaß mehr machen. Bitte nicht falsch verstehen: Natürlich ist die Pandemie alles andere als ein Witz und stellt eine gefährliche Krise dar, die Deutschland durch die wohlüberlegten Einschränkungen des öffentlichen Lebens so gut meistert, wie kaum ein anderes Land der Welt. Außerdem lehrte uns die COVID-19-Krise gleichzeitig, dass es kein höheres Gut als unsere Gesundheit gibt und die subjektiv wahrgenommene Langeweile eines Menschen im Lockdown dementsprechend zweitrangig ist. Dennoch konnte man sich das Quarantäne-Leben während der ersten Welle noch wesentlich leichter schönreden als heute. Es scheint so, als wäre der Mensch viel mehr ein Ungedulds- als ein Gewohnheitstier! Bleibt nur zu hoffen, dass das frisch gestartete Jahr 2021 nicht so endet wie sein Vorgänger und wir in möglichst naher Zukunft nicht mehr über Wellen und Quarantänebestimmungen nachdenken müssen…
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