Cannabis ist die am häufigsten konsumierte illegale Droge in Deutschland. Stufenweise werden deren Besitz und Kauf straffrei. Handelt es sich um einen gesellschaftlichen Fortschritt? Ein Gespräch mit Konsumenten.

Ein herbstlicher Tag mitten im Sommer. Ich fahre zu Maurice, einem alten Freund. Wir grillen trotz der Kälte und sein Mitbewohner Benjamin schließt sich an. Maurice fürchtet seine Gesellschaft nicht, dennoch würde er viel lieber woanders wohnen. Maurice ist 21 und hat vor ein paar Jahren eine Cannabisabhängigkeit überwunden. Heutzutage teilt er eine WG in Oldenburg.
Benjamin bietet uns einen Joint an. Maurice zögert nicht, ein paar Züge zu kiffen. Der Joint lässt man herumgehen und bald ist er zu Ende. Ich frage etwas, was meinen Gesprächspartnern möglicherweise nicht gefällt.
Wie oft kifft ihr?
Beide schauen einander an und lachen. „Oft“, sagt Benjamin, „also jeden Tag im letzten Monat.“ Benjamin senkt den Blick, Maurice soll ebenfalls jeden Tag gekifft haben. Er besucht eine Ausbildung und hat kaum Ferien. Um 6 Uhr morgens fährt er mit dem Auto auf dem niedersächsischen Land bis zur Ausbildungsstelle. Erst abends ist er wieder zu Hause.
Was haltet ihr vom Gras?
Benjamin denkt einen Augenblick nach. „Für mich ist es eher ein Hilfsmittel“, sagt er schließlich. Wie er mir später verraten würde, zog er nach Oldenburg „der Liebe wegen“ aber vor einem Monat haben er und seine Freundin entschieden, getrennte Wege zu gehen. Maurice nickt zustimmend, schweigsam. Wir drei stehen am Rande des Grills und wärmen uns auf.
Ich kenne Maurice seit etwa vier Jahren. Als er noch von Cannabis abhängig war, wohnte er in Magdeburg und strebte ein Informatikstudium an, das er nach einem Semester abbrechen würde. Es war eine höchst schwierige Zeit für ihn gewesen und Maurice hatte wiederkehrend Suizidgedanken.
Gibt es dazu Alternativen?
„Tanzen“, sagt Benjamin ohne Zögerung. Er liebt Techno. Er erzählt mir, dass es verschiedene Tanzstile gibt, Techno zu tanzen. Dabei kenne sich Benjamin ganz gut aus und Tanzen habe für ihn einen ähnlichen Effekt wie Kiffen.
Maurice fährt alle drei Monate zu seiner Mutter und seiner Schwester. Ich war auch einmal zu Besuch bei ihnen. Maurice kann bei der Familie leicht nüchtern bleiben. Zusammen besuchen sie häufig kulturelle Veranstaltungen. Außerdem habe er heutzutage einen Therapeuten und eine gesündere Einstellung gegenüber Kiffen.
Was denkt ihr über die Legalisierung?
„Es wäre gut für den Staat, ein riesiges Geschäft“, erwidert Maurice. Es war für ihn in der neuen Stadt deutlich schwieriger, seine Abhängigkeit fortzusetzen, denn er kannte keine Dealer. Neulich stellte ihm Benjamin seine Verbindungen vor.
Keiner weißt ob es viel leichter wird, nach der Legalisierung an Cannabis zu kommen. Keiner weißt, ob sie Nichtkonsumenten auf Gras ziehen könnte. Offenbar schließen jetzt zahlreiche Dispensaries in den USA, weil die Nachfrage ihren verfügbaren Beständen nicht einholen kann.
Gedanken des Verfassers
Früher habe ich auch sehr gerne gekifft. Ich befand mich damals in einem prekären geistlichen Zustand, fühlte mich einsam und besorgt über die Zukunft. Gras war für mich ein maskiertes Entfliehen.
Abhängige spüren kaum die Effekte ihrer Substanzen. Nach häufigem Ausnutzen verstärkt man eine gewisse Toleranz. Der nüchterne Alltag wird unerträglich, weil es Gras fehlt, Alkohol, Zigaretten, oder etwa das Pornosschauen, Zocken, usw. Wenn man sich die jeweilige Aktivität gönnt, verschwindet momentan das Unwohlsein. Die Abhängigkeit wird zum Baustein, auf dem alle anderen Gewohnheiten aufgebaut werden. Außerdem machen etliche Substanzen nicht nur psychisch abhängig, sondern auch physisch.
Eine süchtige Gesellschaft
Bald lässt sich die Notwendigkeit an „Raucherpausen“ spüren, an das „Feierabendbier“. Meines Erachtens bleibt am Ende des Tages die Substanz nur eine schlichte Substanz. Sie ist nicht schuldig. In einer rasch wechselhaften Welt braucht man etwas Festes, man braucht, ja, einen Freund, der immer da ist. Die Legalisierung mag viele Fortschritte mit sich bringen. Aber unsere Gesellschaft ist immer noch geplagt von Einsamkeit, Existenzängsten, Entfremdung und Pessimismus.
Ich unterstütze voll und ganz eine Cannabis-Legalisierung, wenn es nicht nur um weitere Profite geht, wenn Gras nicht nur in das Regal unserer „Hilfsmittel“ gestellt wird, sondern eine nachhaltige Vision der Welt bereichert. Ich musste 2022 etwa sechs Wochen auf einen ersten Termin bei der Therapeutin warten. In Deutschland findet man sonntags leichter Wodka statt Milch.
Was wäre, wenn diese sogenannten Hilfsmittel zur Verfügung sind, aber komplett staubig, weil sie keiner braucht?
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