Verena, 20, lebt den Zero-Waste-Lifestyle. Sie vermeidet in ihrem Alltag die Produktion von Müll jeglicher Art und hinterfragt ihr Verhalten immer wieder aufs Neue: Gibt es eine ressourcenschonendere Alternative? Ein Interview über Nachhaltigkeit, Kreativität und Lebensfreude.

Der durchschnittliche Deutsche produziert im Jahr über 200kg Müll und die Tendenz ist steigend. Verena ist eine der Personen, die diesen Schnitt erheblich senken. Man sieht sie häufig mit ihrem Jutebeutel voll klirrender Einmachgläser einkaufen gehen, meist auf Märkten und in kleineren Geschäften, wo sie Verpackungen zur Wiederverwendung zurückgeben kann und ihre Zutaten verpackungsfrei in ihr Einmachglas abgefüllt werden. Anstelle des to-go-Kaffeebechers hat sie stets ihre eigene, abwaschbare Tasse dabei; den Verpackungsmüll von Pausensnacks vermeidet sie, indem sie ihr eigenes Essen in der Brotdose mitnimmt. Diese kleinen Tricks würden wohl jedem, der seinen Alltag nachhaltiger gestalten möchte, als erstes in den Sinn kommen. Doch denkt man einen Schritt weiter, wird das Ganze etwas komplizierter…
Zero-Waste im Alltag
Der Zero-Waste-Lifestyle beinhaltet zum Beispiel auch, den Verpackungsmüll von Kosmetik und Putzmitteln zu vermeiden. Hier ist Kreativität gefragt. Verena stellt selbst aus wenigen Haushaltsmitteln ihre eigenen Produkte her und lernt dabei immer wieder neue Dinge über die Stoffe, über die wir uns sonst nie Gedanken machen würden. So ergibt ein Gemisch aus Essig, Zitrone und Backpulver ein wunderbares Putzmittel, Nudelwasser eignet sich zum Abwasch und mit Kartoffelschalen lassen sich Waschbecken reinigen – wer hätte das gedacht?
Bezüglich der Hygiene-Artikel ist das Ganze einfacher als erwartet: Ein Deo-Stein ersetzt das Spray- oder Rolldeo, Haar- und Duschseife benötigen keine Plastikverpackung, durch den Ruby Cup fällt selbst bei der Menstruation kein Müll an. Es gibt die Hydrophil-Zahnbürste aus nachwachsendem Bambus sowie Zahnpasta-Tabs, die die Plastiktube überflüssig machen. Die meisten Produkte sind käuflich erwerbbar – man muss sich nur immer wieder fragen: Gibt es eine ressourcenschonendere Variante meines gewohnten Produktes?
Die Philosophie dahinter

Verena geht es darum, die Umwelt zu schützen: „Die Umwelt liegt mir sehr am Herzen, wir Menschen kommen aus der Natur, sie umgibt uns und ist ein Wunder- und der Mensch ist ja letztlich auch Natur!“ Ressourcenschonend zu leben bedeutet für sie daher nicht nur, ihren Müll zu reduzieren. Sie ernährt sich vegan, kauft fair trade und regionale Produkte aus möglichst wenig chemischer und energieaufwändiger Herstellung.
Aber Zero-Waste ist auch eine Kritik an den Wachstumsgedanken, der unsere heutige Gesellschaft dominiert. Es wird produziert und verkauft, um zu konsumieren und wegzuschmeißen. Ein ewiger Kreislauf, der Arbeitsplätze sichert und ständigen Fortschritt erfordert – bis hin zu beinahe lächerlichen technischen Entwicklungen, die niemand braucht, aber jeder kauft. „Der Mensch braucht nicht immer mehr Güter und deshalb mehr Arbeit, sondern mehr Zeit!“ – daran glauben nicht nur Verena, sondern inzwischen auch viele andere Menschen und ökologisch-soziale Unternehmen, die ihren Konsum und ihre Produkten nach neuen Grundsätzen ausrichten.
Die Grenzen von Zero-Waste
Grenzen zum Zero-Waste-Lifestyle stellen sich einerseits im großen Maßstab durch unser von Wirtschaft und Politik gefördertes gesellschaftliches System, andererseits für jeden individuell. Aus politischer Sicht bilden beispielsweise Gesetze wie die Abwrackprämie oder das Verbot an Supermärkte, abgelaufene Lebensmittel zu verschenken, Anreize zu mehr Konsum und dadurch mehr Wirtschaftswachstum, aber auch mehr Verschwendung.
Individuell muss jeder persönlich immer wieder für sich abwiegen, wie ökologisch er leben möchte und inwiefern er sich dafür einschränken möchte. „Wo mache ich mir das Leben vielleicht auch unnötig schwer durch meine Ideale? Wie strikt gehe ich damit um, ohne dogmatisch zu werden? Wie schaffe ich es, offen und tolerant zu bleiben und gleichzeitig öffentlich hinter meinen Idealen zu stehen?“, sind Fragen, die Verena sich immer wieder stellt. „Das Bild vom strengen, verknöcherten Öko hat so gar keine Attraktivität für mich.“
Ihre Lösung ist ein ständiger Kompromiss: Es ist ihr wichtig, ihr Leben zu genießen, ein offener Mensch zu sein und dabei ihre Ideale zu leben. Diesen Spagat kalkuliert sie stets aufs Neue, ihre Ideale passt sie auf jede Situation neu an und versucht dabei, stets die beste Lösung zu finden. Zum Beispiel ist in kleineren Städten das Zero-Waste-Angebot beschränkt. Hier steigt sie auf Großeinkäufe um, um den Verpackungsmüll von vielen kleinen auf einen großen Behälter zu reduzieren. Und wenn sie einmal wirklich gute Wanderstiefel braucht, dann dürfen die auch aus Leder sein.
Ihr Umfeld hat Verena bisher als erstaunlich offen für ihren Lebensstil empfunden. „Meine Mitbewohner haben mit einem gewissen Abstand aber Begeisterung meine Küchenexperimente verfolgt und unser wenig effektives Spülmittel brav benutzt“, erzählt sie mit einem Augenzwinkern. Aber auch kontroverse Gespräche begrüßt sie, „denn wir alle werden gezwungen, uns immer wieder zu reflektieren und unsere alltäglichen Handlungen im größerem Bild zu betrachten“.
How to get started
Zero-Waste-Anfängern rät Verena, klein anzufangen und sich zunächst die Basics der Einmachgläser und Hygieneartikel zuzulegen. Einmal gekauft, erfordern sie kaum eine Umstellung mehr. Für weitere Tipps empfiehlt sie die inzwischen zahlreichen Zero-Waste-Blogs, darunter auch ihr eigener Blog namens Maastricht ways to zero waste, welcher praktische und regionale Tipps bietet. Auf dem Online-Portal utopia.de findet sie außerdem immer wieder neue Anregungen zum Thema Nachhaltigkeit. Der Bestseller Zero Waste Home von Bea Johnson hält die wesentlichen Zero-Waste-Grundlagen in der Printversion fest und gehört wohl ins Bücherregal eines jeden Zero-Waste-Anfängers.
Am wichtigsten jedoch ist Verena, die Sache positiv anzugehen, mit „Freude an simplen Dingen, an Minimalismus, an Zeit für sich, Menschen, Gedanken und Natur anstelle von Konsum und Zeitvertreib“. Sich keine dogmatischen Regeln zu setzen, sondern frei und offen auszuprobieren und merken, was einem wirklich wichtig ist. Denn „das Leben ist ein Spielplatz, also auf geht’s zur Wippe –Lebensfreude und Ökologie auszubalancieren“!
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