Seit Aufkommen der Letzten Generation sehen sich Klimaaktivist*innen mit Vorwürfen einer Radikalisierung und Kriminalisierung konfrontiert. Wie konnte es zu diesem Narrativ kommen und wie geht die Klimabewegung damit um?
Der Ruf der Klimabewegung hat Risse. Seit Aufkommen der Letzten Generation kursieren in Presse und Politik Warnungen vor einer Radikalisierung, Vorwürfe der Kriminalisierung sowie Sorgen vor einer Untermauerung durch Linksextreme. Wurden Klimaaktivist*innen vor wenigen Jahren nur des Schulschwänzens bezichtigt, sehen sie sich heute mit einem deutlich herausfordernden Narrativ konfrontiert. Beständig halten sich in der Debatte Begriffe wie Klima-RAF und Klimakleber. Der Ausdruck Klimaterrorist wurde sogar zum Unwort des Jahres 2022 gekürt. Ein Ende der Aufregung ist nicht in Sicht.
Die Ablehnung von Protesten, die dem zivilen Ungehorsam zuzuordnen sind, ist grundsätzlich nich ungewöhnlich. Anita Habel von der Initiative „Psychologists For Future“ erklärt: „Ziviler Ungehorsam setzt auf bewussten Regelbruch, um Aufmerksamkeit für das Anliegen zu erzeugen. Regelbrüche bergen natürlich das Potential, Ablehnung hervorzurufen, selbst wenn das Anliegen dahinter geteilt wird.“
Das Feindbild Klimaaktivitst*in
Das Feindbild „Klimaaktivist*in sei aber kein Zufall, ergänzt Habel. Es sei über Wochen von Akteur*innen aus Politik und Medien aufgebaut worden, um die Legitimation des Protests und Ihres Anliegens abzusprechen. Das Narrativ der Kriminalisierung erfülle so eine Funktion in der Debatte. Es ginge im Diskurs nicht mehr darum, dass die verfehlte Klimaschutzpolitik der Regierung, sondern um die Bekämpfung vermeintlicher Kriminalität.
Diese Auffassung teilt auch „Extinction Rebellion Deutschland“. Die Einstufung der unterschiedlichen Klima-Proteste als kriminell sei eine „Propaganda-Strategie“ der konservativen Presse und Politiker*innen, um von der eigentlichen Problematik des drohenden klimatischen und ökologischen Kollapses abzulenken, sagt Pressesprecherin Manon Gerhardt.
Auch das Bündnis „Alle Dörfer Bleiben“ richtet sich gegen dieses Narrativ. In einer Pressemitteilung vom 01. Februar 2023 wirft das Bündnis der CDU von Nordrhein-Westfalen vor, mit dem Ziel der Kriminalisierung Desinformation zur Lage in den Dörfern am Tagebau Garzweiler II zu verbreiten und somit die Räumung von Lützerath zu beschönigen. Auch auf Nachfrage betont eine Sprecherin des Bündnisses, dass Ordnungswidrigkeiten oder geringfügige Gesetzesübertritte unmittelbar als Straftäter, Kriminelle und Gewalttäter dargestellt werden.
Für Klimaschutz, Gegen Proteste
Eine starke Ablehnung der Proteste findet sich allerdings nicht nur in der Medienlandschaft und der Politik. Aus einer repräsentativen Bevölkerungsumfrage der ARD und Infratest dimap geht hervor, dass ein Großteil der Befragten die Klimaproteste (u.a. Schulstreiks, Straßenblockaden) als nicht gerechtfertigt ansieht. Gleichzeitig geben 82 % der Befragten an, dass sie einen großen beziehungsweise sehr großen Handlungsbedarf beim Klimaschutz sehen. Hier zeigt sich, dass Anspruch und Wirklichkeit nicht selten auseinander gehen.
Laut Habel von Psychologists For Future sei bei diesen Umfrageergebnissen dennoch zu beachten, dass sie genau zu der Zeit durchgeführt worden ist, als die Debatte über die Proteste der Letzten Generation in den Medien besonders präsent war. Das beeinflusse die Bewertung. Genauso sei es wichtig, zu differenzieren, dass die Umfrage spezifische Protestformen betrachtet. Wenn bestimmte Protestformen bewertet werden, spielen diverse Faktoren eine Rolle und nicht nur das Anliegen. Es sei möglich das Anliegen Klimaschutz zu teilen und gleichzeitig eine Protestform ablehnen, beispielsweise weil sie als unwirksam oder unpassend wahrgenommen werde.
Das Bündnis „Alle Dörfer Bleiben“ ergänzt, es sei nicht immer einfach, zu sehen, was genau zum Schutz des Klimas getan werden müsse. Es herrsche die Überzeugung, dass die Regierung handeln wird oder der individuelle Konsum geändert werden müsse. Es betont zudem, dass die Lösungen für den dringend benötigten sozial-ökologischen Umbau unserer Gesellschaft komplex und nicht immer leicht vermittelbar seien.
Umgang mit Anfeindung
Anfeindungen begegnet das Bündnis, indem es versucht, möglichst differenziert über das Geschehene zu informieren und seine Haltung zu erklären. Der Schlüssel dafür sei eine Presse- und Öffentlichkeitsarbeit, die den Fokus zurück auf die Themen richtig, ihnen wichtig sind, nämlich Klimagerechtigkeit und das Ende des Kohleabbaus. Ein Ende der üblichen Protestformen bringen sie nicht zur Sprache.
„Extinction Rebellion“ hingegen habe sich bereits im letzten Jahr, aufgrund der Polarisierung der Bevölkerung, von traditionellen Straßenblockaden abgewendet. Es ginge nun vor allem um gezieltere Aktionsformate, die sich direkt an die verantwortlichen Akteur*innen, wie Lobby-Büros oder Ministerien, wenden. Obwohl sie sich darüber bewusst sind, dass sie Teile der Bevölkerung nicht erreichen werden, zielen sie mit dieser Strategie darauf ab, die Akzeptanz ihrer Botschaften innerhalb der Bevölkerung zu erhöhen. Es solle über die Inhalte gesprochen werden, nicht über die Protest-Formate, so Sprecherin Manon Gerhardt.
Dieser Umgang scheint Konsens in der Klimabewegung zu finden. Auch Anita Habel von „Psychologists For Future“ fordert, dass die Verzögerung von klimaschützenden Schritten und Umsetzung von schädlichen Maßnahmen in den Mittelpunkt der Debatte gestellt werden soll. Die dahinter liegenden Macht- und Profitinteressen einer Minderheit zum Schaden aller müsse viel mehr diskutiert und durch journalistische Medien in die Öffentlichkeit getragen werden.
Und was meinst Du? Schreibe uns Deine Meinung zu der Debatte in die Kommentare.
Catarina
Liebe Helena,
Diese Veränderung habe ich auch schon mitbekommen. Es gibt im Freitag vom 29.01.2023 einen wunderbaren Artikel darüber. Diese negative Zuschreibung der Klimabewegung kommt aus einem konservativen Teil unserer Gesellschaft der nicht wahr haben möchte, dass die blühenden Zeiten des Kapitalismus zu Ende gehen und wir nicht einfach nur auf technische Lösungen warten können, sondern auch unser Verhalten (und vor allem das von Großkonzernen!) verändern müssen. Wir können nicht mehr an Altbekanntem festhalten und müssen uns dieser neuen Welt stellen. Jedoch gibt es eine wachsende Gruppe in unsere Gesellschaft die dies nicht wahr haben möchte und lieber alles so konservieren möchte wie sie es kennt. Hoffen wir, dass auch sie bald aufwachen.
Liebe Grüße Catarina