Endloses Grübeln und schwitzige Hände – meine sozialen Ängste verlangen oftmals alles von mir ab. Um besser damit umgehen zu können, habe ich versucht, zu verstehen, was in solchen Situationen in meinem Kopf vor sich geht.
Angst ist eine durchaus hilfreiche Emotion. Sie schützt uns vor möglichen Gefahren und versorgt uns gleichzeitig mit ausreichend Energie, um vor diesen zu fliehen. Wäre unser Körper nicht mit diesem Grundgefühl ausgestattet, würden wir uns vermutlich achtlos aus einem Flugzeug stürzen, ohne auch nur einen einzigen Gedanken an einen Fallschirm zu verschwenden. Genauso würden wir unüberlegt über eine vielbefahrene Straße spazieren. Ein Blick nach links und rechts ist doch völlig unnötig! Bei manchen nimmt diese Angst allerdings ein übersteigertes Ausmaß an. Sie entwickeln eine sogenannte Angststörung. Auch ich bin mit meinen sozialen Ängsten davon betroffen.
Meine sozialen Ängste begleiten mich nun schon fast zehn Jahre. Wirklich bewusst geworden ist mir die Problematik allerdings erst lange später. Zu Beginn habe ich mich vollkommen davon einnehmen lassen und alles geglaubt, was die Ängste mir vermitteln wollten. In meinen ängstlichen Augen war ich ein unbeliebtes, hässliches und dummes junges Mädchen, das von niemandem akzeptiert wird. Jeder Blick, den mir Menschen zuwarfen, wurde von mir als ein negatives Urteil aufgefasst. Jedes Wort, das sie sagten, wurde bis ins kleinste Detail analysiert, sodass sich selbst das liebevollste Kompliment wie eine Beleidigung anfühlte. Mir wurde dadurch jegliche Lebensqualität genommen. Wie konnte es so weit kommen?
Unser Gehirn, die Assoziationsmaschine
Für die Entstehung einer Angststörung sind verschiedene Faktoren zuständig. Abgesehen davon, dass diese psychische Krankheit genetisch bedingt sein kann, wird auch ein Ungleichgewicht von verschiedenen Botenstoffen wie Serotonin im Gehirn verantwortlich gemacht. Genauso spielen Traumata eine entscheidende Rolle, was letztendlich auch mir zum Verhängnis wurde. Nachdem ich in jungen Jahren ausgegrenzt und gehänselt worden bin, war es kein Wunder, dass mir soziale Situationen zukünftig enorme Schwierigkeiten bereiten würden. Unser Gehirn ist schließlich eine wahre Assoziationsmaschine. Auf die gleiche Weise, wie wir uns durch Klänge oder Bilder an ein Konzert erinnern können, erinnern wir uns durch verschiedene Stimuli auch an negative Ereignisse. So wurde ich jedes Mal, wenn ich auf neue Menschen traf, mit der Angst konfrontiert, sie können mich nicht leiden oder möchten nichts mit mir zu tun haben. Harmlose Dinge wurden in meinem Kopf zu irrationalen, beängstigenden Assoziationen verwandelt.
Der Ort des Geschehens ist das emotionale Zentrum des menschlichen Gehirns – die Amygdala. Neben der Analyse von möglichen Gefahren, ist dieser Bereich auch für die emotionale Bewertung und Wiedererkennung von Situationen zuständig. Bei einer Angststörung reagiert die Amygdala äußerst überempfindlich. Sie erkennt Gefahr in alltäglichen Situationen und löst eine Adrenalin-Kette aus, die der logische Teil des Gehirns, der präfrontale Cortex, nicht zügeln kann. Für mich bedeutet das, dass ich nur schwer aus meinen Gedankenströmen herausfinde und in den jeweiligen Momenten hartnäckig daran festhalte, dass ich negativ wahrgenommen werde.
Der Weg zur Rationalität
Die effektivste Behandlung für eine Angststörung ist eine Kombination aus Medikamenten und einer Therapie, sagen Expert*innen. Dabei geht es aber nicht darum, die Angst loszuwerden, sondern eine biologische, rationale Basis zu finden. Das habe ich mithilfe einer Verhaltenstherapie selbst erfahren dürfen. Das Ziel dieser Therapie war es nicht zwingend, meine Ängste und Gedanken abzuschütteln, sondern eher, wie ich sie angemessen reflektiere und rational darauf reagieren kann. Hilfreich können auch Achtsamkeitsübungen sowie Meditation sein, da diese die Verbindung zwischen den emotionalen und regulierenden Bereichen des Gehirns verstärken.
Während einer Meditation wird das sogenannte Ruhezustandsnetzwerk aktiviert, welches für das Nachdenken über die Vergangenheit oder Zukunft, also jegliche Grübelei und Tagträumerei, zuständig ist. Dieses Netzwerk umfasst mehrere Bereiche des Gehirns, die miteinander verbunden und aktiviert sind, wenn wir nicht mehr auf die Außenwelt achten, sondern mit unserem Inneren beschäftigt sind. Das geschieht sonst nur beim „Nichtstun“. Da bei einer Meditation oder Achtsamkeitsübung die Aufmerksamkeit immer wieder auf den jetzigen Moment gelenkt wird, wird immer wieder der Bereich aktiviert, welcher für die Konzentration verantwortlich ist. Dadurch wird nach und nach das Ruhezustandsnetzwerk deaktiviert und Grübelei reduziert. Dennoch muss dazu gesagt werden, dass eine Angststörung, je nach Schweregrad, nicht allein durch Meditation und Achtsamkeit geheilt werden kann. In den meisten Fällen sind eine Therapie oder Medikamente unumgänglich.
Verständnis als Voraussetzung für Veränderung
In meinem Heilungsprozess war es mir wichtig, mehr darüber zu lernen, was meine Ängste verursacht, da ich davon überzeugt bin, dass Menschen Dinge verstehen müssen, um etwas verändern zu können. Auch ist ein besseres Verständnis der Prozesse in unserem Kopf hilfreich, wenn es darum geht, sich wieder normal und gesund zu fühlen. Wenn du weißt, dass deine Ängste nur durch eine ungünstige Programmierung des Gehirns verursacht worden sind und es nicht daran liegt, dass du ein schlechter Mensch bist, fällt der Umgang mit dir selbst und den Ängsten um einiges leichter. Im Endeffekt muss dahingehend allerdings jeder seinen eigenen Weg finden, denn auch wenn unser Gehirn im wesentlichen gleich funktioniert, ist doch jeder ein kleines bisschen anders gestrickt.
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