Mit der Ernennung von Bischöfen ist es immer so eine Sache. Gerne wird im Vorfeld viel gerätselt und spekuliert. Manchmal werden auch bewusst unwahre Gerüchte in die Welt gesetzt, um falsche Erwartungen zu erwecken. Wenn der Name dann endlich feststeht, legt sich die Spannung und wandelt sich in Freude. Dieses Gefühl hatte ich, als sich am vergangenen Freitag um zwölf Uhr sämtliche Glocken des Kölner Domes in Bewegung setzten, um die frohe Botschaft in die Welt zu tragen: Rainer Maria Kardinal Woelki ist der neue Erzbischof von Köln. Nach der 25-jährigen Amtszeit seines Vorgängers Joachim Kardinal Meisner tritt er nun als 94. Bischof als Köln in die Fußstapfen des heiligen Maternus.
Wer ist Rainer Maria Woelki?
Als Rainer Maria Woelki im Jahre 2011 nach Berlin gerufen wurde, kannte ihn noch kaum jemand. Wer ist dieser Weihbischof aus Köln, der noch nicht einmal eine Diözese geleitet hat und gleich Erzbischof von Berlin – mit Aussicht auf den Kardinalsrang – werden sollte? Nicht nur die Medien waren verwundert. Auch Rainer Maria Woelki fühlte sich wie im falschen Film. Wenige Wochen nach seiner Amtseinführung in Berlin durfte er Papst Benedikt XVI. bei seinem Deutschlandbesuch in Berlin begrüßen. Dieser nahm ihn wieder wenige Monate später in das Kardinalskollegium auf – ein großer „Karrieresprung“ und das in kaum mehr als einem halben Jahr.
Eigentlich wollte Rainer Maria Woelki „einfacher Pfarrer“ werden. Er liebt die persönliche Begegnung mit anderen Menschen. Er nimmt sich gerne Zeit für ein Gespräch, hört aufmerksam zu und hat für jeden ein freundliches Wort parat. Woelki will weder Professor noch Manager sein. Er ist Seelsorger. Er interessiert sich nicht für Zahlen, sondern für die Seele. Daran muss es liegen, dass die Katholiken im Erzbistum Köln ihren neuen Oberhirten so freudig erwarten. Sowohl bei der Bekanntgabe des Namens des neuen Erzbischofs als auch bei seinem ersten Auftritt im Kölner Dom war der Andrang groß. Ebenso hoch sind die Erwartungen. Das Erzbistum Köln freut sich, dass ein ehemaliger Weihbischof, der 2011 an die Spree gehen musste, nach drei Jahren als Erzbischof zurückkehrt. Wer hätte das gedacht?
Progressiv oder konservativ?
Wer Rainer Maria Woelki kennt, dem fällt es schwer, ihn in Schubladen einzuordnen. Woelki ist ein natürlicher Mensch. Er ist aufrichtig und deshalb glaubwürdig. Er sagt, was er denkt. Und er tut, was er sagt. Er lässt sich weder in die „rechte“ noch in die „linke“ Ecke stellen. Woelki ist weder „progressiv-liberal“ noch „konservativ-rückwärtsgewandt“. Ihm geht es immer um die Sache. Er hat Interesse an den Menschen und ihren konkreten Anliegen und Sorgen – und die kennt er auch. Seine Eltern sind ostpreußische Heimatvertriebene, die 1945 aus dem Ermland in den Westen Deutschlands flohen. Woelki erzählt von Verwandten, die von Arbeitslosigkeit betroffen, deren Ehen geschieden sind und die wieder geheiratet haben. Als Erzbischof von Berlin besucht er Roma-Familien und entscheidet sich bewusst für eine Mietwohnung im Arbeiterviertel Wedding. Er möchte unter den Menschen sein und ist sich auch für die Fahrt mit der Straßenbahn nicht zu schade – wie es bereits Papst Franziskus als Erzbischof von Buenos Aires tat.
Auf die Frage eines Journalisten, ob er sich eher als „progressiv“ oder als „konservativ“ verstehe, antwortete er: konservativ. Doch für Kardinal Woelki bedeutet „konservativ“ keine statische, rückwärtsgewandte oder spießerische Haltung: Vielmehr müssen wir „die Ursprünge und Quellen bewahren, aus denen wir leben. Diese Quellen zu pflegen, sie von allen Entstellungen zu reinigen und hieraus auch die Antworten zu finden, um die Probleme von Gegenwart und Zukunft zu lösen“ – das bedeutet für Kardinal Woelki das so oft negativ besetzte Wort „konservativ“.
Wahrheit in Liebe
Der ernannte Erzbischof von Köln verhehlt nicht, dass es in der Kirche Jesu Christi Wahrheiten gibt, die letztlich deshalb unaufgebbar und unabänderlich sind, weil sie auf Jesus Christus selbst zurückgehen, der der Weg, die Wahrheit und das Leben ist (Joh 14, 6). Insofern wird es auch unter Kardinal Woelki – so sehr sich das manche wünschen würden – kein Frauenpriestertum, keine Abschaffung des Zölibats, keine zweite Ehe nach einer Scheidung und keine kirchliche Ehe für gleichgeschlechtliche Lebenspartner geben. In diesen Punkten unterscheidet sich Kardinal Woelki nicht von seinem „Vorgesetzen“ in Rom.
Und dennoch geht es ihm niemals um eine kalte und abstrakte Wahrheit, sondern immer um Wahrheit in Liebe. Das hat im Christentum auch seinen Sinn, denn hier ist die Wahrheit – Jesus Christus – nichts anderes als die Liebe. Kardinal Woelki knallt einem die Wahrheit nicht wie einen nassen Waschlappen vor den Latz. Ihm liegt viel daran, die Botschaft von Jesus Christus – auch in ihren unangenehmen Punkten – in die heutige Zeit zu übersetzen und den Menschen näher zu bringen. Dabei will er einladen statt ausgrenzen, vorleben statt verurteilen. Immer geht es ihm darum, die Menschen für Jesus Christus zu gewinnen. Dazu holt er sie gerne dort ab, wo sie stehen – und trifft so als Erzbischof mit Schwulen und Lesben in Berlin zusammen.
Erfreulicherweise verwechselt der Kardinal „Wahrheit in Liebe“ niemals mit Indifferenz. So findet er klare Worte, wenn es um die Bedrohung des menschlichen Lebens an seinem natürlichen Anfang und an seinem natürlichen Ende geht. „Das Leben des Menschen, ob jung oder alt, wird zunehmend zu einem Spielball der Technik und unbeherrschbarer Mächte: Tests zur Feststellung von Behinderungen bei Ungeborenen, erleichterte Möglichkeiten zum Suizid, die Förderung der Präimplantationsdiagnostik, die Diagnostik von so genannten Hirntoten, der Organspende-Skandal“, mahnt Kardinal Woelki 2012 bei der Herbstvollversammlung der Deutschen Bischofskonferenz. Für ihn gibt es in puncto Lebensschutz keine Kompromisse, auch wenn man dies heute nicht immer gerne hört.
Menschen mit Christus in Berührung bringen
Als Erzbischof von Berlin, der flächenmäßig zweitgrößten Diözese Deutschlands, musste Kardinal Woelki die Erfahrung machen, dass in einigen Pfarreien nur noch zwei Prozent der Bevölkerung katholisch sind. Eine Antwort darauf könnte lauten: Abbau, Abbruch und Rückschritt. Doch Woelkis Antwort lautet: Aufbruch, Chance, Herausforderung. Er möchte jeden Menschen mit Christus in Berührung bringen, so schwer das in unserer heutigen Zeit sein mag. Er betont immer wieder das Wesen der Kirche, das nicht darin liege, stehen zu bleiben, sich zu verschließen oder sich nur mit sich selbst beschäftigen. Die Kirche muss offen für alle sein. Sie hat eine Sendung: Geht hinaus in die ganze Welt und macht alle Menschen zu meinen Zeugen! (vgl. Mt 28, 19)
Dieser Auftrag des auferstandenen Herrn findet sich wieder in Woelkis Wahlspruch, den er bereits seit seiner Bischofsweihe im Jahre 2003 in seinem Bischofswappen trägt: „Nos sumus testes“ – „Wir sind Zeugen“ (Apg 5, 32). Dieses kurze Wort aus der Apostelgeschichte unterstreicht die Sendung und Berufung jedes einzelnen Christen: Angesichts der frohen Botschaft von Jesus Christus, der für uns gestorben und auferstanden ist, können wir nicht einfach schweigen. Wir müssen bis an die Enden der Erde gehen, um dort seine Zeugen zu sein!
Bis an die Enden der Erde gehen – das hat Rainer Maria Woelki fast schon einmal mitgemacht, nämlich als er, der Kölner Weihbischof, zum Erzbischof von Berlin berufen wurde. Vom Rheinland, wo der katholische Glaube fast noch selbstverständlich ist, ging es für ihn damals an die Spree, wo nur etwa sieben Prozent der Bevölkerung der katholischen Kirche angehören. Dem gebürtigen Kölner und bekennenden FC-Fan fiel dieser Schritt damals gar nicht leicht, hätte er sich doch lieber eine Seelsorgetätigkeit als einfacher Pfarrer in Köln vorgestellt. Doch der Heilige Geist wollte es so. In Berlin durfte Rainer Maria Woelki Erfahrungen damit machen, wie man Menschen mit der christlichen Botschaft auch dann erreichen kann, wenn das Christentum nur noch eine Minderheit darstellt: „Das Programm ist immer dasselbe. Es trägt einen einzigen Namen: Jesus Christus. Und der war gestern, heute und in Ewigkeit. Die Bedingungen ändern sich. Die Strukturen wandeln sich. Christus bleibt der gleiche.“
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