Unsere Autorin Frieda spricht mit Linda* über ihre schwarze Jacke, die in bestimmten Lebensphasen wie festgetackert an ihrem Garderobenständer hing. Wie ihre einstige Wut darüber sich in eine überraschende Idee verwandelte, darüber berichtet sie nachfolgend.
Der Artikel handelt von psychischen Leiden. Wenn du selbst betroffen bist, entscheide, ob du wirklich weiterlesen möchtest. Mögliche Hilfsangebote findest du am Ende des Artikels.
*Name wurde von der Redaktion verändert
Liebe Linda, zu bestimmten Zeiten trägst du deine schwarze Jacke. Dieses Bild verwendest du metaphorisch für dein Leben mit Depressionen. Willst du erzählen, wie lange du schon diese Jacke trägst?
Linda: Tatsächlich ist die Jacke mitgewachsen und war ursprünglich meine passende Kindergröße mit ungefähr sechs Jahren.
Hat sich die Depression im Kindesalter anders bemerkbar gemacht als im Jugend- und Erwachsenenalter?
Linda: Als Kind war ich still und zurückgezogen. Ich dachte über vieles nach und träumte mich in eine andere, friedlichere Welt. Ich spürte oftmals eine tiefe Betrübnis und fühlte mich wie gelähmt. Ich konnte aber schneller einen Kleidungswechsel vornehmen. Da gab es wieder bunte Momente und ich blühte auf. Im Jugendalter nahm ich die schwarze Jacke eher bedrohlich wahr und es kamen Angst- und Panikattacken dazu. Wenn sich die schwarze Jacke einmal über mich gelegt hatte, trug ich sie für mehrere Monate. Ich vergaß, dass ich zuvor andere, bunte Jacken trug. Im jetzigen Erwachsenenalter trage ich die schwarze Jacke sporadisch und sie hat noch ein paar Überraschungseffekte bekommen.
Was hat sich für dich von der Jugendzeit bis hin zum Erwachsenenalter verändert?
Linda: In der Jugend kam es mir vor, als läge sich die Depression über mich und ich könnte gar nichts mehr daran ändern. Ich verstand nicht einmal, wie die schwarze Jacke in mein Leben kam! Im Erwachsenenalter verstand ich in der Therapie, dass ich verschiedene traumatische Ereignisse erlebt hatte und die Depression eine mögliche Ausdrucksform davon ist. Ich habe größtenteils gekämpft, die schwarze Jacke loszuwerden. Nach dieser Erkenntnis überlegte ich, was die schwarze Jacke mir mitteilen will.
Und was teilte sie mit?
Linda: Dass es bei mir Schmerzen im Herzen gibt, die angeschaut und geheilt werden möchten. Auch dass die schwarze Jacke Ausdruck davon ist, dass ich mich selbst nicht annehme und keine Selbstfürsorge betreibe. Weiterhin teilte sie mir mit, dass ich keine Abgrenzungsfähigkeit habe, sondern wie ein großes schwarzes Loch bin, in das alles hineingefüllt werden kann. Schließlich legte die schwarze Jacke auch einen Geschwindigkeitsstopp in meinem Leben ein. Ich wollte davor durchs Leben hetzen. Hauptsache, ich überstehe es irgendwie.
Das heißt, du hast der schwarzen Jacke doch etwas Gutes abgewonnen?
Linda: Obwohl ich öfters dachte, dass es keinen Grund mehr für das Tragen der schwarzen Jacke gab, sie aber dennoch blieb, versuchte ich einen neuen Umgang damit. Aus diesen Gedanken entstand die Idee für das neue Design.
Wie sieht das aus?
Linda: Ich steckte der schwarzen Jacke einige Buttons mit verschiedenen Schriftzügen an. Einer heißt „obwohl“. Dazu habe ich mir verschiedene, neue Glaubenssätze festgelegt. „Obwohl ich gerade die schwarze Jacke trage, spüle ich zeitnah mein Geschirr ab.“ Ein anderer Schriftzug heißt: „willkommen“. „Ich bin willkommen, mit der schwarzen oder mit einer bunten Jacke.“ Andere Schriftzüge lauten: „wertvoll“, „geliebt“, „angenommen“. Schließlich gibt es noch einen Button mit „trotzdem“. „Ja, ich trage gerade die schwarze Jacke, trotzdem gehe ich raus damit.“ So habe ich aus jeglichen Lebensphasen, bildlich gesehen, Andenken auf die schwarze Jacke genäht. Als wäre man auf einer Weltreise und sammelt Souvenirs in seinem Koffer. So konnte ich Frieden mit der schwarzen Jacke schließen.
Hast du dadurch die Angst vor der schwarzen Jacke verloren?
Linda: Ich sehe sie zumindest nicht mehr nur als schwarz an. Heute ist es auch meistens so, dass für mein Umfeld die schwarze Jacke nicht direkt sichtbar ist. Sie ist wie eine dünne Jacke unter einer bunten Jacke.
War das sonst schwierig, wenn dein Umfeld direkt die schwarze Jacke gesehen hat?
Linda: Ja. Es kamen Kommentare wie: „Lach mal wieder, dann wird es schon wieder besser.“ Oder „Ach, jeder hat mal schlechte Zeiten.“ „Wenn ich so denken würde wie du, wäre ich auch depressiv.“ Da wog die schwarze Jacke sofort ein paar Zentner mehr für mich.
Das heißt, du bist heute froh, nur bei vertrauten Menschen die dünnere, darunter liegende, schwarze Jacke zu zeigen?
Linda: Ja, genau. Ich bin sehr dankbar für ein paar sehr liebevolle und annehmende Freunde, die sich von meiner schwarzen Jacke nicht abschrecken lassen.
Willst du anderen Betroffen, die auch eine schwarze Jacke tragen, eine Botschaft zukommen lassen?
Linda: Gerne. Wenn ich auf dich mit schwarzer Jacke treffe, würde ich dich gerne fragen, was deine Buttons, Aufnäher, Pailletten bedeuten. Was ist deine Lebensgeschichte? Welche Erlebnisse hast du auf deine schwarze Jacke genäht? Wie fühlt sich deine schwarze Jacke an? Jedenfalls würde ich dich dazu ermutigen, dich deinem Kleidungsstück zu widmen und seine Details zu erforschen.
Vielen Dank für das Gespräch, liebe Linda!
Mögliche Hilfsangebote findest du bei der bundesweiten Telefonseelsorge (0800 – 1110111 oder 0800 – 1110222), beim Haus- oder Facharzt, in psychologischen Beratungsstellen bei dir vor Ort, in Kliniken mit psychiatrischer Abteilung, bei Ex-In-Genesungsbegleitern, oder in Selbsthilfegruppen. Bei akuter Lebensgefahr lautet die Nummer 112 für den Rettungswagen.
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