Im Jahr 2003 verlor Markus Rehm infolge eines Wakeboardunfalls seinen rechten Unterschenkel. 13 Jahre später ist Rehm zweimaliger Paralympicssieger im Weitsprung und Deutscher Meister. Des Weiteren setzt sich der Weitspringer für das Thema und Erreichen der Inklusion im Sport ein. Wir haben mit ihm gesprochen.

Der Abend des 10. August 2003 sollte für Markus Rehm ein folgenreicher werden. Der gebürtige Göppinger ist zu dem Zeitpunkt 14 Jahre alt und begeisterter Wakeboarder. Zum Abrunden eines wunderbaren Sommertages fährt er abends mit seinen Freunden noch einmal auf den Fluss: ein letztes Mal Adrenalin, noch einmal den Sog des Wassers unter den Füßen spüren.
Markus weiß, was er tut, er ist talentiert, spielt mit dem Wasser, dem Wind. Doch ein Sprung wird sein Leben verändern. Im Zuge eines Wakeboardsprungs ist es üblich, daraufhin ins Wasser zu platschen. Aber genau das verändert sein Leben. Ein anderes Boot übersieht ihn. Sein rechtes Bein, gerät in die Schiffsschraube. Es ist der Startschuss zu einem Kampf: einem Kampf zurück zur vollen Beweglichkeit und somit ins Leben. Neun Jahre später wird Markus Rehm in London Paralympicssieger, zudem Deutscher Meister der Nichtbehinderten und 2016 erneut Paralympicssieger.
Herr Rehm, vor nun drei Wochen gelang Ihnen unter dem dunkelblauen Nachthimmel Rios der Satz zum zweiten Paralympicssieg. Welche Erinnerungen haben Sie an den Abend und an die Stunden infolge des Triumphs?
Aufgrund der Tatsache, dass meine ersten Sprünge nicht so funktionierten, wie es meiner eigentlichen Form entsprach, war der Abend zunächst von einer gewissen Anspannung sowie Nervosität geprägt. Das lag aber auch daran, dass ich zuvor nur selten als so klarer Favorit in einen Wettkampf startete. Natürlich erzeugte diese Herausforderung zusätzlichen Druck. Erst als es mir gelang, meine Leistung abzurufen, konnte ich die Stimmung aufsaugen. Somit bin ich erleichtert und glücklich, auch diese Prüfung am Ende mit einer Weite von 8,21 m bestanden zu haben.
Was zunächst auf eine nicht so gute Form hindeutete, verwandelte sich in eine Demonstration ihres Könnens. Im Zuge des vergangenen Sprungs knackten Sie die 8,21 m. Was war Ihr Erfolgsrezept?
Es gab kein richtiges Erfolgsrezept. Vielmehr habe ich weiter an mich und mein Können geglaubt. Natürlich machst du dir als Sportler unweigerlich Gedanken und fragst dich, ob du all deine guten Pläne überdenken solltest. In jenen Situationen zählt die mentale Stärke und die konnte ich glücklicherweise in dem Moment aktivieren und alle vorausgegangenen Sprünge ausblenden.
Rio 2016 war vor zwei Jahren Ihr angestrebte Ziel. In der Zwischenzeit wurden Sie mit einem Weltrekord Deutscher Meister. Beschreiben und resümieren die vergangenen beiden Jahre.
Sicherlich verliefen die letzten vier Jahre sehr positiv, sowohl sportlich als sportpolitisch. Doch ist es dennoch ein seltsames Gefühl, zu wissen, dass das damals angestrebte Ziel schon hinter mir liegt. Auch deshalb befasse ich mich derzeit mit neuen Zielen. So möchte ich mich weiterhin für einen gemeinsamen Sport einsetzen und meine Ideen einbringen. Des Weiteren gilt es natürlich, die sportliche Leistung zu halten.
Bei den Paralympics stand der Sport im Mittelpunkt
Ihr Kollege Heinrich Popow kritisierte die Äußerungen der Olympioniken. Es ging um die sanitären Anlagen. Wie haben Sie die Qualität und den Komfort wahrgenommen?
Aufgrund der vorherigen Äußerungen bin auch ich natürlich mit ein wenig Skepsis nach Rio gereist: Indem ich mir zum Beispiel abgepacktes Brot oder Getränke mitnahm. Allerdings wurden meine Erwartungen nicht bestätigt. Insofern stimme ich schon zu. Natürlich gab es mal eine verstopfte Toilette, aber wir dürfen die dort herrschenden Verhältnisse nicht vergessen. Positiv ist, dass der Funke von Beginn an übergesprungen und wir eine tolle Atmosphäre genießen durften. Die Menschen haben unsere Spiele geschätzt und gelebt. Da rückt der Sport wieder in den Mittelpunkt!
Pro Tag übertrugen ARD und ZDF insgesamt sechs Stunden, gemessen an den 1000 Stunden Olympia Nonstop klingt diese Zahl geradezu beschämend. Haben Sie und das Team sich genug repräsentiert gefühlt?
Grundsätzlich bin ich der Meinung, dass ARD und ZDF unseren Sport gut repräsentiert haben. Natürlich gestaltete sich die mediale Präsenz auch aufgrund der Zeitverschiebung schwierig. Viel wichtiger ist jedoch, was in der Zwischenzeit geschieht. Diesbezüglich gibt es sicherlich Nachholbedarf. Wir müssen es schaffen, den Behindertensport kontinuierlich in die Öffentlichkeit zu transportieren. Dies gelingt am besten im Zuge gemeinsamer Events, wie zum Beispiel in Berlin, welche ARD oder ZDF übertragen.
Trotz der Berichterstattung, sowie des Erfolgs, erhält man den Eindruck, dass der Behindertensport keinen regelmäßigen Platz im deutschen Sportfernsehen findet. Wie ergründet sich diese Tatsache? Bedarf es diesbezüglich mehr Präventionsarbeit?
Natürlich muss es unser aller Ziel sein, den Behindertensport präsent zu halten. Gerade zwischen den Paralympics sehen wir uns immer wieder dieser Aufgabe gestellt. Doch in Zeiten der Inklusionsdebatte gilt es auch, hier anzuknüpfen und Veränderungen einzuleiten.
Inklusion ist keine Einbahnstraße
Das Thema Inklusion im Sport ist zurzeit ein in aller Munde. Sport kann Gemeinschaft erzeugen. Wie können unsere Vereine und Schulen diesbezüglich präventiv wirken?
Ich glaube, dass hier vor allem Offenheit gefragt ist. Gerade in Schulen, in welchen der Sportunterricht ein Bestandteil des Lehrplans bildet, bedarf es eines offenen und ehrlichen Austauschs zwischen Lehrkraft und Schüler. Es reicht nicht, dem Schüler aufgrund seines Rollis eine Entschuldigung auszuhändigen, sondern es sollte das Ziel sein, eine gute Lösung zu finden. Der Ansatz muss sein, stattdessen mal einen gemeinsamen Rollitag zu initiieren. Obwohl ich glaube, dass wir uns auf einem guten Weg bewegen, ist es wichtig, weiter im Zuge des Dialogs Vorurteile abzubauen. Doch klar ist: Inklusion ist keine Einbahnstraße. Beide Parteien müssen an einem Strang ziehen.
Vor zwei Jahren wurden Sie Deutscher Meister der Nichtbehinderten und trotzdem nicht zur EM zugelassen. Was hat sich in den beiden Jahren hinsichtlich des gemeinsamen Sporterlebnisses getan? Hat der Deutsche Leichtathletikverband daraus gelernt?
Zunächst denke ich, dass diese Unannehmlichkeiten der Indikator eines neuen, offenen und ehrlichen Dialoges waren. Denn auf Gesprächsebene gibt es sicherlich schon Fortschritte, aber auch hier gilt der Tenor „Fordern und Fördern“. Infolge der Ereignisse habe ich mich mit dem Weltverband in Verbindung gesetzt und die Gespräche wieder ins Rollen gebracht. Doch natürlich ist es nicht so einfach, denn auch hier müssen erstmal Barrieren und Vorurteile abgebaut werden. Sicherlich möchte ich nicht als der böse Junge hervorgehen sondern für ein gemeinsames, dem Sport zuträglichen Ziel kämpfen. Ich wünsche mir, dass wir irgendwann nicht mehr von „Die und Wir“ reden sondern „Eins“ sind.
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