Die Veranstaltungsbranche lebt von sozialen Kontakten und Menschenmassen auf engstem Raum. Genau das ist seit März 2020 durch die Corona-Pandemie nicht mehr möglich, was schwere Folgen für die Branche mit sich bringt. Unser Autor Levi hat mit Betroffenen gesprochen.
Es ist Samstagabend. Früher verbrachte Matthias Lohbeck die Samstage auf vollen Bühnen oder Hochzeiten. Stattdessen sitzt er mit grauer Jogginghose und T-Shirt in seinem kleinen Büro. Unter seinem Schreibtisch steht eine verstaubte, schwarze Box. Vorsichtig öffnet er die silbernen Aluverschlüsse. Klack. Darin befindet sich das DJ-Equipment, welches seit März 2020 nicht mehr im Einsatz war. Ein Controller, ein Player und die bekannten Turntables gehören zur Ausstattung. Er klappt den Koffer wieder zu, da es ihn an die Zeit als DJ erinnert. Seit März 2020 kann er seiner Leidenschaft nicht mehr nachgehen.
Matthias Lohbeck, Solo-Selbstständiger für Veranstaltungsplanung und DJ, ist damit nicht allein. Einem Großteil der Branche fehlt ein zweites Standbein und die Unterstützung des Staates. Insgesamt arbeiten in diesem Geschäftszweig 1,5 Millionen Menschen. Der Sektor ist viel größer, als die meisten denken. Dazu gehören Messeveranstalter, Clubs, Künstler bis hin zu Sicherheitsdiensten. Das Problem sind die Solo-Selbstständigen und die Firmenbesitzer. Sie fühlen sich von der Regierung im Stich gelassen und klagen mangelnde Unterstützung an. „Dieses Jahr war im Endeffekt wie ein Jahr im Koma“ sagt Lohbeck. Die Politik versteht nicht, wie der Sektor tickt. Die betroffenen Selbstständigen fühlen sich allein gelassen. 70 Prozent weniger Umsatz im Vergleich zum Vorjahr und lediglich eine Unterstützungshilfe von 9000 Euro im März konnte Lohbeck verbuchen. Es macht den Eindruck, als ob „es keinen so wirklich interessiert“, fügt er enttäuscht hinzu. Der Anspruch sollte es sein, angemessene Unterstützungsgelder an Unternehmer zu zahlen, die wirklich auf Hilfe angewiesen sind.
Unterstützungsgelder ohne jegliches Verhältnis
Im März 2020 wurde die Branche erstmals komplett heruntergefahren. Nico Arnold, Firmeninhaber eines Betriebs für Veranstaltungstechnik, erhielt von März bis Juni eine Überbrückungshilfe von 6.000 Euro, obwohl bei ihm allein „20.000 Euro Fixkosten pro Monat für Lagerkosten und Instandhaltung seiner Geräte anfallen“. Das Beispiel zeigt, dass die Verhältnismäßigkeit komplett fehlt und viele Unternehmer, wie Arnold meint, „seit März nur Schadensbegrenzung betreiben, um als Betrieb zu überleben.“ Im Juni 2020 erhielt er eine Überbrückungshilfe von 15.000 Euro. Mitte Januar 2021 bekam Arnold die sogenannte “Novemberhilfe” ausgezahlt, die auch endlich am Umsatz des Vorjahres orientiert war und immerhin in dieser Hinsicht ein Fortschritt war. Hier sieht man allerdings auch das Problem der Betroffenen. Eine Novemberhilfe im Januar ist zwar besser als nichts, aber eben viel zu spät. Die September- und Oktoberhilfen sollen, Stand Anfang Februar, angeblich auch noch nachträglich ausbezahlt und an den Umsatz angepasst werden. Wenn Selbstständige allerdings jeden Monat darum kämpfen, ihren Betrieb am Leben zu erhalten und Unterstützungsgelder mit so großer Verzögerung angepasst oder gar erst ausbezahlt werden, fühlen sie sich natürlich im Stich gelassen. Die neuen Gelder sind ein Tropfen auf dem heißen Stein, denn es kann nicht die Lösung sein, dass Betriebe, die seit fast einem Jahr keinen Cent Umsatz machen konnten, Unterstützungsgelder erst bis zu sechs Monate später erhalten.
Der einzige Weg dabei „ging über den Steuerberater“, prangert Arnold an. Er selbst hat „mit dem Thema mittlerweile abgeschlossen, da nachvollziehbare Informationen fehlen.“ Die erhaltenen Leistungen hat er auf einem Extrakonto angelegt, da er nicht weiß, ob er sie „nicht doch noch zurückzahlen muss“. Das trifft den Nagel auf den Kopf. Selbst wenn Unternehmer Unterstützung erhalten, können sie sich nicht darauf verlassen. Häufig müssen die Betroffenen die erhaltenen Gelder zurückzahlen, wenn es dem Betrieb, den „Regelungen“ zufolge, zu gut geht. Heike Schätze, Vorsitzende der LiveInitiative NRW, kurz LINA, bestätigt die Unsicherheit. “Viele trauen sich nicht das Geld auszugeben, da keiner weiß ob und wenn ja, wie viel zurückgezahlt werden muss.”
Auflagen sind Alltag für die Veranstaltungsbranche
Was viele nicht wissen ist, dass es bereits vor Corona ein großer Aufwand war, Veranstaltungen zu organisieren und durchzuführen. Die Organisatoren sind es gewohnt, einen Stapel an Voraussetzungen zu erfüllen und sind auf diesem Gebiet Experten. Man benötigte grundsätzlich eine Nutzungserlaubnis, ein ausreichendes Sicherheitskonzept, einen Verkehrsplan für An – und Abreise und vieles mehr. Über den Sommer verteilt fanden auch Konzerte unter zusätzlichen Corona-Maßnahmen statt.
Dabei wurden diese Ereignisse nie als Infektionsherde bekannt. Dies belegte auch die Uni Halle, die bei dem genannten Tim Bendzko-Konzert in Leipzig umfassende Studien publizierte, wobei das Risiko einer solchen Veranstaltung als sehr gering eingeschätzt wurde. Die 1.500 Teilnehmer trugen Masken, Tracker und hielten Abstand. Geändert hat sich trotzdem nichts. Seit November befindet sich die Branche, wie letztes Jahr im März, im kompletten Lockdown.
Die große Unsicherheit prägt den Alltag der Betroffenen. Das gilt für die gesamte Branche. Niemand weiß, wie die Zukunft aussieht. Es hängt davon ab, „wie es die Menschen annehmen“, meint Schätze. Denn klar ist: Auch wenn es möglich ist, wieder Veranstaltungen durchzuführen, werden dabei erhebliche Auflagen nötig sein. Lohbecks Wunsch ist es, „im Winter 2021 Indoor-Konzerte mit 5.000 Zuschauern zu veranstalten“. Das ist aber eher „ein Traum als ein realistisches Ziel.“
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