Dass Jungdesigner es beim Start ins Berufsleben schwer haben, ist kein Klischee. Mit der Vielzahl neuer Ausbildungsangebote explodiert auch die Konkurrenz, riesige Konzerne und Labels dominieren das ohnehin schmale Luxussegment. Wer sich in der Berliner Szene umhört, merkt schnell: Abseits vom Glamour der Fashion Week bestimmt knallharter Wettbewerb das Geschäft, staatliche Förderungsversuche laufen ins Leere.
Es ist ein sonniger Samstagmittag mitten in der riesigen Stadtwüste im Herzen Berlins, die sich Prenzlauer Berg nennt. Irgendwo im geschäftigen Treiben an der Ecke Greifswalder Straße stehen zwischen Autos, Straßenbahnen und eilenden Passanten zwei unauffällige Schaufensterpuppen auf dem Gehweg, man übersieht sie leicht, wenn man im allgemein üblichen Eiltempo von Termin zu Termin hetzt. Im dahinterliegenden Schaufenster der Greifswalder Straße 2 befindet sich einer der Läden der Berliner Nachwuchsdesignerin Hannah Schorch, die zwischen marrokanischem Schmuck und Porzellan der Inhaberin hier Kleidung ihres 2016 gegründeten Modelabels „Erie Berlin“ verkauft. „Ich habe schon als Kind viel gezeichnet und gebastelt. Eine meiner ersten Errungenschaften war ein Teddy, den ich zusammen mit meiner Oma genäht habe – aus dem Futter von Autositzen“, erzählt die gebürtige Leipzigerin.
Aufgewachsen ist sie nicht nur in Deutschland, sondern auch in Israel und den USA, nach einem Modedesign-Studium in Berlin und Frankreich betreute sie eine Zeit lang für eine Firma im berühmten Pariser Sentier-Viertel eine Produktionslinie in China. Schorch lernte die Welt hinter den Kulissen der Modeindustrie kennen – und fürchten. „Als ich ankam, war ich geschockt. Nicht nur von den Arbeitsbedingungen der Menschen in den Fabriken, sondern auch von den Umweltschäden, den blauen, mit Öl überzogenen Seen. Ich dachte mir, dass es doch einen Weg geben muss, Mode ohne diese wahnsinnig negativen Folgen für Mensch und Natur zu produzieren.“
Schorchs Markenzeichen war geboren: Nachhaltige und in allen Aspekten umweltschonende Mode, vom Stoff über den Schnitt bis hin zur Färbung. Seit der Gründung von erie Berlin als „Experiment“, wie sie es nennt, ist das Label langsam, aber kontinuierlich gewachsen und mittlerweile rentabel. Doch bei aller Liebe zu nachhaltigem Design – leben kann Schorch vom Verkauf der Kleidung nach wie vor nicht. Nebenher gibt sie deshalb Workshops und Nähkurse für Kinder. Staatliche Förderung hat sie nie in Anspruch genommen: „Was das betrifft, kenne ich zwar ein paar Kollegen, die Gründungszuschüsse oder Beratung erhalten haben. Aber abgesehen davon glaube ich, dass ganz Berlin sich fragt, wo man staatliche Förderung herbekommt. Alle sagen mir immer: Für so ein Projekt bekommst du doch bestimmt Zuschüsse. Aber ich bin mir da nicht sicher, weil ich nie etwas passendes gefunden habe. Wenn es wirklich Fördermaßnahmen gibt, sind diese viel zu versteckt.“
Von Gründungsangst und Bedarfsanalysen
Selbst bei Rentabilität nicht vom eigenen Modelabel nicht leben zu können – so ergeht es vielen JungdesignerInnen in Berlin. Auch wenn die statistischen Zahlen des Vorjahres auf Nachfrage bei der Berliner Senatsverwaltung für Wirtschaft, Energie und Betriebe noch nicht vorliegen, bestätigt man hier nicht nur einen Rückgang der Unternehmensneugründungen im Modebereich, sondern auch eine allgemeine Verschlechterung der wirtschaftlichen Rahmenbedingungen für Modedesigner. Dabei betonen Senat und Bezirksverwaltungen seit langem die Bedeutung der Modebranche mit ihrem eng verflochtenen Netzwerk von Designern, zuliefernden Gewerben, Marketingdienstleistern und Sales-Agenturen für die lokale Wirtschaft, in Mitte und Pankow wurde 2019 eigens für die junge Modeszene eine Bedarfsanalyse ins Leben gerufen, die NachwuchsdesignerInnen durch eine speziell auf ihre Interessen ausgelegte Anlaufstelle unterstützen soll.
„Dazu sprechen wir gerade mit Schlüsselpersonen aus der Modewirtschaft und Modedesignern über ihre Bedarfe und analysieren bereits erstellte Studien – unser Ziel ist der Aufbau eines physischen Textilstandortes in Berlin in den kommenden Jahren“, verrät Stadtplanerin Sabine Hülsebus. Sie kooperiert seit August 2019 für die Bedarfsanalyse mit der Wirtschaftsförderung Pankow und Mitte, berät seit 2008 junge Unternehmen und Start-Ups im Modebereich und übernahm hierzu zusammen mit ihrer langjährigen Kollegin Daniela Fleig die Projektleitung des Modenetzwerks „NEMONA“.
Die junge Modeszene der Hauptstadt kennt sie wie keine Zweite, weiß aber auch um die Grenzen staatlicher Unterstützungsbemühungen: „Förderprogramme für Modedesigner von staatlicher Seite gibt es im engeren Sinne in Deutschland nicht – angeboten werden eher allgemeine Beratungen für Gründer im Kreativbereich. Die einzige Ausnahme sind hier die Beratungen von meiner Kollegin und mir im Rahmen der Kreativwirtschaftsberatung Berlin, die speziell auf die Bedarfe der Modedesigner eingehen. Natürlich gibt es die Möglichkeit, an Workshops von NEMONA oder dem ,Fashion Council‘ teilzunehmen, die sich speziell an Modedesigner richten. Insbesondere finanzielle Förderungen sind aber im Prinzip nur über Wettbewerbe möglich, oder wenn ein Modeunternehmen im Bereich der digitalen Entwicklung etwa von ‚Smart Textiles‘ tätig ist.“
„Vom Modedesign zu leben, ist nochmals anspruchsvoller geworden“
Die Berliner Senatsverwaltung für Wirtschaft, Energie und Betriebe zeichnet derweil ein anderes Bild. Tanja Mühlhans, Leiterin des Projektes „Zukunft Berlin“, in dessen Rahmen neben der Informations- und Kommunikationstechnologie und lokalen Medien auch die Mode- und Kreativwirtschaft gefördert werden soll, betont: „Fördermöglichkeiten des Landes Berlin existieren und sollten dringend wahrgenommen werden – egal ob das Gründungsbonus-Programm, Wettbewerbe, günstige Coachingleistungen oder der ,Berlin Show Room‘, eine Gemeinschaftspräsentation Berliner Designer auf der Pariser Fashion Week.“
Bei näherer Betrachtung der Projekte der Senatsverwaltung gleicht die staatliche Förderung jedoch eher einem bürokratischen Dschungel, der demselben rasanten Wandel unterworfen ist wie die Modebranche selbst. Sogar der populäre Wettbewerb „Start your own Fashion Business“, aus dem mittlerweile international bekannte Designer wie Michael Sontag oder Bobby Kolade hervorgingen, wurde 2015 eingestellt. Im Projekt Zukunft Berlin wurden seither die Kräfte gebündelt, Coachings, Mentorenprogramme und gemeinsame internationale Modenschauen wie der Berlin Show Room auf der Pariser Fashion Week organisiert, insgesamt seit 2007 nach Angaben der Senatsverwaltung Investitionen von über 10 Millionen Euro getätigt. Doch auch die beste und zielgerichtetste staatliche Förderung kann die branchenimmanenten Risiken einer Selbstständigkeit im Modedesign nicht wegwischen. Und diese haben keinesfalls abgenommen, wie Tanja Mühlhans bestätigt: „In den letzten Jahren hat die Marktkonzentration der vertikalen Modeeinzelhändler wie Zara oder Mango und auch der Distributionsplattformen wie etwa Zalando deutlich zugenommen. Sich innerhalb weniger Jahre mit Kollektionen, die ein Alleinstellungspotential haben, einen Namen zu machen und davon leben zu können, ist also nochmals anspruchsvoller geworden.“
Angesicht der wachsenden Anforderungen an die Betriebsorganisation für Designer rät sie zur frühzeitigen Auseinandersetzung mit betriebswirtschaftlichen Fragestellungen. „GründerInnen sollten idealerweise UnternehmerIn und DesignerIn gleichzeitig sein – die meisten haben zudem mehrere berufliche Standbeine, beispielsweise durch die Arbeit an einer Hochschule oder als freiberuflicher Berater.“ Eine gute Strategie sei es etwa, sich auf eine bestimmte Marktnische zu spezialisieren und einen eigenen Stil mit möglichst hohem Wiedererkennungswert zu entwickeln. Die Nutzung von Social Media- Kanälen könne dann dabei helfen, durch eine Community Bekanntheit aufzubauen, Eigenkapital zu erwerben und zu wachsen, so Mühlhans.
„Die Vision nicht verlieren“
In der Greifswalder Straße schaltet Hannah Schorch derweil die Lichter aus und schließt die Ladentür. Heute hat sie statt ihrer Kleidung nur einen marrokanischen Teppich ihrer Kollegin verkauft – aber es gibt ja noch die zwei anderen Läden, in denen ihre Kollektionen zu finden sind, außerdem den Onlinehandel. Auf die Frage, was sie den zahlreichen Berliner JungdesignerInnen mit auf den Weg geben möchte, überlegt sie nicht lange. „Man darf die Vision nicht verlieren. Es hilft, sich von Zeit zu Zeit zurückzubesinnen und sich zu fragen, was man erreichen will. Und dann die konkreten Schritte zu planen, zum Beispiel sich zu vernetzen, finanzielle Unterstützung einzuholen, gezieltes Marketing zu betreiben. Man darf sich nicht „unterkriegen“ lassen, denn das kann hier in Berlin auch passieren. Viele sind Träumer, die die Vision einer schöneren, besseren und alternativen Welt haben und daran festhalten – während die eigentliche Herausforderung darin besteht, diese Vision auch wirtschaftlich rentabel umzusetzen.“
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