Die Religionsfreiheit in Afghanistan ist bedroht. Eine Ordensschwester, die mit behinderten Kindern in Kabul arbeitete, berichtet über die Situation vor Ort. Diese sei schon vor der Machtübernahme durch die Taliban bedenklich gewesen. Schwester Shahnaz Bhatti gibt die Hoffnung aber nicht auf. Von Benedikt Bögle.
Die Bilder gingen um die Welt: Als die NATO-Truppen im August diesen Jahres endgültig Afghanistan verließen, dauerte es nur Tage, bis die radikal-islamistischen Taliban das Land unter ihre Kontrolle brachten. In einer dramatischen Aktion wurden letzte Unterstützer aus dem Land geflogen; viele von ihnen konnten den Flughafen aber nicht mehr erreichen. Unter den letzten Frauen, die Afghanistan verlassen konnten, war auch Schwester Shahnaz Bhatti. Die pakistanische Ordensfrau gehört den „Barmherzigen Schwestern der heiligen Jeanne-Antide Thouret“ an; zwei Jahre lange lebte und arbeitete sie in der afghanischen Hauptstadt Kabul.
Keine Religionsfreiheit in Afghanistan
Gegenüber dem päpstlichen Hilfswerk „Kirche in Not“ berichtete die Ordensfrau von ihren Eindrücken und Erfahrungen. Schon vor dem Abzug der US-Truppen und der Machtübernahme durch die Taliban sei die Situation schwierig gewesen. Als katholische Gemeinschaft lebten die Ordensschwestern in ständiger Gefahr. In Afghanistan lebten, offiziellen Angaben nach, nur rund 200 Katholiken; unter ihnen waren lediglich sechs Ordensschwestern.
„Wir konnten die Sonntagsmesse nur unter Ausschluss der Öffentlichkeit in der italienischen Botschaft in Kabul feiern. Die größte Schwierigkeit war, dass wir uns nicht frei bewegen konnten. Wir, Frauen, mussten immer von einem Mann begleitet werden. Frauen werden wie Gegenstände behandelt“, sagt Schwester Shahnaz Bhatti. Religionsfreiheit sei in Afghanistan nicht berücksichtigt worden: Ein Kreuz durften die Ordensfrauen nicht tragen.
Familien in Gefahr
Ihr Orden betrieb eine Schule für Kinder mit Behinderung. Die Schwestern wurden auch von einheimischen Lehrern, Wachpersonal und Köchen unterstützt. Ein Teil der Mitarbeiter konnte vor den Taliban gerettet werden: Die Ordensfrauen wurden zusammen mit 14 schwerstbehinderten Kindern und einigen Unterstützern vom italienischen Militär ausgeflogen – in letzter Sekunde. Nur einen Tag vor dem Anschlag auf den Flughafen erreichten die Schwestern ihren Flieger: „Die Fahrt zum Flughafen war schwierig. Es gab Schießereien, wir mussten zwei Stunden anhalten und uns in Sicherheit bringen. Aber am Ende haben wir es geschafft“, so Schwester Shahnaz Bhatti. Doch die Familien, deren Kinder die Schwestern betreuten, mussten zurückbleiben. „Sie blieben in ihren Häusern und sind weiter in Gefahr“, so die Schwester gegenüber „Kirche in Not“.
Das päpstliche Hilfswerk „Kirche in Not“ unterstützt verfolgte und bedrängte Christen auf der ganzen Welt. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde das Hilfswerk vom belgischen Prämonstratenser-Pater Werenfried van Straaten gegründet, um nach dem zerstörerischen Krieg für Versöhnung zu sorgen und Heimatvertriebene zu betreuen. Heute kümmert sich das Hilfswerk auf der ganzen Welt um Christen in Not. So unterstützt „Kirche in Not“ etwa Christen in Syrien und im Libanon finanziell; weltweit werden Gemeinden vor Ort wie auch die Priesterausbildung subventioniert. Das Hilfswerk berichtet weiter regelmäßig über Christenverfolgungen und Verstößen gegen die Religionsfreiheit.
Sorge vor der Zukunft Afghanistans
Bereits im August zeigte sich das Hilfswerk besorgt über die Lage in Afghanistan. „Wir sind zutiefst schockiert und alarmiert über die Ereignisse in Afghanistan“, sagte Thomas Heine-Geldern, der geschäftsführende Präsident von „Kirche in Not“. Dabei verwies er auf die Herrschaft der Taliban von 1996 bis 2001; damals hatten die Islamisten die Scharia landesweit eingeführt. „Wir können auch jetzt damit rechnen, dass die Scharia wieder eingeführt, der sunnitische Islam zur offiziellen Religion erklärt wird und die in den vergangenen 20 Jahren hart erkämpften Freiheiten und Menschenrechte, einschließlich eines gewissen Maßes an Religionsfreiheit, wieder zurückgenommen werden“, so Heine-Geldern weiter.
Und trotzdem ist Schwester Shahnaz Bhatti mutig: „Ich wäre die erste, die nach Afghanistan zurückkehren würde“, sagte sie gegenüber „Kirche in Not“. Ihre Bitte: Die westlichen Mächte müssten sich dafür einsetzen, dass wieder Helfer nach Afghanistan einreisen dürften – wie sie und ihre Ordensschwestern. Besonders Bildung sei wichtig: „Es gibt viele junge Frauen, die ihre Freiheitsrechte nicht aufgeben wollen. Aber es ist notwendig, die junge Generation auszubilden. Demokratie wird nicht exportiert, sie wird kultiviert.“
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