Flucht und Armut spielen eine große Rolle in der Bibel. Die Botschaft: Gott steht auf der Seite der Ausgegrenzten. Damit ist aber auch eine Aufforderung an die Menschen verbunden: Steht den Armen bei. Ein Impuls von Benedikt Bögle.

Das erste Wort, das Abraham in der Bibel von Gott hört, ist die Aufforderung, sein eigenes Land zu verlassen. Die erste Lesung des zweiten Fastensonntags berichtet davon (Genesis 12,1-4). Samt seiner Familie soll er die vertraute Umgebung verlassen und in das Land Kanaan ziehen. Abraham wagt diesen Sprung in das Ungewisse, er geht fort und sucht sein Glück in unbekannten Landen. Nicht lange befindet er sich in seiner neuen Heimat, als er schon wieder fortziehen muss: Eine Hungersnot bricht über das Land herein, Abraham muss die Koffer packen und mit seiner Frau nach Ägypten auswandern – wenigstens vorübergehend.
Generationen im Exil
Die Bibel ist voller Geschichten über Menschen, die ihre Heimat verlassen mussten. Der junge Joseph etwa wird von seinen Brüdern an Sklavenhändler verkauft, die ihn nach Ägypten verschleppen. Mit der Zeit kann Joseph dort Karriere machen, seine Familie kommt später nach. Am Anfang werden die Israeliten in Ägypten freundlich behandelt, später aber verfolgt und zu Sklaven gemacht. Als Babylon im sechsten Jahrhundert vor Christus Jerusalem erobert, verschleppen die neuen Machthaber die Elite des Landes nach Babylon. Fernab der Heimat müssen die Israeliten leben, fernab auch vom Tempel in Jerusalem, dem Ort, an dem sie Gott begegnen konnten – eine Zeit, die den jüdischen Glauben bis heute prägen sollte.
Gott ist ein Gott der Kleinen
An vielen Stellen reflektiert die Bibel menschliches Leid. Kaum eine Regung der menschlichen Seele bleibt der Heiligen Schrift verborgen. Das geht so weit, dass ein Glaubensbekenntnis der Bibel die Identität des jüdischen Volkes über seine leidvolle Flüchtlingsgeschichte beschreibt: „Mein Vater war ein heimatloser Aramäer. Er zog nach Ägypten, lebte dort als Fremder mit wenigen Leuten und wurde zu einem großen, mächtigen und zahlreichen Volk.“ (Deuteronomium 26,5) Dabei reflektiert die Heilige Schrift nicht nur leidvolle Erfahrungen, sondern bringt auch den starken Glauben zum Ausdruck, Gott stehe gerade auf der Seite der Flüchtlinge, Armen, Entrechten. Gott ist ein Gott der Kleinen.
„Du sollst das Recht nicht beugen“
Gleichzeitig ist damit aber auch eine Handlungsanweisung verbunden. Es genügt nicht, das Leid der Armen zu sehen – es müssen auch Taten folgen. Immer wieder folgen Handlungsanweisungen an die Gläubigen. Ihnen kann Leid nicht gleichgültig sein. „Einen Fremden sollst du nicht ausnützen oder ausbeuten, denn ihr selbst seid im Land Ägypten Fremde gewesen“, heißt es etwa (Exodus 22,20). „Du sollst das Recht von Fremden, die Waisen sind, nicht beugen“ (Deuteronomium 24,17).
Den Blick wenden
Manchmal nur ist es gar nicht so einfach, Arme und Bedürftige zu identifizieren. Menschen können ja nicht nur in materieller Hinsicht leiden. Menschen leiden an seelischen Verletzungen oder sind einsam, sehen keinen Ausweg in ihrem Leben oder sind von den Erwartungen anderer überfordert. Auch ihnen gilt die Aufforderung der Heiligen Schrift: Wer Hilfe braucht, wer Beistand sucht oder Gesellschaft wünscht, darf nicht verstoßen werden. Zur Fastenzeit gehört es, den eigenen Blickwinkel zu wenden. Was übersehen wir in unserem Alltag, wo gehen wir nur eingetretene Wege, wagen nichts Neues? Wo übersehen wir Menschen in unserem nächsten Umfeld? Wer braucht Hilfe – und sei es nur durch ein gutes Wort – und erhält sie nicht? Das kann eine Aufgabe für die Fastenzeit sein: Den Blick auf Andere wenden – gerade auf die Armen und Bedürftigen.
Schreibe einen Kommentar