Wo junge Mütter allein gelassen sind und Erziehung im Alltag zu einer schweren Last wird, geben die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Vereins „Lichtblick e.V.“ wertvolle Hilfestellungen. Wie dies geschieht und wo Lichtblicke im Alltag sichtbar werden, schildert f1rstlife-Autor Manuel Hoppermann im Gespräch mit der 1. Vorsitzenden Sigrid Gilhaus, der 2. Vorsitzenden und Leiterin des Begegnungscafés Renate Lübben und der jungen Mitarbeiterin Jana Kruse.
Frau Gilhaus, der Verein „Lichtblick e.V.“ hat seine Räumlichkeiten seit 2019 hier in Aurich. Sind Sie gut angekommen?
Gilhaus: Ja, das ging schnell. Ich bin schon seit 2006 Mitglied des Vereins und habe die Position der Vorsitzenden seit 2009 inne. Von daher kenne ich die Umstände und die Vereinsarbeit aus Emden, wo unser Verein gestartet hat. Da ich hier in Aurich wohne und wir die Räumlichkeiten über einen bekannten Architekten mieten konnten, haben wir unsere Arbeit in Aurich nahtlos fortgesetzt und erweitert.
Welche Schwerpunkte haben Sie sich seither für Ihre Arbeit gesetzt und wie hat sich der Verein hier in Aurich entwickelt?
Gilhaus: Es wird immer mehr! In erster Linie geht es uns – wie von Anfang an – um die Schwangerschaftskonfliktberatung. Wir ermutigen schwangere Frauen dazu, ihre Mutterschaft anzunehmen und begleiten sie, wenn möglich natürlich auch die werdenden Väter in ihren unterschiedlichen Situationen. Es sind vor allem junge Menschen, die Kontakt zu uns aufnehmen. Auf dem Weg durch die verschiedensten Schwierigkeiten soll jede einzelne Person von uns so wahrgenommen werden, wie sie ist – jede ist schließlich einzigartig. Wir führen unsere Gespräche oft in einem sogenannten Begegnungscafé, einem Ort, an dem wir ohne Druck und ohne Erwartung einfach für die andere Person da sind und zuhören. Ich bin wirklich sehr froh, dass ich bei so einer verantwortungsvollen Aufgabe nicht allein bin, sondern die Verantwortung gemeinsam mit Renate Lübben trage.
Es gibt zwar viel Arbeit hinter dem Schreibtisch und das ist wichtig. Aber wenn ich nur das tun müsste, wäre mir das viel zu wenig. Ich bin hier vielmehr in jedes Anliegen mit involviert und wir sind ein kleines, aber sehr starkes Team mit vielen Talenten. Frau Lübben und ich kommen beide aus dem kaufmännischen Bereich. Wir haben beide verschiedene Fortbildungen in der Beratung, im Coaching und in der Seelsorge absolviert, die uns nun bei unserer seelsorgerischen Tätigkeit helfen. Hinzukommt, dass wir jetzt mit Jana Kruse auch unsere feste Mitarbeiterin in der Erziehungsberatung ausbilden lassen können, worüber wir uns sehr freuen. Jana ist schon jetzt eine wichtige Mitarbeiterin im Begegnunscafé.
Frau Lübben, als Leiterin des Begegnungscafés, das Frau Gilhaus gerade angesprochen hat: Wie wichtig ist das Café als Ort für Gespräche mit den Menschen in Not?
Lübben: Er ist sehr wichtig. Unser „Café Lichtblick“ ist ein ganz wichtiger Bestandteil eben für den ersten Kontakt auf einer sehr persönlichen Ebene. Die jungen Menschen sollen sich an diesem Ort so gehört und verstanden fühlen, dass sie einfach sie selbst sein können, angenommen sind mit all ihren Sorgen, Ängsten und Anliegen. Wir alle haben schließlich in unserem Leben bestimmte Nöte, die wir nicht immer alleine lösen können. Oft hilft es diesen Menschen bereits, wenn wir ein offenes Ohr für sie haben und lediglich zuhören.
Und wenn wir einmal nicht weiterwissen, wenn die Sorgen sogar gewaltsame Ausmaße annehmen, arbeiten wir außerdem eng mit dem Jugendamt des Landkreises Aurich zusammen. Frau Gilhaus übernimmt Betreuungsweisungen vom Amtsgericht. Durch diese Kontakte besteht auch die Möglichkeit, uns professionell und ergänzend auszutauschen und Absprachen zu treffen, um unsere jungen Menschen und ihre Kinder noch besser unterstützen zu können.
Erzählen Sie uns mehr über die Menschen, die hilfesuchend zu Ihnen kommen.
Gilhaus: Der Großteil ist ungewollt oder unverhofft schwanger. Viele junge Menschen werden mit ihren Sorgen allein gelassen. Das führt dazu, dass sie sich heutzutage auf eigene Faust informieren. Da müssen wir einen Schwangerschaftsablauf nicht mehr darstellen. Es steht vielmehr die große Frage im Raum, wie es nach diesem „Schock“ weitergeht. Und da setzen wir an.
Was bedeutet das ganz konkret?
Lübben: Da gibt es zum Beispiel eine junge Mutter in einer Beziehung. Sie ist unverhofft schwanger geworden. Der Kontakt zu ihrer Mutter ist nur sporadisch. Zum Vater hat sie guten Kontakt. Zuerst überlegt sie, das Kind nicht zu behalten. Dann entscheiden sie und ihr Partner sich gemeinsam doch für das Kind. Die Beziehung zum Kindsvater bricht wenig später auseinander. Die werdende Mutter muss in ihrem Leben neu starten. Sie stellt sich plötzlich immer mehr lebensnotwendige Fragen: Wie geht es nun weiter? Wie schaffe ich das alles allein?
Da kommen wir zur Hilfe. Wir begleiten sie auf ihrem ganz persönlichen Weg zur Mutterschaft. Wir unterstützen sie und machen ihr Mut. Ein Problem ist häufig, dass viele jungen Mütter nicht genug Rückhalt in der Familie haben. In meinen Augen ist das das größte Problem: das Gefühl, mit allem allein dazustehen.
Das heißt, Sie halten und pflegen den Kontakt, auch über die Schwangerschaft hinaus?
Gilhaus: Ja, wir wollen mit unserem Verein mit den Müttern auch nach der Geburt in Kontakt bleiben. Das ist auch der Grund, weshalb wir nicht zum Schwangerschaftsabbruch begleiten. Es gibt nur sehr wenige Frauen, die danach zurückkehren. Die Schuldfrage wird dann sehr laut. Mir wurde das auf einer Gesundheitsmesse einmal deutlich, auf der wir als Verein vertreten waren: Eine 80-jährige Frau kam auf uns zu und war sehr dankbar für unsere Präsenz. Sie musste in jungen Jahren abtreiben und ist jetzt, viele Jahrzehnte später, immer noch in Trauer. Da nimmt man das viele Leid wahr, das einen Menschen belastet. Solche Erlebnisse bestärken uns als Verein, begleitend und eben nicht bloß beratend weiterzumachen. Das zeichnet uns aus.
Lübben: Und es sind nicht nur Frauen, die wir begleiten wollen. Ich erinnere mich auch an einen Mann, dessen Freundin abgetrieben hat. Er hatte sich auf seine Vaterschaft gefreut. Doch dann treibt seine Freundin ein erneutes Mal in der Beziehung ab. Diese Beziehung ist bereits konfliktgeladen, absolut instabil. Der Mann leidet und kommt mit dieser Situation über lange Zeit nicht klar. Weinende junge Männer vor sich zu haben, ist noch eine ganz andere Herausforderung, als weinende Frauen vor sich zu haben. Viele Männer sind mit der Entscheidung der werdenden Mütter, die Schwangerschaft abzubrechen, nicht einverstanden. Leider suchen sie meistens keine Hilfe in ihrer Situation und versuchen, allein damit zurechtzukommen.
Kruse: Ich habe eine Bekannte, die schwanger war und deren Mutter dann verstarb. Sie ist eine zurückhaltende Person und sie braucht Unterstützung in Erziehungsfragen. Ihre Familie leistet Widerstand aufgrund von Vorbehalten gegenüber ihrem Partner. Die Familiensituation ist sehr konfliktgeladen. Ich habe sie dann mit hierher gebracht und es hat sich als sehr richtige Entscheidung herausgestellt.
Wie würden Sie es in einem Satz formulieren: Was ist das Ethos von „Lichtblick e.V.“?
Gilhaus: Wir stehen für das Leben, in begleitender Weise!
Kruse: Wir sind alle füreinander da, in einer familiären Atmosphäre, wie in einer richtigen Familie.
Persönliche Gespräche, Begleitung auch nach der Schwangerschaft – Ihr Engagement ist zeitintensiv. Wie koordinieren Sie die Arbeit intern, um den immer wiederkehrenden Herausforderungen dauerhaft gewachsen zu sein?
Gilhaus: Wir können wirklich nur so frei und viel arbeiten, da unsere Ehemänner unsere Arbeit sehr schätzen und uns im Hintergrund unterstützen. Ein älteres Ehepaar und eine weitere Frau sind während der Öffnungszeiten des Cafés immer mit dabei. Sie kümmern sich auch um die jungen Eltern. Für die jungen Menschen sind sie sehr wichtige Bezugspersonen.
Wir haben außerdem keine festen Arbeitszeiten, denn viele Anrufe kommen sehr früh am Morgen oder sehr spät am Abend. Wir freuen uns sehr über das Vertrauen, das uns entgegengebracht wird. Es gibt Nächte mit wenig Schlaf, weil wir uns Sorgen machen oder gedanklich nur schwer abschalten können, wenn es schwerwiegende Situationen gibt. Da ist es wichtig, dass wir uns selbst auch Grenzen setzen. Hilfe zur Selbsthilfe ist da die Lösung.
Lübben: Uns bestärkt außerdem, wie viel Wertschätzung die jungen Mamas uns Mitarbeitenden entgegenbringen. Jede möchte am liebsten jeden Fortschritt mit uns teilen oder von noch so kleinen Problemen mit uns sprechen, um sie zu lösen. Da fiebern wir einfach mit und freuen uns genauso über jeden Erfolg, den sie erleben und für sich reflektieren.
Gilhaus: Unser Verein ist eben kein hierarchischer Betrieb. Das ist hier ein bezahltes Ehrenamt, welches in kein enges Zeitkorsett passt. Wir arbeiten auf Augenhöhe und tun das als Team. Die zehn Stunden pro Woche, die Renate Lübben und ich jeweils haben, reichen lange nicht für die tatsächliche Arbeit. Aber darauf stellen wir uns ein und darum ist mir zum Beispiel eine Weiterbildung ein großes Anliegen, da wir so die Verantwortung auch zukünftig besser verteilen können.
Der Verein hat ein christliches Profil. Wie setzen Sie die christlichen Werte konkret im Alltag um?
Gilhaus: Es ist die Liebe und der Respekt für jeden, der Hilfe braucht. Wie in einer Familie. Da gehen wir authentisch dran und spulen kein Programm ab. Das ist dann christliche Nächstenliebe, in der wir nicht ignorieren oder ausgrenzen. Jeder Mensch hat viele Stärken und Begabungen in sich. Diesen Diamanten in jedem wollen wir ausstrahlen lassen. Darum kümmern wir uns.
Lübben: Es gibt hier in Aurich viele Kirchengemeinden. Wir bieten unseren Gästen regelmäßig „Kirchenbummel“ an. Wir besuchen dann die verschiedenen Gemeinden, mit dem Ziel, ein Türöffner zu sein und sie mit Jesus Christus in Kontakt zu bringen. Wir sind hier alle gläubig und beten auch gemeinsam. Wir haben mit den Mitarbeitenden und Gästen eine Mutter und ihren Sohn zu deren Taufe begleitet und diese in den Vereinsräumen gemeinsam gefeiert. Jana Kruse hat einige Gäste und Mitarbeitende zu ihrer Hochzeit eingeladen und diese dann im Café Lichtblick mit ihrer Familie, Freunden und uns gefeiert.
Wie wird Ihre Vereinsarbeit unterstützt – in materieller, sowie auch geistlicher Hinsicht?
Gilhaus: Wir sind auf Spenden angewiesen, auch damit wir uns hier weiterentwickeln können. Da denke ich auch an die Weiterbildungen, die ich gerade schon erwähnt hatte. Das bereichert uns alle. Wir erhalten Spenden von der Stiftung Ja zum Leben, für die wir sehr dankbar sind, von privaten Unterstützern und dann kommen auch immer mal punktuell finanzielle Hilfe von den Kirchengemeinden und Gelder vom Amtsgericht der Stadt Aurich. Geistlich helfen wir uns gegenseitig. Da haben wir aber auch Unterstützung durch einen Pastor im Ruhestand aus dem Vorstand.
Lübben: Wir haben außerdem einen Mitarbeiter, der in seiner Kirche sehr engagiert ist. Er ist für unsere Gäste Ansprechpartner in Glaubensfragen und Fragen zur Bibel. Er hat einen Segnungsgottesdienst im Verein ausgerichtet, der sehr gut angenommen wurde.
Gestärkt durch Ihre Arbeit: Wo sehen Sie ganz konkret Lichtblicke in unserem oft sehr grauen und tristen Alltag?
Lübben: Nehmen wir eine junge Frau, die ein schwieriges Verhältnis zu ihrer Mutter hat. Ihr fehlt anfangs die Bindung zu ihrem Kind. Sie ist froh gewesen, wenn sie das Baby im Café auch mal abgeben konnte. Nach circa einem halben Jahr merkt sie, wie traurig sie darüber ist und fängt an, an sich und der Bindung zu ihrem Kind zu arbeiten. Wir haben sie telefonisch begleitet. Nachdem es einige Male auf und ab ging, nach vielen Besuchen im Café und sehr vielen Telefonaten ist es geschafft: Sie holt ihren Realschulabschluss nach und beginnt in diesem Jahr ihre Ausbildung zur Erzieherin. Solche Lichtblicke sind für uns alle große Ermutigungen, die Kraft geben – und solche Geschichten, die die Welt ein Stück besser machen, erleben wir bei uns immer wieder.
Wenn Sie nun in die Zukunft blicken – Was wünschen Sie sich für „Lichtblick e.V.“?
Gilhaus: Wir werden uns weiterhin auf die Schwangerschaftsberatung und auf die Begleitung konzentrieren. Dann ist mir wichtig, dass wir Fortbildungen und Coachings anbieten können und sich viele Spenden sammeln, damit wir hier ein Haus mit Garten zum Spielen für die Kinder suchen können. Es gibt so viele Möglichkeiten, wie etwa Tagesausflüge zu den umliegenden Bauernhöfen oder auch tiergestützte Therapie. Wir sehen, wie viel Bedarf es gibt, um junge Mütter mit ihren Kindern zu unterstützen. Ich persönlich möchte noch möglichst lange mit dabei sein können.
Lübben: Das wäre auch für mich ein großes Ziel: neue Räume zu finden und für die Kinder mehr Platz zum Spielen im Außenbereich.
Kruse: Ich möchte, dass wir immer füreinander da sind und bleiben!
Der Verein „Lichtblick e.V.“ wurde 1990 von einer überkonfessionellen Gruppe engagierter Christen in Emden gegründet mit dem Schwerpunkt der Begleitung von jungen, schwangeren Mädchen und Frauen. Die Niederlassung mit Sitz in Aurich gibt es seit 2016. Seit 2019 findet man die Räumlichkeit des Vereins in der Innenstadt von Aurich. Das Portfolio des Vereins hat sich in den letzten Jahren stark ausgeweitet und neben der Begleitung von jungen Müttern und Vätern werden auch Coachings für verhaltensauffällige Jugendliche angeboten. Hilfestellungen in einen eigenständigen Lebensalltag sind dabei ein angestrebtes Ziel. Erster Ort der Begegnung ist ein Begegnungscafé. Ein kleines Team kümmert sich um persönliche Anliegen. Die Werte einer Familie mit Liebe und Respekt sind oberste Priorität.
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