Mit Alina* spreche ich über ihre finanziellen Sorgen und Nöte, die sich während einer psychischen Erkrankung ergeben haben. Wie sie damit einen Umgang gefunden hat, welche Tipps ihr geholfen haben und welche möglichen Hilfsangebote es gibt, erfährst du in diesem Interview.
*Name von der Redaktion anonymisiert
Liebe Alina*, warum ist es dir so wichtig, über dieses Thema zu sprechen?
Meistens ist es noch ein Tabu, über die persönliche, finanzielle Lage zu sprechen. Wenn eine psychische Erkrankung dazu kommt, fällt das Thema oft ganz unter den Tisch. Auch bei meinen bisherigen psychiatrischen Aufenthalten wurde dafür kaum Raum zum Austausch gegeben.
Bei einzelnen Mitpatienten erkundigte ich mich vorsichtig nach deren Erfahrungsschätzen und Tipps. Manches hätte ich gerne früher gewusst und deshalb möchte ich dazu beitragen, dass das Thema an Aufmerksamkeit gewinnt.
“Meistens ist es noch ein Tabu, über die persönliche, finanzielle Lage zu sprechen. Wenn eine psychische Erkrankung dazu kommt, fällt das Thema oft ganz unter den Tisch.”
Was sind deiner Meinung nach, die besonderen Herausforderungen?
Einerseits denke ich, dass man zunächst mit einer psychischen Erkrankung leben lernen muss. Das kann sehr anstrengend, kräftezehrend und zeitintensiv sein. Ich befand mich damals recht plötzlich in einer akuten, psychischen Krise. So konnte ich keine Jobs als Einnahmequelle während meiner Studienzeit annehmen. Selbst nach dem Abbruch meines Studiums und einer abgeschlossenen Ausbildung, war ich nicht in der Lage, in Vollzeit zu arbeiten.
Es können viele Faktoren zusammentreffen, die sich in Summe ungünstig auswirken: geringere Belastbarkeit, weniger Antrieb, Sucht- und Abhängigkeitsverhalten, geringes Selbstwertempfinden, Stimmungsschwankungen, erhöhtes Konsumverhalten, übermäßige Werbung in sozialen Medien, etc. Mir fiel es sehr schwer, mich emotional zu beruhigen, wenn ich viel Stress hatte. Da griff ich gehäuft auf Frusteinkäufe oder Ersatzbefriedigungen zurück. Folglich war ein Teufelskreis recht schnell in Sicht.
Wie sah so ein Teufelskreis aus?
Nach meinem ersten Psychiatrieaufenthalt verbrachte ich einige Zeit zu Hause, um mich zu stabilisieren. Die Zeit schien stehen zu bleiben, die Einsamkeit machte sich breit und sinnvolle Beschäftigungen fehlten mir. Überhaut hatte ich keinen Lebenssinn mehr und fühlte eine tiefe, innerliche Leere. Ich scrollte durch Internetseiten und war stets auf der Suche, was mich glücklich machen könnte.
„Vielleicht brauche ich eine neue Sporthose, dann mache ich wieder Sport. Oder ein neues Smartphone? Oder doch XY?“ Die Bestellungen waren leicht vollzogen, die Freude groß, wenn die Paketboten die Ware übergaben, aber die Rechnungen blieben liegen. Dafür reichte die Kraft nicht mehr. Die gelieferten Produkte waren kurzfristig befriedigend und danach übernahm die Depression wieder die Überhand. Als Konsequenz stellten sich Scham- und Schuldgefühle ein und ich hatte riesige Ängste, die Rechnungen nicht mehr bezahlen zu können. Ich hatte gar keinen Überblick mehr. Es war mir kaum möglich, diesen Teufelskreis selbst zu durchbrechen.
Wie hast du den Durchbruch geschafft?
Ich habe einer Person mein finanzielles Problem anvertraut und um Hilfe gebeten. Ich wollte mich der offenen Rechnungssumme stellen und meine Einnahmen und Ausgaben notieren. Ich war schockiert über mein unreflektiertes Konsumverhalten. Ich war so getrieben und unruhig in dieser psychischen Krise, sodass ich die Kontrolle über mein Kaufverhalten verlor.
Wie hat sich mittlerweile dein Konsumverhalten verändert?
Ich habe mir klare Regeln festgelegt. Demzufolge führe ich eine Wunschliste, die ich in die Kriterien „dringlich“ und „notwendig“ unterteile. So priorisiere ich Anschaffungen und überlege mir vorher, was ich auch langfristig verwenden möchte. Dadurch habe ich mir eine Kaufbremse eingerichtet.
Um auf keine emotionalen Käufe hereinzufallen, gehe ich vorher in mich und versuche eine Antwort auf die Frage: „Welche Bedürfnisse stecken hinter diesem Konsumwunsch?“ zu erhalten. Vielmals kristallisieren sich unbezahlbare Bedürfnisse heraus: Wunsch nach Nähe, Geborgenheit, Sicherheit, sich wertvoll fühlen, Befriedigung, etc. „Was brauche ich wirklich?“, ist hierbei meine Gretchenfrage.
“Ich habe mir klare Regeln festgelegt. Demzufolge führe ich eine Wunschliste, die ich in die Kriterien `dringlich´ und `notwendig´ unterteile.”
Hast du noch weitere Tipps?
Ich vermeide „pay later“ oder Ratenkaufangebote, weil ich eine zeitnahe Rechnungsbegleichung brauche, um mir die Kosten für meinen Konsum bewusst zu machen. Auch gehe ich heute offener mit meinen finanziellen Schwierigkeiten um. Ich sage lieber früher meinen Freunden, dass ich aus finanziellen Gründen irgendwo nicht mit hin kann oder etwas konsumiere, anstatt ihnen später meinen Schuldenberg zu präsentieren. Früher hatte ich sehr viel Scham und meine Probleme versteckt. Das habe ich verändert und eine neue Sichtweise entwickelt.
Aus meiner finanziellen Lage heraus kaufe ich mehr in Sozialkaufhäusern, auf dem Flohmarkt, auf Portalen mit Gebrauchtwaren ein. Krisen will ich als Chance sehen. Ich komme auf Ideen, die mein Leben bereichert haben: selbst Gemüse anpflanzen, reparieren anstatt neu kaufen, Lebensmittelretterangebote ausprobieren, produzieren statt konsumieren, ausleihen statt kaufen, erst das Produkt ausprobieren vor einem Kauf, bar statt mit Karte bezahlen, mich mit Minimalismus beschäftigen, etc.
Die größte Erkenntnis war für mich, dass mein Wert oder meine Würde als Mensch sich nicht veränderte, wenn ich mir Dinge gönnte und übermäßig einkaufte. Ich fühlte mich nicht langfristig wertvoller nach Käufen, sondern nur kurzfristig. Auch beschäftigte ich mich damit, was mir im Leben eigentlich wichtig ist. Mich hat der Wert „Maß halten“ sehr angesprochen und ich wollte diesem nacheifern. Schließlich war ich darüber erschrocken, wie unfrei ich geworden war, indem ich eine Kaufsucht entwickelt habe. Das hat mich stark angetrieben, eine Veränderung in meinem Konsumverhalten herbeizuführen. Des Weiteren habe ich erkannt, dass ich mutiger auftreten darf und auch Geld einfordern muss. So gab ich beispielsweise Nachhilfe und der Schüler brachte den ausgemachten Lohn nicht mit. Schließlich war die Lernbegleitung nach ein paar Wochen beendet, aber die Rechnung nicht beglichen.
“Die größte Erkenntnis war für mich, dass mein Wert oder meine Würde als Mensch sich nicht veränderte, wenn ich mir Dinge gönnte und übermäßig einkaufte.”
Was ist dir noch besonders wichtig anzusprechen?
Ich möchte anderen psychisch, erkrankten Menschen Mut zusprechen, dass es eine Stärke ist, sich frühzeitig Unterstützung für seine finanzielle Lage zu suchen. Außerdem gebe ich gerne meine Checkliste für Spartipps weiter und mögliche Anlaufstellen bei finanziellen Schwierigkeiten.

Checkliste für finanzielle Spartipps
- Gehe nicht mit Hunger oder Appetit einkaufen
- Sorge für Stressregulierung, bevor du einkaufen gehst
- Stelle vorab eine Einkaufsliste auf
- Vermeide im Einkaufsladen Bereiche, die mögliches Suchtverhalten reaktivieren könnten (zum Beispiel Alkohol, Süßigkeiten, etc.)
- Bereite zu Hause dein Essen und Trinken zu, anstatt es auf dem Weg irgendwo zu kaufen
- Nutze Rabattangebote, kaufe bedacht auf Vorrat
- Kaufe Kleidungsstücke, die langlebig, zeitlos und gut kombinierbar sind
- Das Kriterium „Welche Farben stehen mir?“, könnte hilfreich sein, eine engere Auswahl in der Kleidungsabteilung zu schaffen
- Führe Buch über deine Ein- und Ausgaben, zeige diese eventuell einer Vertrauensperson, die dich bei Finanziellem unterstützt
- Richte einen finanziellen Genusstopf ein: Hierin sparst du Geldbeträge, die du für Genussmittel ausgeben willst, lege eine monatlichen Ausgabegrenze fest
- Probiere Second-Hand Artikel aus
- Leihe Bücher aus, nutze digitale Bücherangebote über Bibliotheken
- Abonniere keine Newsletter, die vorwiegend Werbungen enthalten
- Mache dir bewusst, dass Werbung ein Mangelempfinden suggerieren will
- „Oh, das wäre so schön, XY zu haben!“, stelle dir die Frage: „Brauche ich das wirklich?“
- Bestelle in Shoppingportalen nicht mehr, als du brauchst, vermeide Rücksendungen
- Surfe in Shoppingportalen gezielt, wonach du suchst, lege vorab Kriterien fest
- Vermeide Langeweile-Einkäufe
- Spare nicht am Falschen (minderwertige Qualität, toxische Inhaltsstoffe, etc.)
- Mache dir bewusst, dass Sparen nicht bedeutet „Hauptsache billig einzukaufen“, sondern achtsam und reflektiert
- Tätige keine Einkäufe, weil dein Freund/Nachbar etc. sich etwas gekauft hat, übertrumpfe kein Kaufverhalten
- Definiere dich nicht über materielle Habseligkeiten
- Besinne dich auf deine Werte, „Worauf möchtest du dein Leben ausrichten?“
- Verfalle in keinen Kontrollwahn, deine finanzielle Lage zu überwachen, entwickle eine gewisse Gelassenheit
- Wenn du eine Dienstleistung in Anspruch nehmen willst, erkundige dich vorab nach Preislisten
Mögliche Anlaufstellen bei psychischen Erkrankungen und finanziellen Problemen/Schulden
- Sozialpsychiatrischer Dienst vor Ort kontaktieren, mögliche Beratungs- und Hilfsangebote in Anspruch nehmen
- Suche, wenn nötig, eine Schuldnerberatung vor Ort auf
- Nutze digitale Angebote
- Absolviere ein Finanzcoaching
(Links Zugriff am 29.04.2025)
Hast du Erfahrungen mit finanziellen Nöten und psychischen Erkrankungen? Was sind deine Erfahrungen und Tipps?
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