Italien wurde sehr hart von der Coronakrise getroffen, das wissen wir wohl alle aus den Medien. Bestimmt werden vielen von uns auch die Bilder der endlosen Särge nicht so schnell aus dem Gedächtnis verschwinden. Abgesehen von den vielen Opfern war es aber ebenso äußerst schlimm für die wirtschaftliche Lage Italiens. Was mich deshalb vor allem interessiert: Wie wirkt sich das Ganze auf Jugendliche zwischen Schule und Beruf aus?

So geht Schule in Italien
Alle italienischen Kinder besuchen zuerst fünf Jahre lang die Grundschule (scuola elementare), bevor sie dann wieder gemeinsam auf die Mittelschule (scuola media) übertreten. Diese ist nicht zu verwechseln mit der gleichnamigen Schule in Deutschland, denn in Italien besuchen alle Schüler, unabhängig von schulischen Leistungen oder Fähigkeiten, drei Jahre lang die Mittelschule bis zu ihrem Abschluss (licenza di scuola media).
Ab jetzt trennen sich ihre Wege und die jungen Schüler haben mehrere Möglichkeiten, sich weiter ausbilden zu lassen. Die erste Option ist der Wechsel auf eine weiterführende Schule (scuola superiore), entweder auf das Gymnasium (liceo), Schulen mit spezieller Ausrichtung, wie zum Beispiel einer Wirtschafts- oder Technikerschule (instituto tecnico) oder auf eine Berufsschule (instituto professionale). Alle diese Schularten schließen die Schüler nach fünf Jahren mit dem Abitur (maturità) ab.

Der Weg nach der Schulzeit
Nach dem Abschluss können sich die Abiturienten dann entscheiden, ob sie für ein Studium an eine Universität gehen, eine Ausbildung (appendistato) beginnen oder aber ins Ausland auswandern. Letzteres ist leider ein sehr gängiges Phänomen, vor allem im südlicheren Teil Italiens. Selbst in Zeiten vor Corona, war es auch mit einem Universitätsabschluss äußerst schwierig, einen festen Job zu bekommen. Aufgrund des gesetzlichen Kündigungsschutzes ist es für Betriebe nicht möglich, Mitarbeiter zu entlassen, wenn diese zum Beispiel nicht mehr gebraucht werden und Stellen reduziert werden sollen.
Deshalb binden sich die Unternehmen ungern und stellen nur noch befristete Arbeitsverträge für maximal sechs Monate aus. Dies nennt sich „precariato“ und bedeutet, dass junge Leute mit guten Ausbildungen in keinem festen (prekären) Arbeitsverhältnis stehen, die Arbeit oft nichts mit dem zu tun hat, welche Ausbildung der Arbeitnehmer hat und diese Arbeit dann auch noch schlecht bezahlt ist. Nicht gerade ein Anreiz für ein langfristiges Leben in Italien.
La Generazione Mille Euro (Die 1000 €-Generation)

Diese jungen Leute verdienen in einem solchen Praktikum circa 1000 Euro im Monat, weswegen sie auch „La Generazione Mille Euro“ (die 1000€-Generation) genannt wird. Der italienische Regisseur Massimo Venier, nahm diese Situation als Vorlage und drehte daraus einen Spielfilm. Er handelt vom jungen Mathematiker Matteo, welcher in einer Firma befristet beschäftigt ist, um sich irgendwie über Wasser halten zu können.
Nebenbei geht er als Hilfsdozent seiner eigentlichen Leidenschaft, der Mathematik, nach und hält stundenweise ein paar Vorlesungen. Seine Wohnung ist heruntergekommen, sein Vermieter droht mit der Kündigung, da Matteo trotz der zwei Jobs die Miete nicht bezahlen kann. Fast absehbar spielen zwei Frauen in diesem Film auch eine wichtige Rolle, zwischen denen sich Matteo entscheiden muss. Entweder er wählt seine Vorgesetzte Angelica und erhält dadurch die Möglichkeit, dem Prekariat zu entkommen und ein sicheres Leben zu führen oder er bleibt bei seiner Freundin Beatrice, die er sehr liebt und gründet gemeinsam eine Familie ohne viel Geld.
Was nun etwas kitschig klingt, stellt aber genau die Lage vieler junger Italiener da. Abitur, Universitätsabschluss, vielleicht sogar ein Doktortitel – aber keine Chance auf einen guten Job.
Da ist die Verlockung natürlich groß, im Ausland die Möglichkeit zu haben, seine Träume zu verwirklichen: Eine Arbeit, die Spaß macht, genug Geld für eine Bleibe und vielleicht sogar eine Familie gründen zu können. Diesen Vorgang der Abwanderung nennt man auf Italienisch „fuga dei cervelli“ – die Flucht der Gehirne. Soll also heißen, dass gut ausgebildete junge Leute und Fachkräfte auswandern, um woanders ein besseres Leben führen zu können.
Covid 19 – Das Virus, das alles zerstört
Wie man sich sicherlich denken kann, hat die Pandemie, welche ja in Italien noch deutlich extremer ausgeprägt war, als in Deutschland, die ohnehin schon schwierige Situation, deutlich verschlechtert. Wer vorher schon keinen Job fand, bekam in Zeiten der Pandemie erst recht keinen und durch die vielen Schließungen von Betrieben in ganz Italien, sieht es für die Menschen, die eine Stelle hatten, ebenso schwierig aus. Die wirtschaftliche Lage in ganz Italien ist schlechter denn je.
🔊 Junges Italien im Interview – wie ist die Lage tatsächlich? 🔊
Da es für mich, als Betrachterin von außen, natürlich extrem schwierig ist, die Lage zu beurteilen und ich mir keine falschen Behauptungen anmaßen möchte, habe ich die Möglichkeit genutzt, meine Austauschpartnerin vom Schüleraustausch in 2017, zu fragen, wie es wirklich für die jungen Leute in unserem Alter ist. Hier folgt das Interview:
Italien war sehr stark von Corona getroffen. Wie war die Lage bei dir direkt vor Ort?
Die Situation in Treviso (nördlich von Venedig) ist gravierend. Auch heute, obwohl der Lockdown vorbei ist und es mehr Freiheiten im Alltag gibt, ist uns bewusst, dass die Zahl der Infizierten immer noch hoch ist und es wichtig ist, aufzupassen. Der Lockdown war zuerst nur für die Region Lombardei und manche Teile des Veneto, darunter die Provinzen Padua, Venedig und Treviso, vorgesehen. Darauffolgend begannen viele Leute vom Norden in den Süden Italiens zu ihren Familien zu pendeln.
Um zu verhindern, dass die Zahl der Infizierten auch im Süden, wo das Gesundheitssystem weniger gut ausgebaut ist, steigen, erklärte der Ministerpräsident Italiens deshalb einen Lockdown für ganz Italien. Nach der Pressekonferenz des Präsidenten haben auch wir wirklich realisiert, dass die Situation gravierend ist, denn zuvor schien die Lage noch einzudämmen.
Was machst du beruflich (Ausbildung/Studium/Job?) und wie wirkte sich die Situation in Italien darauf aus?
Ich studiere „Moderne Geisteswissenschaften“ an der Universität Ca‘ Foscari in Venedig, eines Tages möchte ich Lehrerin für Italienisch an einer weiterführenden Schule werden. Covid hat die komplette schulische Einheit zerstört. Zwei Monate des Lockdowns waren die Schüler und Studenten gezwungen, sich den Stoff auf Distanz anzueignen, mit großen Einbußen beim Lernen und Verstehen. Jetzt wurden die Schulen gerade wieder geöffnet, aber die Unsicherheit ist groß.
Jede bildende Einrichtung hat andere Regeln und Maßstäbe eingeführt, einheitlich sind die Maskenpflicht und Abstandsgebote. Man hofft, dass in den Schulen keine neuen Infektionsherde entstehen werden. Glücklicherweise sind die Universitäten moderner ausgestattet als die Grund- und weiterführenden Schulen und können der Situation besser entgegentreten. Dies ermöglicht auch eine bessere Lehre auf Distanz und durch Platzreservierungen und durch das Befolgen der Abstandsregeln ist nun auch die Durchführung von Präsenzveranstaltungen wieder möglich.
Hast du mitbekommen, wie es Anderen in deinem Alter erging? Gab es finanzielle Probleme bei den Jugendlichen dadurch?
Für andere junge Leute in meinem Alter, die sich dafür entschieden haben, nach der Schule nicht zu studieren, ist die Situation äußerst schwierig. Es ist nicht leicht nach dem Lockdown einen Job zu finden, da sehr viele Arbeitsstätten schließen mussten. Leider gibt es momentan eine hohe Arbeitslosigkeit.
Viele junge Leute waren deshalb gezwungen, wieder bei ihren Eltern einzuziehen und versuchen, von deren Erspartem zu leben, solange die Möglichkeiten eine Arbeit zu finden, ausbleiben.
Wie wirkt sich die Situation psychisch auf junge Leute aus?
Es kommt drauf an. Manche Jugendliche wissen nicht, was sie tun sollen. Sie blicken nicht in eine positive Zukunft, wie die ihrer Eltern, welche eine befriedigende Arbeit fanden, heirateten und eine Familie gründeten. Das passiert sowohl unter den Jugendlichen, die einen Job suchen, als auch unter den Studenten.
Viele von ihnen studieren zwar, aber ohne wirkliche Motivation, da sie auch nicht wissen, wie es nach dem Studium weiter geht. Die Arbeitswelt hat sich konstant gewandelt und Corona stellt eine weitere Hürde dar. Natürlich gibt es aber auch junge Leute, die optimistisch sind und glauben, dass sich die Dinge regeln werden und, dass sie es aufgrund ihrer Fähigkeiten und ihres Willens schaffen werden, eine gute Zukunft zu haben.
Was erwartest du in der Zukunft? Was sind deine Hoffnungen/Träume?
Ich kann nicht sagen, was mich in der Zukunft erwarten wird. Ich persönlich denke, dass diese Pandemie nicht für immer andauern kann und, dass wir nach einer gewissen Zeit dort herauskommen. Meine Hoffnung ist, dass sich an Corona nicht weitere schlimme Krankheiten anschließen, dass kein Krieg entsteht und, dass sich keine andere Pandemie so schnell auf der Welt ausbreitet.
Ich hoffe, dass wir auf irgendeine Weise, die klimatischen Veränderungen und das Umweltproblem durch die Wissenschaften eindämmen können. Sicherlich ist es nicht zuverlässig, in diesen Zeiten an die Zukunft zu denken, aber ich habe immer die Hoffnung, dass der Mensch es schaffen kann und habe deswegen beschlossen, so gut es geht, meinen Teil dafür beizutragen.

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