Lieber Arash, lieber Armann, war "Everyday Rebellion" von Anfang an als Film über gewaltlosen Widerstand geplant?
Zu Beginn hieß das Projekt noch „Iran:Evolution“. Es ging um die unterdrückte iranische Protestbewegung. Die Initialzündung war die Niederschlagung der sogenannten „grünen Bewegung“ nach der Wiederwahl von Ahmadinejad. Die Menschen gingen auf die Straße und wurden brutal niedergeschlagen. Das mit anzusehen, ohne etwas daran ändern zu können, war der Grund, warum das Projekt ins Leben gerufen wurde. Aus der Notwendigkeit heraus, etwas verändern zu müssen, etwas beitragen zu wollen an den Demokratiebewegungen in diktatorischen Ländern wie dem Iran.
Und wie wird aus dem Gedanken dann ein Film?
Als wir zu arbeiten begannen, passierte vor unseren Augen: der „Arabische Frühling“, die Indignados, Occupy Wall Street. Wir waren immer schon Pazifisten und Kriegsgegner, aber als wir mit all diesen Bewegungen und ihren Protestmethoden konfrontiert wurden, stach sehr rasch ein gemeinsamer Nenner heraus: die Gewaltlosigkeit. Gewaltloser Protest, so zeigten neueste Studien, ist effektiver und erfolgreicher als gewalttätiger Protest.
Hat Sie Ihre eigene Familiengeschichte und Ihre Herkunft zusätzlich geprägt und dazu bewegt, den Film zu drehen?
Als Kinder politischer Flüchtlinge aus dem damals repressiven Regime des Irans hatten wir natürlich schon vor dem Film ein Problem mit Diktaturen und Ungerechtigkeit. Unsere Familiengeschichte wirkt sich auf unser Schaffen aus. "Everyday Rebellion" ist eine bewusste Entscheidung gewesen, ein Plädoyer für Gewaltlosigkeit in einer Welt, in der Gewalt immer noch allgegenwärtig zu sein scheint und von den Medien in den Vordergrund gerückt wird. Immerhin ist die Rüstungsindustrie sehr mächtig und Krieg ein Wirtschaftsmotor.
Manche im Film gesehenen Protestbewegungen sind noch ziemlich jung. Wie sind Sie filmisch an das Thema herangegangen?
Wir haben uns, sofern es unser Dreh gestattet hat, ins Geschehen gestürzt und einfach gefilmt. Ein Dokumentarfilm ist auch eine Reise, auf der man oft eines Besseren belehrt wird. Manche Bewegungen haben uns von Beginn an mit offenen Armen empfangen, andere mussten wir davon überzeugen, dass wir sie nicht ausnutzen oder falsch porträtieren wollen. Aber da wir immer ein Vertrauensverhältnis zu den Aktivisten und den Bewegungen schaffen konnten, haben sie uns nahe an sich herangelassen.
Sie hatten rund 1.400 Stunden Filmmaterial, am Ende werden jedoch nur wenige Bewegungen thematisiert. Warum haben Sie sich für diese entschieden und worin unterscheiden sie sich?
Jede Bewegung, die im Film gelandet ist, zeichnet sich durch einen oder mehrere Aspekte aus, die wir in unseren Dreharbeiten und schließlich im Schnitt herausarbeiten konnten. Bei den Indignados war es die Solidarisierung unter den Menschen, die Versammlungen und der Diskurs, der auf der Straße entstanden ist und die Menschen zusammengeführt hat. Die Occupy-Bewegung hat, nachdem sie „ihren“ Park verloren hat, auf kleine Affinity-Groups gesetzt, die gemeinsam Lösungen erarbeiten und diese in die Tat umsetzen, statt blind in großen Mengen durch die Straßen zu laufen und sich von der Polizei einkesseln zu lassen. Jeder dieser Aspekte ist nur eine Facette des gewaltlosen Widerstandes.
Hilft der im Film erwähnte „Klicktivismus“, um im Internet etwas zu bewegen?
Ja, er kann durchaus dazu beitragen, dass man schneller mehr Menschen erreicht und man seine Anliegen einfacher und effektiver unter das Volk bringen kann. Aber der Protest muss früher oder später auf die Straße, er muss das Leben der einfachen Leute berühren, sonst wird er nicht genug Menschen davon überzeugen können, die Bewegung zu unterstützen. Und im gewaltlosen Kampf sind große Zahlen von Sympathisanten und Teilnehmern erforderlich, um Systeme wirklich ins Wanken bringen zu können. Daher sollte man das Internet und Social Media als eines der wichtigsten Werkzeuge im gewaltlosen Kampf sehen.
Was hat Sie an diesem Projekt am meisten überrascht oder beeindruckt?
Sehr inspirierend waren für uns die unterschiedlichen Persönlichkeiten im Film, die sich mit lauter Hingabe und Leidenschaft engagiert haben: Die Protestbewegungen und die Menschen sind sehr unterschiedlich, doch was haben sie alle gemeinsam? Was treibt sie zu einer radikalen Protestbereitschaft an? Wie können sie weiterhin so von Gewaltlosigkeit überzeugt sein, wenn sie selbst Gewalt und Brutalität erleben?
"Everday Rebellion" ist ein Dokumentarfilm, jedoch gleichzeitig Crossmedia-Projekt; was ist der unterschiedliche Ansatz im Gegensatz zu einem „klassischen“ Dokumentarfilm?
Mit Everyday Rebellion wollten wir keinen unbeteiligten Dokumentarfilm machen, der einfach nur beobachtet. Denn wir haben von Beginn an eine Web-Präsenz gehabt, in der wir die Menschen dazu aufgerufen haben, sich an unserem Projekt zu beteiligen, am gewaltlosen Widerstand teilzunehmen und uns ihre Aktionen zu schicken. Damit haben wir mit einer Art Kuratorenschaft diese Aktionen und Widerstandsmethoden gesammelt und unter die Menschen gebracht und sie inspiriert. So entstand eine Video-Content-Seite, auf der wir viele verschiedene Struggles, Bewegungen, Methoden präsentieren, veröffentlichen und stets neu updaten. Das ist der Unterschied unseres Projektes zu anderen – wir wollten selbst zum Protest werden, eine Art Gebrauchsgegenstand schaffen. Das ist uns gelungen, glauben wir.
Ist ein Nachfolgeprojekt zu Everyday Rebellion geplant?
Wir überlegen, einen Film über das „Danach“ zu machen, ein Nachfolgeprojekt, in dem wir herausfinden, was dafür notwendig ist, dass eine Revolution nicht ihre eigenen Kinder frisst, wie der Spirit einer Bewegung nach dem Erreichen des gemeinsamen Zieles weiter am Leben erhalten werden kann. Was passiert, wenn die Revolution vollbracht ist? Wie kann man Demokratie, Rechtstaatlichkeit und Zivilgesellschaft zusammenhalten?
Der Film wird bald auch auf DVD erhältlich sein. Das Crossmedia-Projekt mit weiteren Informationen und Materialien findet Ihr auf der Webseite:
http://www.everydayrebellion.net/.
Schreibe einen Kommentar