Der Deutsche Bundestag hat die Armenien-Resolution fast einstimmig verabschiedet. Der von Union, SPD und Grünen eingebrachte Antrag sieht vor, die Verbrechen an den Armeniern durch das Osmanische Reich im Ersten Weltkrieg als Völkermord zu benennen. Jetzt hat die türkische Regierung ihren deutschen Botschafter abgezogen und es kriselt zwischen Berlin und Ankara. Eine Einschätzung von Pia Steckelbach.

Historischer Hintergrund
Das Siedlungsgebiet der Armenier liegt seit dem 19.Jahrhundert sowohl im Gebiet des damaligen Osmanischen Reiches als auch in Russland. Die christlichen Armenier werden Repressionen und ersten Morden ausgesetzt. Zum Ende des Jahres 1914, der Erste Weltkrieg tobt in Europa, scheitert eine osmanische Großoffensive gegen Russland im Kaukasus. Den Armeniern wird vorgeworfen, mit dem Kriegsfeind zu kollaborieren.
Der 24. April wird heute von den Armeniern als Genozid-Gedenktag begangen. Dies in Erinnerung an das Jahr 1915 als armenische Intellektuelle, Priester und Politiker von der jungtürkischen Regierung in Ankara verhaftet und getötet wurden. Dieser Tag wird als Auftakt für den Völkermord angesehen, der heute für viele Historiker einen der ersten systematisch organisierten Genozide in der Geschichte Europas darstellt. In den folgenden Wochen werden Frauen und Kinder auf lange Todesmärsche nach Syrien und Mesopotamien geschickt, auf denen hunderttausende Menschen verhungern, vor Erschöpfung sterben und elendig auf dem Weg verenden. Ein Großteil der armenischen Männer wird hingerichtet. Die Überlebenden der Todesmärsche verdursten in Wüstenregionen oder werden bei dem großen Massaker im August 1916 im Osten des heutigen Syrien ermordet. Insgesamt kommen dabei etwa eine Millionen Armenier ums Leben, die Armenische Regierung spricht von 1,5 Millionen Opfern.
Das Massaker an den Armeniern bleibt auch den damaligen deutschen Verbündeten des Osmanischen Reiches nicht verborgen: Mehrmals werden Wirtschaftsvertreter der Osmanischen Regierung vorstellig mit dem Anliegen, die Morde einzustellen. Allerdings liegt die Vermutung nahe, dass es ihnen dabei weniger um die humanitäre Katastrophe ging, sondern um den Mangel an Facharbeitskräften an den Baustellen aufstrebender Projekte wie der Bagdadbahn. „Unser einziges Ziel ist, die Türkei bis zum Ende des Krieges an unserer Seite zu halten, gleichgültig ob darob Armenier zugrunde gehen oder nicht“, so Reichskanzler Bethmann-Hollwegs Reaktion im Dezember 1915 auf einen Lagebericht aus Konstantinopel. Die deutsche Presse darf übrigens in keiner Weise kritisch über das deutsch-türkische Bündnis berichten.
Nach dem Ersten Weltkrieg sucht der Sultan zunächst auf Druck der Alliierten die Schuldigen strafrechtlich zu verfolgen. Die drei Hauptverantwortlichen werden zum Tode verurteilt, ihnen gelingt allerdings zuvor die Flucht.
Resolution mit vehementer Reaktion
„Erinnerung und Gedenken an den Völkermord an den Armeniern und anderen christlichen Minderheiten in den Jahren 1915 und 1916“, so lautet die Überschrift der aktuellen Armenien-Resolution. Auch die Mitverantwortung Deutschlands wird an einigen Stellen deutlich hervorgehoben: „Das Deutsche Reich trägt eine Mitschuld an den Ereignissen.“ Dem Bundesregierung kommt die Resolution zu einem äußerst unangenehmen Zeitpunkt: Die Türkei spielt in der Flüchtlingskrise eine entscheidende Rolle und Deutschland ist auf die Unterstützung der türkischen Regierung angewiesen.
Doch bereits Bundespräsident Gauck spricht in seiner Rede anlässlich des hundertjährigen Gedenkens der Morde an den Armeniern im April 2015 immer wieder vom „Völkermord, und bezieht so klar Stellung. Bei der Abstimmung vergangenen Donnerstag sind bemerkenswerterweise weder die Bundeskanzlerin noch Außenminister Steinmeier oder Vizekanzler Gabriel anwesend; sie seien aus terminlichen Gründen verhindert. Merkel hatte allerdings in einer Vorabstimmung für die Durchsetzung der Resolution gestimmt, Gabriel hatte sie dabei offen unterstützt. Die Leipziger CDU-Abgeordnete Bettina Kudla stimmt als einzige gegen den Antrag, es sei nicht Deutschlands Aufgabe, historische Ereignisse die andere Länder betreffen, zu bewerten, außerdem belaste es die Beziehungen zur Türkei. Als Folge der Verabschiedung der Resolution zieht die Türkei ihren Botschafter aus Berlin zurück, zuvor hatte die Regierung bereits mit Folgen für das türkisch-deutsche Verhältnis gewarnt.
Und tatsächlich reagieren zumindest die türkischen Medien wütend und eindeutig: Die türkische Zeitung „Sözcü“ veröffentlicht eine Fotomontage von Kanzlerin Merkel mit Hitlerbart. Trotzdem zeigt sich der türkische Regierungschef Yildirim milde. Er betonte, die Beziehungen zu Deutschland nicht aufs Spiel setzen zu wollen und bezeichnet Deutschland als wichtigen Verbündeten.
Türkische Geschichtsvergessenheit
Die Türkei bestätigt zwar, dass der Tod hunderttausender Armenier in den Jahren 1915 bis 1917 eine humanitäre Katastrophe darstellt, wendet sich aber von dem Begriff des Völkermordes ab, denn es habe sich angeblich lediglich um eine massenhafte Umsiedelung gehalten. Zentrale Befehle, die Armenier als Volksgruppe zu vernichten, habe es nicht gegeben. Die Opfer der Deportationen seinen in Folge des Krieges umgekommen, die Türkei geht von 300.000 Menschen aus. Doch wie ist die Leugnung des Genozids motiviert?
Die Türkei könnte Reparationsleistungen befürchten und um ihren bisher unangetasteten heroischen Gründungsmythos bangen. Denn vor dem Hintergrund des Völkermordes an den Armeniern hätte Atatürk den Nationalstaat nicht in den Befreiungskriegen gegen westliche Besatzer nach dem Ersten Weltkrieg gegründet, sondern die Republik wäre über den Umweg eines grausamen Genozids zustande gekommen. Mehr als zwanzig Länder haben den Völkermord an den Armeniern mittlerweile schon als solchen anerkannt.
Anerkennung für die Opfer – 100 Jahre danach
Doch ist es überhaupt Aufgabe eines Parlaments, Völkermorde als solche zu benennen oder sollte dies nicht lieber den Historikern überlassen werden? Kann Deutschland sich eine solche Belehrung vor dem Hintergrund des Zweiten Weltkriegs und seiner Mitschuld an dem Genozid der Armenier überhaupt leisten? Ja, ein Parlament steht sogar in höchster Verantwortung als Vertretung des Volks auf humanitäre Katastrophen und Genozide in der Geschichte hinzuweisen und diese anzuerkennen. In der Armenien-Resolution legt die Regierung großen Wert darauf, die Rolle Deutschlands als Mitverantwortliche zu betonen – ein wichtiger Aspekt um das Bild des mit erhobenem Zeigefinger dastehenden Deutschen zu entschärfen. Die Resolution in irgendeiner Weise mit Nazi-Deutschland und einem vermeintlichen historischen Erbe Hitlers in Verbindung zu bringen, ist schlichtweg unangemessen.
Allerdings muss hier auch von deutscher Seite aus der Blick für andere eigene Schandtaten in der Geschichte geschärft werden: Das Massaker des Kaiserreichs an den Herero und Nama in der damaligen Kolonie Südwest-Afrika im heutigen Namibia – elf Jahre vor dem Völkermord an den Armeniern – ist nicht als Genozid anerkannt oder je in der deutschen Öffentlichkeit diskutiert worden. Doch die Armenien-Resolution hat einen Stein ins Rollen gebracht und im besten Fall unser Bewusstsein für die Bewertung von historischen Ereignissen und deren politische Brisanz geschärft. „Auch der Völkermord an den Herero und Nama wartet darauf, aufgearbeitet zu werden“, so Grünen-Parteichef und einer der Initiatoren der Armenien-Resolution im Bundestag, Cem Özdemir. Das deutsch-türkische Verhältnis jedenfalls bleibt weiter angespannt, die Flüchtlingskrise, die die Staaten zu enger Kooperation drängt, noch lange nicht vorüber.
Quellennachweis:
http://www.bpb.de/internationales/europa/tuerkei/184966/erster-weltkrieg (Zugriff: 03.06.16)
http://www.srf.ch/news/international/genozid-an-armeniern-alles-was-sie-wissen-muessen (Zugriff: 03.06.16)
http://www.n-tv.de/politik/Tuerkische-Presse-zeigt-Merkel-mit-Baertchen-article17848971.html (Zugriff: 03.06.16)
http://www.focus.de/wissen/mensch/geschichte/beginn-der-massaker-vor-100-jahren-gruendungsmythos-der-tuerkei-in-frage-gestellt_id_4632968.html (Zugriff: 04.06.16)
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