In Deutschland fordert Horst Seehofer eine Limitierung der Flüchtlingswelle und Frauke Petry spricht gar von Schießbefehlen an deutschen Grenzen. Die Politik spaltet sich zwischen “wir schaffen das” und Aufrufen zu einem Kurswechsel. Wie sieht es in einem Land aus, das seine Grenzen bereits dicht machte? Lest mehr, wie ich die Situation in meinem Auslandssemester in Schweden erlebt habe.

Für ein Semester studierte ich Politik im schwedischen Malmö. Der Beginn meines Semesters fiel in den Zeitraum, in dem auch der Zustrom von Flüchtlingen nach Schweden stieg. In Deutschland prägten Begriffe wie die Flüchtlingswelle die Medienlandschaft. Während meiner ersten Woche im hohen Norden hörte ich von mehreren Brandanschlägen innerhalb von 24 Stunden in der Bundesrepublik. Von solchem Verhalten nahm ich in Schweden nichts wahr und war erleichtert.
Der erste Eindruck der Willkommenskultur
In Schweden nahm ich die Stimmung zunächst anders wahr. Dutzende Inititiaven in Malmö vermittelten mir den Eindruck, mich in einem Land der Willkommenskultur zu befinden. Ich schwärmte Freunden zu Hause vor, die mich warnten, dies sei nur die übliche Begeisterung angesichts meines Auslandsaufenthalts. Sie verleitete mich dazu, Tatsachen verzehrt wahrzunehmen. An meiner Universität wurde ein Sprachcafé für Flüchtlinge initiiert, um Schwedisch als Basis zur Integration zu lernen. Zudem wurde daran gearbeitet, schnellstmöglich eine Immatrikulatuion der Flüchtlinge zu ermöglichen und ein studiengangübergreifendes Projekt für weitere Aktionen gegründet. Ich war begeistert angesichts des Bemühens um Chancengleichheit in einer multikulturellen Gesellschaft. Auch vor dem Zustrom der Flüchtlinge war Malmö schon Heimat zahlreicher Nationalitäten und war für mich Mischtiegel verschiedenster Kulturen. Die Stimmung schien anders als in Deutschland. Von dort nahm ich in den Medien Pegida-Aufmärsche und die sich mehrenden Stimmen kritischer Bürger wahr. Doch im Laufe meines Semesters wurden die schwedischen Grenzen geschlossen. Hatte ich einem Trugbild aufgesessen?
Gründe der Grenzschließung
In der Tagesschau sah ich einen Tag vor der Grenzschließung Bilder des Bahnhofs in Malmö. An diesem Tag war ich zufällig selbst durchgegangen und konnte den Eindruck chaotischer Szenen nicht bestätigen. Ich sah den Bahnhof überfüllt mit müde wirkenden Ankommenden. Die Polizei war dort. Die Medien trieben in Deutschland und Schweden den Diskurs voran, Politiker beider Länder sahen sich gezwungen, etwas zu tun, um ihre verunsicherten Bürger zu beruhigen. Manche Zeitungen in Schweden kreierten mit ihren indirekten Beschreibungen terroristischer Muslime die Angst vor einer angeblichen gefährlichen Islamisierung. Diese Art der Darstellung war bereits seit Jahren vorhanden, doch die Flüchtlingswelle verschaffte ihr Auftrieb. Wie in Deutschland waren die Bürger verunsichert. Sie hatten Angst um das Ende ihres Wohlstands und vor einer Ausnutzung des schwedischen Sozialstaates. Ich musste mir eingestehen: wo Angst und Unsicherheit um sich greifen, bekommt Fremdenfeindlichkeit Auftrieb. Menschen reagieren überall gleich, egal ob es sich dabei um Deutsche oder Schweden handelt.
Schweden schloss seine Grenzen, da es sich an der Grenze des Machbaren sah und von Mitgliedsländern der Europäischen Union im Stich gelassen. Im Zug wurde ich fortan kontrolliert und sah beim nächsten Gang durch den Bahnhof keine Flüchtlinge mehr. Bis zum Ende meines Semesters kamen sie weiterhin. Doch in geringerer Zahl und auf illegalem Weg. In der Obdachlosenstelle bekam ich mit, wie schwedische Obdachlose seit Monaten auf eine Wohnung warteteten und dann feststellen mussten, dass Flüchtlinge vor ihnen den Zuschlag erhielten. Dass derartige Regelungen das Gefühl der Ungerichtigkeit kreieren, ohne dass dem Fremdenfeindlichkeit zugrunde liegen muss, wird hier klar.
Viele meiner neuen schwedischen Bekannten äußerten sich wie die deutschen Bürger und vertraten den Standpunkt, die Pflicht zu helfen, habe ein Limit. Irgendwann müsse Schluss sein. Max, ein Bekannter, sagte, er habe Angst vor entstehendem Hass und dass Schweden sich übernehme. Integration sei seiner Meinung nach nicht so einfach zu bewerkstelligen und die Politik damit überfordert, die Probleme des alltäglichen Zusammenlebens zu lösen.
Schweden oder Deutschland: wer begegnet der Flüchtlingswelle besser?
Anfangs war ich begeistert angesichts der political correctness in Schweden. Ich dachte, gelungene Integration in einer Stadt mit über 170 Nationalitäten vorzufinden. Doch je länger ich in Schweden war, desto ambivalenter entwickelte sich mein Denken bezüglich dieser ”correctness”. Rund um den Marktplatz kann man in Malmö exotische Früchte und Delikatessen in ausländischen Geschäften und an Ständen kaufen. Mein Friseur war Araber und in meinem Kurs einige Schweden, deren Eltern aus dem Irak und anderen Ländern kamen. So könnte Integration aussehen. Zeitgleich erfuhr ich die Geschichten einzelner schwedischer Bürger. Beispielsweise wurde die Frau eines befreundeten Arztes aufgrund ihrer algerischen Herkunft diskriminiert. Ihre dunkle Hautfarbe erschwert ihr die Chancengleichheit im Gegensatz zu ihrem blonden Mann. Deutschland oder Schweden: Beide Länder bemühen sich und befinden sich im Zwiespalt zwischen den Forderungen verängstigter Bürger und dem Bemühen, Flüchtlinge aufzunehmen. Kulturelle Vielfalt gibt es in beiden Gesellschaften. Welchen Weg beide Staaten in Zukunft gehen werden, bleibt abzuwarten. Doch fest steht für mich an dieser Stelle: Beide Staaten sind darum bemüht, Flüchtlinge aufzunehmen, beide reagieren nun aber auf den Unwillen innerhalb der Bevölkerung und verändern ihre Flüchtlingspolitik.

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