Schönheit ist eine Währung. Schöne Menschen werden im Berufsleben bevorzugt, finden leichter Partner*innen und erfahren seltener Diskriminierung. Die sozialen Netzwerke strotzen vor Selbstoptimierungstipps, während Algorithmen normative Körperformen bevorzugen. Aber was ist eigentlich schön?
Wie unser Gehirn Schönes verarbeitet
Es gibt noch offene Fragen rund um die “Schönheit” und wie unser Gehirn sie neurologisch begreift. Die Wahrnehmung von Schönem scheint verschiedene Netzwerke in unserem Gehirn zu aktivieren: So beispielsweise jenes für Belohnungen, moralische Bewertungen und das Netzwerk, welches dann aktiv wird, wenn wir unseren Gedanken freien Lauf lassen.
Einen Schlüssel in der Schönheitsforschung stellen die Objekte und Personen dar, die wir als ästhetisch befriedigend wahrnehmen. Hierbei zeigt sich nämlich, laut Professor Christoph Redies vom Universitätsklinikum Jena, dass der Mensch Schönheit auf verschiedenen Ebenen wahrnehmen kann. Es gibt also eine allgemeine Schönheit und spezifische Schönheitsaspekte, die in unterschiedlichen Gehirn-Arealen erkannt und verarbeitet werden. Das ist besonders im Hinblick auf den Zusammenhang zwischen Schönheit und genetischer Fitness interessant.
Genetische Fitness, Attraktivität und ihr Einfluss auf unsere Partner*innenwahl
Schönheit ist relevant für die Auswahl unserer Partner*innen. Merkmale, die wir als schön betrachten, teilen uns häufig unterbewusst genetische Fakten über unser Gegenüber mit. Ein symmetrisches Gesicht vermittelt eine gesunde Entwicklung und ein geschlechtsspezifisch idealer Körperbau verweist auf die jeweilige Fertilität. Forscher*innen wie Dr. Elisabeth Oberzaucher von der Universität Wien konnten sogar nachweisen, dass Frauen während ihrer Ovulation durch Rötungen und ein verändertes Hautbild attraktiver wirken. Dementsprechend ist Schönheit für Menschen auch ein evolutionärer Faktor: Attraktivität hängt davon ab, wie fruchtbar eventuelle Partner*innen erscheinen. Aber auch diese Schönheitsform ist relativ.
Schön ist nicht gleich schön: Kulturelle Unterschiede
Nur sehr wenige Marker werden auch über kulturelle und ethnische Grenzen hinweg als gleichermaßen schön betrachtet. Während Symmetrie den meisten Menschen ästhetisch erscheint, können einzelne Gesichtsmerkmale schon unterschiedlich bewertet werden, wie eine Studie von Jiayu Zhan an westeuropäischen und ostasiatischen Proband*innen feststellte. Neben dem ethnischen Hintergrund spielen hierbei auch kulturelle Einflüsse eine Rolle: Gewisse Schönheitsfaktoren kodifizieren soziale Aspekte wie zum Beispiel Wohlstand.
So kommt es häufig vor, dass Menschen mit größerer Körperfülle in ernährungsarmen Regionen als attraktiver wahrgenommen werden. Westeuropäische Supermodels hingegen provozieren mit ihren Körperformen seit Jahren Diskussionen darüber, ob die Modeindustrie Essstörungen fördert. Diese Unterschiede verraten uns nicht nur, dass unsere Wahrnehmung von vielfältigen Faktoren beeinflusst wird. Sie weisen auch darauf hin, dass unser Schönheitsverständnis in Abhängigkeit von sozialen und kulturellen Normen sehr wandelbar ist. Was heute in Mode ist, wird vielleicht in 150 Jahren keinem Ideal mehr entsprechen.
„Schönheit liegt im Auge des Betrachters“
Neben kulturellen und sozialen Faktoren spielt auch der ganz persönliche Hintergrund der jeweiligen Betrachter*innen eine große Rolle: Wie das Forschungsteam um Laura Germine vom Massachusetts General Hospital in Boston feststellen konnte, beeinflussen unsere eigenen Erfahrungen ebenfalls, was wir als schön betrachten. So können Ähnlichkeiten mit geliebten Menschen eine Person für uns individuell attraktiver machen. Schönheit liegt also wirklich dem alten Mantra entsprechend „im Auge des Betrachters“.
Vielfalt: Jede*r ist schön
Aus diesen wissenschaftlichen Erkenntnissen lässt sich schließen, dass jede*r von uns von anderen als schön gesehen werden kann. Ideale lassen sich aus biologischen, sozialen und kulturellen Normen bilden, gefallen letzten Endes aber trotzdem nicht jedem gleich gut. Diese Erkenntnis lässt sich auch sehr langsam in Änderungen der popkulturellen Medien und der sozialen Netzwerke erkennen.
Wenn auch der Druck, einem normativen Bild zu entsprechen, durch nachträglich retuschierte Models und Momentaufnahmen auf Instagram gesteigert werden kann, sehen Autor*innen wie Robin Ghivan eine Alternative:
In ihrem Artikel für National Geographic stellte Ghivan fest, dass sich ein Trend hin zu Inklusivität auf den gängigen Social-Media-Plattformen erkennen lässt. Dass nun Influencer*innen statt industriegewählter Models zum Fokuspunkt der Medien werden, sorgt auch dafür, dass mehr Körperbilder und Lebensrealitäten dargestellt werden. Das zeigt nicht nur, dass es viele Facetten von Schönheit gibt. Es bedeutet auch, dass unsere Attraktivität für potenzielle Partner*innen nicht klar vorhersagbar ist. Und damit auch kein Grund zur Sorge.
Recherchequellen:
– https://www.dasgehirn.info/aktuell/frage-an-das-gehirn/wie-funktioniert-schoenheit-neurobiologisch
– https://link.springer.com/article/10.1007/s12634-013-0662-2
– https://www.galileo.tv/life/schoenheitsideale-im-wandel-der-zeit-frueher-schoen-heute-ueberholt/
– https://www.cell.com/current-biology/pdf/S0960-9822(21)00352-3.pdf
– https://www.cell.com/current-biology/pdf/S0960-9822(15)01019-2.pdf
o Leserfreundlichere Zusammenfassung d. Studie + Zusatz-Interview: https://www.augsburger-allgemeine.de/wissenschaft/Schoenheitsideal-Persoenliche-Erfahrungen-praegen-unser-Schoenheitsideal-id35661152.html
– https://www.lmz-bw.de/medien-und-bildung/jugendmedienschutz/sexualitaet-und-pornografie/schoenheitsideale-in-sozialen-netzwerken/
– https://www.nationalgeographic.de/geschichte-und-kultur/2020/02/wir-sind-schoen-wie-soziale-medien-unsere-aesthetik-veraendern
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