Viele Menschen haben Angst vor der Zukunft, nicht nur vor dem Klimawandel und Kriegsszenarien, sondern auch vor dem gesellschaftlichen Werteverfall, dem wissenschaftlichen Fortschritt und dem Voranschreiten der Künstlichen Intelligenz. Vieles, was früher als undenkbar galt, ist heute Realität. Doch wo ist noch bei aller Machbarkeit und allem Fortschrittsoptimismus Platz für Gott, Ethik und Moral? Wenn alles geht, geht auch die Moral. Denn nicht alles, was möglich scheint, ist auch ethisch vertretbar.
Dieser Beitrag von Jonas wirft einen Blick in eine dystopische Zukunft, die hoffentlich nie so eintreten möge und ist angelehnt an die Legende vom Golem. Er stellt die Frage: Wie werden wir Menschsein, Menschenwürde, Menschlichkeit im Jahr 2040 sehen – und welche Folgen hat es.
Dieser zufolge, soll Rabbi Jehuda Löw (1525-1609) in Prag, mithilfe der Buchstabenmystik, aus Lehm ein menschenähnliches, stummes Wesen, den Golem (hebräisch für formlose ungeschlachtete Masse oder Embryo), geschaffen haben. Damit wollte er damals die Bedrohung durch mittelalterliche Pogrome abwehren.
Der Golem ist eine Allegorie für den Versuch des Menschen, Gott zu ersetzen. Zudem ist er Symbol dafür, dass, egal wie groß unser Bemühen auch sein mag, der Versuch Gott zu spielen letztlich immer zum Scheitern verurteilt ist. Rabbi Jehuda Löw nannte seinen Golem „Joseph“, daher auch der Name des fiktiven Abgeordneten im folgenden dystopischen Interview.
Ein Gespräch aus dem Jahr 2040
Wir befinden uns im Jahr 2040: In den meisten westlichen Nationen sind Abtreibungen und Sterbehilfe inzwischen legalisiert. Der Deutsche Bundestag führt eine moralpolitische Debatte darüber, ob die UN- Behindertenrechtskonvention aus dem Jahr 2006 noch zeitgemäß ist. Es werden schließlich dank des medizinischen Fortschritts und der Präimplantationsdiagnostik kaum noch Menschen mit Behinderung geboren. Für Einschränkungen, die infolge von Unfällen bzw. psychischen Erkrankungen entstehen, gibt es inzwischen unkomplizierte Lösungen, wie die Sterbehilfe. In den Fokus der Debatte sind insbesondere das Projekt der „Inklusion“ und das Sozialgesetzbuch IX geraten. f1rstlife hat dazu brandaktuell mit dem/der Abgeordnete/n Joseph*Ignitus gesprochen. Ein dystopisches Interview:
Joseph*Ignitus: Am 13. Dezember, auf den Tag genau vor 34 Jahren, haben die Vereinten Nationen das Übereinkommen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen erlassen. In den meisten Industrienationen werden deshalb kaum mehr Menschen mit Behinderungen geboren. Wie erklären Sie sich diesen Erfolg?
Das stimmt und zusätzlich zu der Nutzung neuer Methoden und Technologien haben wir durch Aufklärung auch eine progressive Haltung als Gesellschaft entwickelt. Wir haben rückständige, emotionale Bindungen zu defekten Zeugungsprodukten überwunden, sodass sie heutzutage ohne restriktive Regulierungen zu jedem Zeitpunkt der Schwangerschaft beseitigt werden können.
Da das Übel der Schwerbehinderung offensichtlich überwunden ist: Welchen Gliedern der Gesellschaft sollte unser Mitgefühl gehören?
Wir müssen uns marginalisierten Gruppen diverser Menschen stärker zuwenden. Sie leiden unter anti-intersektionalen Rechtssystemen und den Privilegien traditioneller Familien und religiöser Institutionen. Dabei würde ein Ausgleich dieser Privilegien aber immer noch zu kurz greifen. Nur eine Umkehr dieser Verhältnisse kann langfristig zu sozialer Gerechtigkeit führen.
Es gibt nur noch wenige Einrichtungen mit Betreuungspersonal für Menschen mit Behinderungen. Viele Menschen, die heute behindert sind, sehen sich starken Diskriminierungen ausgesetzt. Welche Begründung führen Sie hierfür an?
Die Versorgung und der Umgang mit diesen Menschen ist eine große Belastung für die Gesellschaft. Insgesamt wäre es einfacher für alle Beteiligten, wenn sie Sterbehilfe in Anspruch nehmen würden. Aber sie werden von religiösen Fanatikern unter Druck gesetzt, mit ihrer Behinderung weiterzuleben. Dadurch werden sie Teil einer rechten Ideologie, die sich gegen Fortschritt wehrt. Der Unmut der Gesellschaft mit diesem Zustand wird von einigen wahrscheinlich als Diskriminierung wahrgenommen.
Der Missbrauch von Suchtmitteln dagegen hat enorm zugenommen. Kritische Stimmen behaupten, die Ursachen lägen darin begründet, dass präventive Hilfsangebote abgenommen haben?
Menschen suchen es sich nicht aus, süchtig zu werden und wir können niemanden, der es will, davon abhalten, Substanzen auszuprobieren, selbst, wenn wir es wollten. Umso weniger Mittel wir benötigen, um Menschen mit Behinderung ein Leben in unwürdigen Verhältnissen aufzuzwingen, desto mehr Ressourcen haben wir, um Süchtige mit sicheren Ersatzstoffen zu versorgen, sodass sie eine Chance haben, ihren Beitrag zur Gesellschaft zu leisten. Aber auch für die, die ihre Sucht nicht mit ihrem Leben vereinbaren können, gibt es den Ausweg der Sterbehilfe.
Was macht den Menschen wertvoll?
Wertvoll an uns Menschen sind unsere Diversität, unsere Selbstbestimmtheit und unser Beitrag, diese zu unterstützen. Das ist unser großer Erfolg.
Kürzlich kritisierte die Katholische Kirche erneut die inzwischen praktizierte vorgeburtliche Kindstötung. Wenn wir einen Menschen vor der Geburt töten dürfen, was hindert uns noch daran, ihn nach der Geburt zu töten?
Der Begriff „Tötung“ stört mich. Wir sollten nicht die Begriffe von Extremisten übernehmen, die die Selbstbestimmung von Personen mit Uterus einschränken möchten. Niemand sollte einer anderen Person vorschreiben, ob vor oder nach der Geburt, wie sie mit ihrer Reproduktion umzugehen hat. Solange es sich nicht um eine Person handelt, sollte sich der Staat nicht einmischen und ab wann jemand eine Person ist, ist Ansichtssache!
Isis Alina Klinken
Hallo Jonas, das hast Du sehr gut geschrieben. Diese Phänomene existieren ja real und sind nicht mehr von der Hand zu weisen. Es ist jedoch kein Fatalismus, das dies sich immer mehr steigert, denn die Erkenntnis, dass dies kein gesellschaftlicher Fortschritt ist, befähigt dazu, dem entgegenzuwirken.
Jonas
Ich weiß nicht, ob meine Worte da genügen.