Für einen jeden Seemann schickt es sich, einmal im Leben den Kap der guten Hoffnung zu umrunden. Das ist eine Art Gottesgelübde. Wer sich dem verweigert, wird verflucht. So auch der fliegende Holländer, der nun schon seit Jahren bei Wind und Wetter die Meere umsegeln muss. Einzig eine Frau, die ihn bedingungslos liebt und ewig treu bleibt, kann ihn von seinem Schicksal erlösen. Alle sieben Jahre darf er nach eben jener Frau an Land suchen. Das Staatstheater Braunschweig hat mit einer zeitgemäßen und dennoch zugleich mystischen Inszenierung die Premiere des „fliegenden Holländers“ gefeiert.
Ein Sturm zieht auf
„Wenn ich das Libretto aufschlage, weht mir der Sturm von allen Seiten entgegen“, wurde einmal über Wagners Stück gesagt. Ein Sturm zieht in dieser Spielzeit auch ins braunschweigische Staatstheater ein. Die Oper beginnt mit imitierten Sturmgeräuschen. Das Licht im Theatersaal flackert unaufhörlich. Eine ungewöhnliche, ungemütliche Stimmung herrscht im Theater. Plötzlich ist eine Stimme aus dem Nichts zu hören. Sie erzählt die Ballade vom fliegenden Holländer.
Erst dann fängt das Staatsorchester an, die Ouvertüre zu spielen. Ein mitreißender und bewegender musikalischer Einstieg. Die letzten Töne der Ouvertüre erklingen. Nun finden wir uns in einer Schiffskajüte wieder, die optisch einem Wohnzimmer gleicht. Alles ist in sehr dunklen Farben gehalten. Braune Möbel mit passendem Teppich stehen im Kontrast zu den bunten Luftballons und Girlanden, die der Steuermann bereits für die Willkommensfeier in der Heimat aufhängt. Ein Shanty-Chor singt zu dem Klang eines Akkordeon-Spielers.
Sehnsucht nach Liebe und Treue
Als die Seemänner den Raum verlassen, um sich schlafen zu legen, taucht zum ersten Mal der Holländer auf. Er kniet vor einem kleinen Schiffsmodell nieder und versinkt mit seinem Solo in Selbstmitleid. Seine Gebete, durch bedingungslose Liebe und ewige Treue von seinem Fluch befreit zu werden, scheinen unerhört. Plötzlich erscheint der Kapitän Daland, verwundert über den blinden Passagier. Es beginnt ein Duett zwischen den beiden, in dem der Holländer um die Hand von Dalands Tochter Senta bittet. Im Gegenzug biete er ihm all seine Schätze aus den fernsten Ländern an. Der geldgierige Daland willigt ohne Weiteres ein.
Indes taucht der Chor der Spinnerinnen in Regenhosen und Gummistiefeln auf. Sie alle erwarten freudig die Ankunft ihrer Ehemänner und bereiten diese eifrig vor, indem etliche Fische herumgereicht und zubereitet werden. Unter ihnen ist auch Senta, die die zukünftige Frau des Holländers werden soll. Berührt singt sie von seinem Schicksal. Der Chor hört gebannt zu. Währenddessen taucht auch Erik, Sentas Jugendfreund, in dieser Inszenierung als Gärtner auf. Er schmückt die Bühne mit Blumen und einer Picknickdecke in der Hoffnung, Sentas Herz gewinnen zu können. Ein Brautkleid, das er seiner Jugendliebe schenkt, deutet den Heiratsantrag des Gärtners an. Doch Senta weist ab; sie möchte lieber ihren Vater nach der langen Seefahrt begrüßen.
Heiratsantrag mit Folgen
Überraschenderweise erscheint Sentas Vater in fremder Begleitung. Bei dem fremden Gast handelt es sich um den Holländer. Dies erkennt auch Senta auf den ersten Blick und willigt daher ein, diesen zu ihrem Ehemann zu nehmen. Ungewöhnlicherweise wäscht Senta die Füße des Holländers als Zeichen der Zuneigung. Begeistert von der Entscheidung seiner Tochter arrangiert Sentas Vater Daland eine Verlobungsfeier für das Paar. Der Chor der Seemänner stimmt bereits in den „Steuermann, lass die Wacht“-Choral ein und genießt die Stimmung der Willkommensfeier in der Heimat.
Dass Senta es wirklich ernst meint, beweist sie im darauffolgenden Duett mit dem Holländer. Er im Anzug, sie bereits im Brautkleid. Sie wirkt hin- und hergerissen zwischen ihrem Jugendfreund Erik und dem Holländer. Der Holländer, der bereits Gefühle für die junge Frau hat, erzählt ihr offenkundig von seinem Schicksal und möglicherweise auch dem ihren. Seine Geschichte stellt für Senta aber weder eine Überraschung noch ein Hindernis dar. Ihre Entscheidung steht bereits fest: Sie hüllt den Holländer und sich in ein schwarzes Tuch ein. Es soll bedeuten, dass sie ihm bis in den Tod ihre Treue schenkt. Ihr Vater Daland, Mary, Sentas Amme, und Erik schlagen die Hände vor ihrem Kopf zusammen – doch Senta ist nicht aufzuhalten und der Holländer von seinem bösen Fluch erlöst.
Wahre Liebe ohne ersehntes Happy End?
Richard Wagner hat seine Oper vom fliegenden Holländer selber als eine romantische Oper bezeichnet. Kennzeichnend ist hierfür ein Aufprall zwei vollkommen unterschiedlicher Welten. In dieser Inszenierung ist das einerseits musikalisch festzustellen, indem ein festgelegtes Motiv für den Holländer durch das Orchester erklingt, sobald dieser auf der Bühne erscheint. Doch wird auch im Stück selber deutlich, wie sehr sich Sentas Welt und die des Holländers voneinander unterscheiden.
Besonders markant ist wohl das Symbol der beiden Uhren über der Bühne und im Wohnzimmer, die die Unterschiede verdeutlichen sollen: Die eine Uhr läuft vorwärts, während die andere rückwärts läuft. Die Liebe und Zuneigung des Paares erscheinen ohne Zukunft durch den bösen Fluch des Seemanns. Einzig der Tod könnte sowohl den Holländer von seinem Bann erlösen als auch die Beziehung des Paares ermöglich. Auch diese Zuwendung zum Metaphysischen, in diesem Fall die Vorstellung vom Leben im Jenseits, stellt ein wichtiges Merkmal dar. Dennoch ist nicht wie in Märchen zwischen Gut und Böse zu unterscheiden. Der Holländer wirkt zwar wie eine Geistererscheinung. Dennoch wird er eigentlich als verlorener, gescheiterter Mensch dargestellt, der den Ansprüchen der Gesellschaft nicht genügt.
Erfolgreiche und zeitgemäße Inszenierung
Ein bombastischer Einstieg, der mit keiner anderen Oper vergleichbar ist. Der tosende Applaus des Publikums bestätigt die sehr gelungene Inszenierung des fliegenden Holländers. Starke Solisten mit stimmgewaltigem Chor und überzeugendem Orchester bilden ein tolles Zusammenspiel. Auch wenn viele verschiedene Requisiten das Bühnenbild von Szene zu Szene ein bisschen verändern, hätte ein Bühnenbildwechsel im Laufe der drei Akte nicht geschadet. Aber obwohl die Oper, wie von Wagner vorgesehen, im Staatstheater in einem Rutsch ohne Pause durchgespielt wurde, wirkt sie nicht eine Minute langatmig.
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