Krieg ändert sich nie. Die Ereignisse der letzten Tage lassen niemanden kalt. Jeder versucht, seinen Teil zum Sieg über unseren Feind beizutragen. Gedanken eines Betroffenen aus Odessa.

Soldaten der Streitkräfte der Ukraine verteidigen tapfer die Bevölkerung. Freiwillige helfen mit Medikamenten, Proviant und Ausrüstung. Und Ärzte retten Leben, manchmal sogar auf eigene Kosten. Was bleibt mir, zu tun – einem Videospieldesigner aus Odessa, der in seinen 28 Lebensjahren Krieg nur auf dem Bildschirm gesehen hat?
Nichts ist mehr so, wie es war
Meine Waffe ist das Wort und ich möchte es so genau und effizient, wie möglich, einsetzen. Seit meiner Kindheit versuche ich, der Realität in Fantasiewelten zu entfliehen. In die Rolle fantastischer Helden zu schlüpfen und gegen gefährliche Monster zu kämpfen. Deshalb entwickele ich Spiele – ich teile meine eigenen Träume mit der Welt. Allerdings konnte ich mir nie vorstellen, dass ich der Realität irgendwann nicht mehr entfliehen kann.
Der 24. Februar teilt das Leben in ein Vorher und Nachher. Vorher gab es eigene Projektpläne, Ambitionen und Wünsche. Nachher – zählt nur noch, heute zu überleben und unter einem klaren Himmel über dem Kopf aufzuwachen. Ohne das Echo von Explosionen vor dem Fenster. Ohne zu erschaudern bei lauten Geräuschen oder kurzen Pieptönen, wenn man seine Mutter anruft. Wir haben jeder für sich selbst gelebt. Jetzt leben wir für eine gemeinsame Sache – den Krieg zu beenden und den Feind aus unserem Heimatland zu vertreiben.
Angst um die eigene Heimat

Gerade jetzt schaue ich auf die ruhige Wasseroberfläche des Schwarzen Meeres. Auf das Einkaufszentrum, in dem ich vor gar nicht allzu langer Zeit noch einen Verlobungsring für meine Freundin gesucht habe. Auf die azurblaue Küste, entlang welcher ich gejoggt bin und wo ich Sport gemacht habe. Auf das Haus meines Freundes, wo wir uns ständig getroffen haben, um „Dungeon& Dragons“ zu spielen.
Ich stelle mir unwillkürlich vor, was mit all dem passieren könnte, wenn russische Soldaten in Odessa einmarschieren. Meine Heimat – meine Festung- wird fallen und alles, was mir so lieb und teuer ist, wird zerstört. Ihr könnt mich einen Pessimisten nennen, aber glaubt mir – ich schaue sehr nüchtern auf diese Situation. Doch genau diese finsteren Gedanken geben mir die Kraft, meine Lieben zu unterstützen und nicht in Panik zu verfallen.
Zusammenhalt in schwierigen Zeiten
Die Ukrainer haben sich als mutige und willensstarke Menschen erwiesen, die in schwierigen Zeiten zusammenhalten können und vergessen, dass der Nachbar schon ein halbes Jahr ausgerechnet frühmorgens am Wochenende Bauarbeiten durchführt und der Arbeitskollege sich ständig bei seinem Chef um eine Beförderung einschmeichelt. Streitthemen werden beiseitegelegt: Ist nun die Playstation oder die Xbox die bessere Konsole? Welche Schokolade schmeckt am leckersten? Und so weiter.
Das alles ist jetzt unwichtig geworden. Was einzig und allein zählt, ist unser Sieg in dem Krieg, den die russische Propaganda eine „Militäroperation“ nennt. Wenn Putin und seinen Schergen der Prozess gemacht wird, würde ich vorschlagen, es nicht als Gericht, sondern als „Erziehungsmaßnahme“ zu bezeichnen. Sie lieben es doch so sehr, Konzepte zu ersetzen.
Ich will mich an jeden Einzelnen wenden, der das liest. Ich will, dass diese Worte ihr Ziel treffen und einen schönen einfachen Gedanken deutlich machen: Krieg ist in die Ukraine gekommen, und Krieg ändert sich nie.
Unsere Autorin Anika befragt Menschen aus der Ukraine über ihre Situation, Gedanken und Gefühle während des Krieges. Diesmal hat sie mit Pavel*, einem Videospieldesigner aus Odessa, gesprochen.
*Name von der Redaktion geändert
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