
Dieser Beitrag erscheint im Rahmen unserer Diskussionsreihe “Schlagabtausch”. Lies hier den anderen Schlagabtausch-Artikel zum Thema: “Schlagabtausch: Atomkraft bedeutet weniger Putin und besserer Klimaschutz!”
Für viele Verfechter*innen scheint Erdgas immer noch die ideale Brücke in das regenerative Zeitalter zu sein. Im Angesicht einer politischen Abhängigkeit, unglaubwürdigen Alternativen und unterschätzten Treibhausgasen zeigt sich jedoch, dass ein zügiger Ausstieg unabdingbar ist. Ein Kommentar.
Als die Europäische Union zu Beginn des Jahres bekannt gab, Erdgas als „ökologisch nachhaltig“ klassifizieren zu wollen, war der Aufschrei groß. Unverzüglich stellte sich die Klimabewegung gegen diese Entscheidung und forderte die Bundesregierung dazu auf, diese Einordnung abzulehnen – ohne Erfolg!
Auch für die deutsche Bundesregierung stellt Erdgas immer noch die ideale Brücke in das regenerative Zeitalter dar. Auf den ersten Blick mag das Gasgemisch dies möglicherweise sein. Immerhin ist es nicht so schädlich wie Kohleenergie. Dessen ungeachtet handelt es sich trotzdem um einen fossilen Energieträger, dessen Verwendung sich weder politisch noch klimatologisch begründen lässt.
Von wegen Wandel durch Handel
Mit dem Einsatz von Erdgas verharrt Deutschland zum einen weiter in der eigenen fossilen Energieabhängigkeit. Obwohl Deutschland seit zwanzig Jahren die erneuerbaren Energien ausbaut, stammen 80 Prozent immer noch aus fossilen Energieträgern. Ein Großteil davon wird aus Russland importiert. Wie riskant eine solche Abhängigkeit sein kann, hat der russische Angriffskrieg auf die Ukraine offengelegt. Plötzlich befinden wir uns mitten in einer aufgeheizten Diskussion um ein Embargo mit der Angst vor einer Versorgungskrise.
Als Retter in der Not steht nun Erdgas aus den USA sowie Katar zur Verfügung. Letzteres ist vor allem bekannt für diverse Menschenrechtsverletzungen, wie die Ausbeutung von Arbeitsmigrant*innen. Robert Habeck begründet die neue Energiepartnerschaft mit Katar damit, dass es zwischen Russland und Katar einen gravierenden Unterschied gäbe und nicht alle Länder ausgeschlossen werden könnten.
Schließlich heiße es immer wieder, dass durch den Handel ein Wandel vollzogen werden könne. Wie ausgereift dieser Gedanke ist, lässt sich jedoch in Frage stellen. Das sehen wir am Beispiel China. Die Volksrepublik ist einer der größten Handelspartner Deutschlands mit einem jährlichen Umsatz von ungefähr 245 Milliarden Euro. Nichtsdestotrotz handelt es sich nach wie vor um einen autoritären Staat – ein Zustand, der bisher nicht auf eine Verbesserung hoffen lässt.
Erdgas befeuert die globale Erderhitzung
Ebenso kritisch ist, dass der Einsatz von Erdgas klimatologisch alles andere als begründbar ist. Es handelt sich schließlich, wie bei Kohle, ebenfalls um einen fossilen Brennstoff, der beim Verbrennen klimaschädliches Kohlenstoffdioxid (CO2) freisetzt. Die Emissionen stammen allerdings nicht nur aus CO2. Erdgas besteht zum Hauptteil aus Methan, ein überaus klimawirksames Treibhausgas, welches durch Leckagen oder aber auch das bewusste Ablassen oder Abfackeln bei der Förderung des Energieträgers emittiert wird.
Unter bestimmten Bedingungen ist Erdgas dadurch sogar schädlicher als Kohle. Entscheidend ist dabei vor allem der Zeitraum. Im Vergleich zu CO2 wirkt Methan in den ersten 20 Jahren bis zu 87-fach und in den ersten 100 Jahren bis zu 36-fach stärker. Somit kann es bei einem Einsatz von Erdgas zu einem kurzfristigen Temperaturanstieg in der Atmosphäre kommen, wodurch auch verheerende Kipppunkte im Klimasystem (z.B. die Eisschmelze in der Arktis) noch schneller erreicht werden. Infolgedessen wird die globale Erderhitzung zunehmend befeuert.
Relevant ist zudem die Herkunft des Erdgases sowie die Effizienz der Kraftwerke. So liegen die Methan-Emissionen des Pipeline-Erdgases aus Russland, aufgrund der langen Transportwege, etwa um den Faktor 10 höher als bei Importen aus Norwegen oder den Niederlanden. Flüssigerdgas- (LNG-)Importe, wie aus Katar oder den USA, bringen zusätzliche Emissionen mit sich. Das hängt vor allem mit der energieintensiven Verflüssigung zusammen. Dementsprechend liegen die Gesamtemissionen in der Größenordnung von Pipeline-Importen aus Russland.
Deutschland macht sich unglaubwürdig
Nichtsdestotrotz bauen wir nun die Infrastruktur für LNG-Terminals in Brunsbüttel und Wilhelmshaven aus. Das ist nicht nur aus klimapolitischer Sicht zu kritisieren. Deutschland verstrickt sich damit auch in einem Netz aus Unglaubwürdigkeit. Das Flüssiggas, welches wir aus den USA erhalten, wird vorwiegend mithilfe der Fracking-Methode befördert. Einer Methode, die schwerwiegende Folgen für die Umwelt hat und deshalb seit 2017 in Deutschland verboten ist. Der Import von Fracking-Gas ist allerdings weiterhin erlaubt, womit die Umweltschäden indirekt exportiert werden.

Es ist aber nicht nur eine gewisse Unglaubwürdigkeit, die wir mit dem Ausbau verursachen. Zusätzlich stellt es eine weitere Verzögerung der längst überfälligen Energiewende dar, die nicht einmal wirtschaftlich begründet werden kann. Sowohl das Umweltbundesamt als auch das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung prognostizieren in verschiedenen Szenarien einen Rückgang des Gasverbrauchs. Mit weiteren Investitionen in die Gasinfrastruktur steuern wir dementsprechend erneut in die Abhängigkeit von einem fossilen Energieträger. Sobald die Terminals erstmal gebaut sind, soll es sich schließlich auch langfristig lohnen.
Folge der verschlafenen Energiewende
Natürlich können wir uns nicht von heute auf morgen mit Windrädern und Solaranlagen versorgen. Dafür hat die Politik die Energiewende in den vergangenen Jahrzenten zu sehr verschlafen. Dennoch ist es sinnvoller, die vorhandenen Ressourcen in den zügigen Vollzug der Energiewende als in den Bau neuer fossiler Infrastruktur zu stecken.
Außerdem kann die Lösung nicht sein, Erdgas vom Sklaventreiber statt vom Kriegstreiber zu beziehen. Damit verschiebt die Bundesregierung ihre Abhängigkeit nur von einem Autokraten zum nächsten. Zusammenfassend lässt sich somit sagen, dass Deutschland endlich lernen muss, die richtigen Entscheidungen zu treffen – und eine Entscheidung für Erdgas ist definitiv die falsche.
Zum Nachlesen:
- Ahmels, Peter; Bosse, Jana; Brauers, Hanna; Braunger, Isabell; Gheorghiu, Andy; Häublein, Eric; Holz, Franziska; Kemfert, Claudia; Präger, Fabian (2021): Am Klimaschutz vorbeigeplant, Klimawirkung, Bedarf und Infrastruktur von Erdgas in Deutschland, Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung, Politikberatung Kompakt 166, verfügbar unter: https://www.diw.de/documents/publikationen/73/diw_01.c.815872.de/diwkompakt_2021-166.pdf (zuletzt geprüft am 10.05.2022).
- Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, nukleare Sicherheit und Verbraucherschutz (2017): Fracking, Risiken für die Umwelt, verfügbar unter: https://www.bmuv.de/themen/wasser-ressourcen-abfall/binnengewaesser/grundwasser/grundwasserrisiken-hydraulic-fracturing#:~:text=Besonders%20f%C3%BCr%20oberfl%C3%A4chennahes%20Grundwasser%20bestehen,zu%2020%20Prozent%20Sand%20vermischt (zuletzt geprüft am 10.05.2022).
- Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (2022): Entwicklung der erneuerbaren Energien in Deutschland im Jahr 2021, verfügbar unter: https://www.erneuerbare-energien.de/EE/Navigation/DE/Service/Erneuerbare_Energien_in_Zahlen/Entwicklung/entwicklung-der-erneuerbaren-energien-in-deutschland.html (zuletzt geprüft am 10.05.2022).
- Economist Intelligence (2021): Democracy Index, verfügbar unter: https://www.eiu.com/n/campaigns/democracy-index-2021/ (zuletzt geprüft am 10.05.2022).
- Destatis (2022): Außenhandel, Rangfolge der Handelspartner im Außenhandel der Bundesrepublik Deutschland (vorläufige Ergebnisse), Fachserie 7, Reihe 1, verfügbar unter: https://www.destatis.de/DE/Themen/Wirtschaft/Aussenhandel/Tabellen/rangfolge-handelspartner.pdf?__blob=publicationFile (zuletzt geprüft am 10.05.2022).
- GEO Wissen (2022): Kontroverse um Flüssiggas, Das sollten Sie über LNG wissen, verfügbar unter: https://www.geo.de/natur/nachhaltigkeit/lng–das-sollten-sie-ueber-fluessiggas-wissen-31636266.html (zuletzt geprüft am 10.05.2022).
- Schüwer, Dietmar; Arnold, Karin; Dienst, Carmen; Lechtenböhmer, Stefan; Merten, Frank; Fischedick, Manfred; Supersberger, Nikolaus und Zeiss, Christoph (2010): Erdgas, Brücke ins regenerative Zeitalter, Bewertung des Energieträgers Erdgas und seiner Importabhängigkeit, Wuppertal Institut für Klima, Umwelt und Energie GmbH, verfügbar unter: https://epub.wupperinst.org/frontdoor/deliver/index/docId/3536/file/3536_Erdgas.pdf (zuletzt geprüft am 10.05.2022).
- Wachsmuth, Jacob; Michaelis, Julia; Neumann, Fabian; Wietschel, Martin; Duscha, Vicki; Degünther, Charlotte; Köppel, Wolfgang; Zubair, Asif (2019): Roadmap Gas für die Energiewende, Nachhaltiger Klimabeitrat des Gassektors, Umweltforschungsplan des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit, Climate Change 12/2019, verfügbar unter: https://www.umweltbundesamt.de/sites/default/files/medien/1410/publikationen/2019-04-15_cc_12-2019_roadmap-gas_2.pdf (zuletzt geprüft am 10.05.2022).
- Weltenergierat (2021): Energie in Deutschland, Fakten, Perspektiven und Positionen im globalen Kontext, Schwerpunktthema: CBAM, ein CO2-Grenzausgleich für die europäische Union, verfügbar unter: https://www.weltenergierat.de/wp-content/uploads/2021/06/WEC_Energie-f%C3%BCr-Deutschland-2021.pdf (zuletzt geprüft am 10.05.2022).
- Zeit Online (2022): Menschenrechte, WM-Organisatoren geben Ausbeutung von Arbeitern in Katar zu, verfügbar unter: https://www.zeit.de/news/2022-04/07/wm-organisatoren-geben-ausbeutung-von-arbeitern-in-katar-zu#:~:text=Die%20Menschenrechtsorganisation%20hatte%20zuvor%20einen,%C2%BB%20entspr%C3%A4chen%2C%20teilte%20Amnesty%20mit. (zuletzt geprüft am 10.05.2022).
- ZDF (2022): Habecks Flüssiggas-Abkommen, Was bringt der Wechsel von Russland u Katar, verfügbar unter: https://www.zdf.de/nachrichten/wirtschaft/habeck-energiepreis-fluessiggas-katar-lng-100.html (zuletzt geprüft am 10.05.2022).
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