„Politiker können genauso wenig sparen, wie ein Hund einen Wurstvorrat anlegen kann“, sagt der Politiker Willsch MdB in Bezug auf die aktuelle Euro-Politik. Zur Suche nach der Seele Europas ermutigt der Staatsrechtler Isensee. Alternativen zur Rettungsschirmpolitik hat der Ökonom Van Suntum parat. f1rstlife war beim diesjährigen Buß- und Bettagsgespräch des Instituts Walberberg dabei, bei dem es um die Frage ging, die viele Menschen beschäftigt: Europa – Eine Krise ohne Ende?

Was haben Barack Obama, die Organisation für das Verbot von Chemiewaffen und die Europäische Union gemeinsam? Sie sind Friedensnobelpreisträger. Was ebenso? Sie erhielten den Preis nicht für erbrachte Leistungen sondern für geweckte Hoffnungen. Mit dieser These beginnt Staatsrechtler und -philosoph Prof. em. Dr. Dr. h. c. Josef Isensee seinen Vortrag. Für den Frieden in Europa konnte die EU den Preis kaum erhalten haben, denn dieser war erst die Voraussetzung für ihre Gründung. So sei nach Isensee die Schaffung des europäischen Binnenmarkts der einzige Grund, warum die EU diesen Preis verdient habe.
Isensee sieht die EU als unfertiges Gebäude, bei dem der Binnenmarkt der stabile Unterbau ist. Die Krise wird von ihm hingegen im Überbau verortet, und zwar in dessen oberstem Teilgeschoss, der Währungsunion. Es sei ein „Pfusch am Bau” gewesen, dass das Teilgeschoss des Euros auf den unfertigen Bau gesetzt wurde und nun „Start- und Landeplatz für Rettungsschirme” geworden sei. „Wenn der Euro scheitert, dann scheitert auch Europa”, ist die Kernprophezeihung von Kanzlerin Merkel und der politischen Mehrheit, die den derzeitigen Rettungskurs mitträgt und Europaskepsis in der Bevölkerung entstehen lässt. Für Isensee ein Grund zu Buße und Gebet.
Die EU als seelenloser Zweckverband unter einer dicken Ketchup-Schicht
Wenn Isensee dann auf die zunehmende europäische Überreglementierung von der Banane bis zur Klospülung zu sprechen kommt, nimmt er dies als Ansatzpunkt für die Frage, ob die EU ein bloßer Zweckverband, gar ein Selbstzweck, oder vielleicht doch mehr sei. Bei solch einem Verständnis blieben die Herzen kalt.
Doch sei Europa seit der Krise nun endlich nicht mehr langweilig. Erstmals gebe es eine europäische Öffentlichkeit und das sei die Chance, um eine wichtige Zukunftsfrage neu zu stellen: Wie kann die EU eine Seele erhalten? Auch die EU-Funktionäre wissen, dass bisher kein Gott ihr eine eingehaucht zu haben scheint. Nach Isensee müsse man die „dicke Schicht amerikanischer Ketchup-Kultur” durchbrechen und gegen eine falsch verstandene Säkularität das Christentum bei der Suche nach der Seele Europas miteinbeziehen. Das und eine Verständigung auch über die geographischen Grenzen Europas würden mit Blick auf die Beitrittsverhandlungen mit der Türkei eine „europäisch-kleinasiatische Union” als wirklichkeitsfern entlarven.
Euroskeptiker gegen die Alternativlosigkeit
Wie aber nun mit der Eurokrise umgehen? „Die Währungsunion war ein Fehler“, meint Prof. Dr. Ulrich Van Suntum. Anhand seiner Statistiken zeigt er auf, wie fraglich doch die Behauptung jener Politiker sei, die meinen die Krise sei eigentlich schon überwunden, denn es fehle an der nötigen Dauerhaftigkeit. Besonders die hohe Jugendarbeitslosigkeit in den südeuropäischen Staaten zeige das Ausmaß der noch bestehenden Probleme und wer weiß, wie lange diese Staaten das noch so hinnehmen werden. Auch Van Suntum hält den aktuellen europapolitischen Kurs keinesfalls für alternativlos. Was wären denn Alternativen? Bei Wiedereinführung der D-Mark etwa hat Van Suntum auch gleich eigene Ideen für die Portraits auf den Geldscheinen parat. Darunter ist auch AfD-Chef Bernd Lucke, den er gerne auf dem Zehn-Mark-Schein sehen möchte.
Wer dachte, dass nun mit dem haushaltspolitischen Sprecher der CDU/CSU-Fraktion, Klaus Peter Willsch MdB, nun ein Verteidiger des aktuellen europapolitischen Kurses zu Wort kommt, der hat sich schwer getäuscht. Einleitend erinnert Willsch an das Versprechen der CDU zur Europwahl 2009, dass Deutschland nicht für die Schulden anderer Länder aufkommen werde. Als dann 2010 die Eurokrise ausbrach und das erste Finanzstabilitätsgesetz ausgebrütet wurde, gehörte er zu den vier Mitgliedern seiner Fraktion, die diesen Kurs nicht mittragen wollten, denn alles was er in seinem volkswirtschaftlichem Studium gelernt, was er den Bürgerinnen und Bürgern versprochen habe und seinen Kindern nicht zumuten wolle, sprach seiner Meinung nach dagegen. Dadurch galt er fortan als Euro-Rebell, den man bei den entsprechenden Debatten im Bundestag nicht gerne hören wollte. Als Bundestagspräsident Lammert ihm das Rederecht dann doch eingeräumt hatte, wurde dieser dafür gerügt. Das Sanierungskonzept für Griechenland und die ganze Rettungsschirmpolitik seien unrealistisch, doch wird diese Politik wegen der sie tragenden Bundestagsmehrheit erst einmal so weitergehen. Willsch wendet sich in dieser Frage gegen seine Parteichefin, denn wie Isensee glaubt auch er nicht an Merkels Worte, dass die EU scheitert, wenn der Euro scheitert.
Europa darf nicht wieder langweilig werden
Insgesamt bot das diesjährige Walberberger Buß- und Bettagsgespräch einen aufschlussreichen Einblick in das Denken der Euroskeptiker, wobei die Einordnung der aktuellen Eurokrise in grundsätzlichere Überlegungen durch Isensee dem Ganzen einen geweiteten Horizont verschaffte. Es wäre wünschenswert gewesen, dass auch ein Befürworter des aktuellen Kurses in der Europapolitik hier seine Überzeugungen hätte kundtun können. Denn Frau Merkel und die Bundestagsmehrheit haben sicherlich auch ihre Gründe und Argumente für die Rettungsschirme und das Festhalten am Euro sowie gegen die Umsetzbarkeit etwaiger Alternativen.
Bei der kommenden Europawahl haben jedenfalls die Bürgerinnen und Bürger der EU die Möglichkeit, über diesen Kurs abzustimmen und zu entscheiden, wie es in und mit der EU weitergehen soll. Wichtig ist, dass insbesondere die Suche nach der kulturellen Identität und der Seele Europas dabei nicht zu kurz kommt, damit Europa auch nach der Krise nicht wieder langweilig wird.
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