Ein Fabrikeinsturz in Bangladesch, Kinderarbeit in Indiens Steinbrüchen, Hilferufe von Näherinnen und Hungerlöhne auf Brasiliens Plantagen – diese und ähnliche Meldungen erreichen uns beinahe täglich und bewegen uns dazu, unseren eigenen Konsum aber auch die Geschäftsethik vieler Firmen zu hinterfragen. Eine Veranstaltung der Friedrich-Naumann-Stiftung in Hamburg zeigt, warum wir trotz allem hoffen dürfen.

Wir befinden uns in der Hafen City, dem hochmodernen Viertel in der Handelsmetropole Hamburg. Der Veranstaltungssaal ist nicht sehr groß, für rund 100 Menschen ist Platz und fast alle Stühle sind besetzt. Die Raumdekoration und Werbeartikel erstrahlen in den knalligen Blau- und Pinktönen der liberalen, FDP-nahen Friedrich-Naumann-Stiftung und hinter dem Podium erinnern die deutsche und US-amerikanische Flagge uns an den Ort der Veranstaltung, das Amerikazentrum. Es bietet sich uns also ein sehr liberal geprägtes Bild – und doch soll es heute um Menschenrechte in der Wirtschaft gehen… ein Thema, das man häufig eher auf der anderen Seite des politischen Spektrums antrifft.
Auf dem Podium diskutieren heute je ein Vertreter der Politik, der Non-Profit-Organisationen und der Wirtschaft. Ich erwarte daher ein großes Konfliktpotenzial, gegenseitiges Anprangern, ein Hin- und Herschieben von Kompetenzen und Verantwortungsbereichen und leere Phrasen zur Rechtfertigung fürs Nichtstun. Drei klassisch zerstrittene Parteien, einen bissigen Tonfall und ein nur mühsam fortschreitender Gesprächsverlauf, bei dem sich immer wieder alles im Kreis dreht und ich als Zuhörer frustriert und nicht schlauer als vorher nach Hause gehe. Doch es kommt ganz anders…
Sprecher aus Politik, Wirtschaft und Non-Profit-Organisation sind sich einig: Es geht bergauf
Markus Löning, ehemaliger Beauftragter der Bundesregierung für Menschenrechte und FDP-Bundestagsabgeordneter, hat zwar einen politischen Hintergrund, leitet aber seit 2014 eine Unternehmensberatung für den Umgang mit menschenrechtlichen Risiken. Er kennt daher auch den wirtschaftlichen Blickpunkt auf das Thema. Im Gespräch differenziert er zwischen Stärken und Schwächen beider Seiten. Politiker kritisiert er beispielsweise für ihre fehlenden betriebswirtschaftlichen Kenntnisse, durch die Gesetzesvorschläge häufig unwirtschaftlich werden. Andererseits lobt er beispielsweise die Tätigkeiten des Internationalen Gerichtshofes. In der Wirtschaft bemängelt er oberflächliche Ansätze in der Unternehmensethik, die vor allem PR- und Image-Zwecken dienen sollen. Er beobachtet aber einen generell positiven Trend von vor allem großen Unternehmen, die sich der Sache ernsthaft annehmen.
Isabel Ebert vertritt das Business & Human Rights Resource Centre, eine global agierende, unabhängige Non-Profit-Organisation, deren Ziel es ist, Menschenrechte im Business-Kontext zu fördern. Die Organisation kämpft für mehr Transparenz in der Unternehmensethik und vermittelt dabei zwischen Gesellschaft und Wirtschaft. Sie verfolgt einen kooperativen Ansatz, indem sie Firmen die Möglichkeit gibt, auf Beschuldigungen zu reagieren, bevor sie bekannt gemacht werden. Letzteres schwingt auch in Frau Eberts Aussagen mit: Im Gegensatz zu anderen Non-Profit-Organisationen lobt sie Fortschritte und neue Lösungsansätze, anstatt die zahlreichen Missstände anzuprangern.
Beispielsweise betont sie die positive Symbolwirkung des Modern Slavery Act, der 2015 für die Bekämpfung von moderner Sklaverei vom britischen Parlament verabschiedet und von Menschenrechtsaktivisten für seine Oberflächlichkeit kritisiert wurde. Sie lobt auch die Regierung von Myanmar, die nach der Marktöffnung des südostasiatischen Landes auf die Forderung westlicher Firmen nach Mindestlöhnen eingegangen ist und damit auch in von asiatischen Firmen betriebenen Fabriken ein höheres Lohnniveau erzwungen hat. Und sie erzählt, wie mittelständische Unternehmen, denen alleine die Ressourcen zum Kampf gegen Menschenrechtsverstöße in ihrer Lieferkette fehlen, sich branchenintern zusammenschließen und so gemeinsam für mehr Transparenz sorgen. Frau Ebert demonstriert ein neues Bild der Menschenrechtsaktivisten: Weg von lauten, destruktiven Protestaktionen und hin zu kooperativen, konstruktiven Lösungen.
Der dritte Gast auf dem Podium ist Dr. Johannes Merck, der seit 1989 den Bereich der Corporate Responsibility der Otto Group leitet. Als Vertreter eines der größten deutschen Unternehmen, welches sich als ethisch korrektes Familienunternehmen profiliert und für sein soziales Engagement bekannt ist, repräsentiert er nicht unbedingt die allgemeine Wirtschaft. Er kann aber aus jahrzehntelanger Erfahrung von den Problemen der Wirtschaft im Umgang mit Menschenrechtsverstößen berichten. Er erzählt von Unternehmensprinzipien: Bei leichteren Verstößen wie zum Beispiel einer Missachtung von Brandschutzauflagen werde den Zulieferern die Möglichkeit gegeben, sich zu verbessern – bei schweren Vergehen wie der Beschäftigung von Kindern flögen sie sofort aus der Lieferkette. Über 5.000 direkte Zulieferer habe das Unternehmen, die zwar relativ leicht zu kontrollieren seien, aber jeweils noch ihre eigenen Zulieferer haben. Je weiter sich die Lieferkette verzweigt, desto intransparenter und unnachvollziehbarer werden Menschenrechtsverstöße. In dieser Aussage wird Herr Dr. Merck von Frau Ebert unterstützt – beide treten als Kollegen im Kampf gegen Menschenrechtsverstöße und nicht als verfeindete Aktivisten und Unternehmer auf.

So viel Harmonie – wäre da nicht das Publikum
Die drei Sprecher demonstrieren Harmonie, einen leichten Optimismus und differenzierte Sachlichkeit im Umgang mit Menschenrechtsverstößen in der Wirtschaft. Sie machen mir Hoffnung, dass das Thema gemeinschaftlich und dadurch effektiver von Politik, Wirtschaft und Non-Profit-Organisationen angegangen werden kann, dass die Vernunft siegt und traditionell „verfeindete“ Fronten ihre Differenzen für den guten Zweck überwinden.
Doch das Publikum ist skeptisch: Es sei ein Fehler, die Verantwortung nur bei den Unternehmen zu suchen – die Politik müsse entsprechende Gesetze schaffen und global geltend machen. Sie verabschiede jedoch keine Gesetze zu dem Thema, weil sie sich von der Lobby beeinflussen lasse. Und könne ein Unternehmen nicht auch für die Konsumenten transparenter machen, welche Produkte fair produziert sind? Offensichtlich wirkt die Eintracht der drei Sprecher noch nicht überzeugend – und auch ein leicht populistischer Beigeschmack entsteht bei dem einen oder anderen Publikumskommentar. Das Publikum hat noch kein volles Vertrauen geschöpft.
Herr Löning gesteht: Eine globale, entscheidungsbefugte und durchsetzungsfähige politische Instanz gibt es noch nicht. Und Politiker sind keine Betriebswirtschaftler und benötigen daher wirtschaftliche Informationen, müssen aber auch verantwortungsvoll damit umgehen. Auch Herr Dr. Merck lenkt ein: Marketing für faire Produktion sei zwiespältig, da das Öko-Label je nach Branche unterschiedlich auf den Kunden wirkt und in vielen Branchen noch negativ belastet ist. Letzteres beeinträchtige die Wirtschaftlichkeit der Marketing-Strategie. Trotz allem findet Frau Ebert weiterhin optimistische Worte für ein positives Schlusswort, das auch mich mit einem guten Bauchgefühl und der Hoffnung, dass Menschenrechte in der Wirtschaft zunehmend geschützt werden, nach Hause gehen lässt.
Schreibe einen Kommentar