Unsere Autorin führt ein Interview mit Klara*, die lange Zeit immer wiederkehrenden Problemen ins Auge geschaut hat, ohne genau zu erkennen, was sich darin verbarg. Nachdem sie eines Tages vor einem Therapeuten saß, der ihr sagte: „Na, ich wäre ein schlechter Therapeut, wenn ich Ihre Hochsensibilität nicht erkennen würde!“, begann für sie eine spannende Reise, von der sie unserer Autorin berichtete.
*Name wurde von der Redaktion geändert
In diesem Beitrag geht es auch um psychische Störungen. Wenn du selbst betroffen bist, entscheide, ob du wirklich weiterlesen möchtest. Am Ende findest du mögliche Hilfestellen. Wenn du einen Kommentar schreiben möchtest, freue ich mich riesig.
Frieda: Liebe Klara, wir kennen uns ja nun schon fast sieben Jahre! Damals warst du noch ziemlich verzweifelt und hast öfters davon gesprochen, dass du nicht weißt, was mit dir los war. Weißt du heute mehr darüber?
Klara (lacht): Ja, ich erinnere mich noch sehr gut an diese furchtbare Zeit. Ich wuchs mit dem Satz auf: „Jetzt spinnt sie wieder!“ Damit war gemeint, dass ich sehr schnell weinte, lange brauchte, mich zu beruhigen und lachen konnte, ohne mich halten zu können. Ich vergrub mich stundenlang in Büchern, träumte in meiner eigenen Welt und nahm Gerüche, Farben, Stimmen und allgemein mein Umfeld sehr intensiv wahr. Mit den Jahren kam ich aber in meinem Alltag immer weniger klar. Ich entwickelte auch psychische Störungen, wie beispielsweise eine langanhaltende Depression.
Frieda: Das heißt, du nimmst viele Eindrücke direkt und beinahe ungefiltert wahr?
Klara: Ja, genau. Wie ohne Filter und dann ist einfach vieles schnell überfordernd. Ich komme mir vor wie ein System, in das zu viele Dateien hochgeladen und nicht verarbeitet werden können.
Frieda: Wie gehst du damit um?
Klara: Ich brauche viel mehr Ruhezeiten. Aber ich kann auch unheimlich gut durchpowern. Kreative Arbeiten liegen mir und ich blühe darin auf. Wenn mich allerdings etwas Seelisches belastet, wie zum Beispiel Streit mit jemandem, das kann ich nur sehr schwer verkraften und fühlte mich blockiert und wie gelähmt.
Frieda: Den Streit nimmst du dann auf mehreren Ebenen gleichzeitig wahr?
Klara: Ja, da gehen wie sämtliche Register auf und ich nehme die Szene mit der Mimik, Gestik, mit den Gerüchen, mit dem Standort, mit der Wortwahl usw. zusammen wahr. Auch gehe ich in einen Raum und spüre sofort die Atmosphäre oder leide schnell mit bekümmerten Menschen mit.
Frieda: War es für dich ein Game-Changer zu wissen, dass du hochsensibel bist?
Klara: Spannend, dass du das so ansprichst. Ich kenne inzwischen, meine stark empfindsame Seite und kann so besser Situationen einordnen und Schlüsse für mich ziehen, wie ich besser klar komme mit mir selbst und mit meinem Umfeld. Dadurch sind auch die immer wieder kehrenden Depressionen milder geworden.
Frieda: Was hast du denn da gelernt und für dich erarbeitet?
Klara: In meinem Alltag bin ich größtenteils von Menschen umgeben, die eine gewöhnliche Sensibilität aufweisen. Manche sind sogar eher etwas rauer oder weniger empfindsam. Da kam es öfters zu Problemen, weil ich nicht verstand, wie man so grob miteinander umgehen kann. Heute weiß ich, dass ich Probleme oft auf einer tieferen Ebene bearbeiten will. Manchmal geht es aber tatsächlich mehr um oberflächliche Themen und dass etwas, wie zum Beispiel ein Arbeitsablauf, wieder funktionieren muss, ohne dass man es bis ins letzte Detail verstanden hat. Mir fällt es ziemlich schwer, einen Fokus zu halten. Ich sehe manchmal den Wald vor lauter Bäumen nicht mehr und wenn mich ein Thema interessiert, will ich alles darüber wissen und verliere mich sehr schnell darin.
Frieda: Hast du da einen Helfer, der dir immer wieder eine Struktur aufzeigt oder machst du das selbst? Ich meine in den Situationen, in denen du dich schnell verlierst…
Klara: Meistens bemerke ich an dem Druck von außen, dass das weniger erwünscht ist, so in die Tiefe zu gehen und dass ich zum Beispiel eine Büroarbeit „einfach schnell“ erledigen muss. Sonst bekomme ich ab und an Hilfe beim Organisieren und dann, wenn eine Arbeit fertig sein muss.
Frieda: Das heißt, bei deiner derzeitigen Arbeit als Büroangestellte kannst du deine kreative Seite gar nicht so ausschöpfen und ausleben?
Klara: In der Tat habe ich noch nicht den richtigen Arbeitsplatz für mich gefunden. Auf der einen Seite gibt mir natürlich eine Büroarbeit einen strukturierten Arbeitsalltag und zum anderen spüre ich aber innerlich öfters keine Freude.
Frieda: Das heißt, du bist da noch auf der Suche, deinen Platz zu finden, an dem du dich verstanden fühlst?
Klara: Bisher bin ich oft auf Unverständnis gestoßen, das stimmt, aber ich bin nicht auf der Suche nach Verständnis, sondern danach, da sein zu dürfen, wie ich bin und was zu mir gehört…was ich mitbringe sozusagen. Vielleicht einfach eine Art von Akzeptanz. Es muss kein Verständnis sein, weil ich glaube, dass das innerlich Erlebte oft schwer nachzuvollziehen ist.
Frieda: Dir sind Begegnungen auf Augenhöhe wichtig, obwohl jeder ganz unterschiedlich seine Innen- und Außenwelt wahrnimmt?
Klara: Ja. Oft wird das, was jemand als „fremd“ in seiner Außenwelt erlebt, abgewertet oder abgelehnt. Man sucht ja auch im Außen immer Bestätigungen für die eigenen, inneren Überzeugungen. So ticken viele Menschen. Mir geht es da genauso. Ich bin da viel in der Selbstreflexion.
Frieda: Kannst du stark empfindsamen Menschen etwas aus deiner Erfahrungsschatzkiste weitergeben?
Klara: Für mich war es wichtig, therapeutische Hilfe in Anspruch zu nehmen, weil ich mit der Hochsensibilität und mit den psychischen Störungen nicht allein klarkam. Das war ein Wechsel aus Psychotherapie, Seelsorgeangeboten, Gesprächen mit einem Coach sowie mit anderen Betroffenen. Da gibt es mittlerweile viele Selbsthilfegruppen oder Seminare zum Thema, auch online und vor Ort. Es gibt auch Fragebögen, die man ausfüllen kann, um eine Hochsensibilität zu entdecken. Ebenso ist es wichtig, für sich selbst zu erarbeiten, was einen wirklich zur Ruhe kommen lässt, zum Beispiel Waldspaziergänge, in den blauen Himmel schauen, die Augen und die Ohren zumachen oder musizieren. Weiterhin war es für mich wichtig, meinen nahestehenden Menschen von der Hochsensibilität zu erzählen. Ich erklärte in wenigen Worten, was das ist und mit welchen Herausforderungen ich lebte und wie sich das für die jeweiligeBeziehung auswirken könnte. Dann war für mich das Thema geklärt und ich sprach es normalerweise nicht mehr an. Ich sehe die Hochsensibilität nicht als Besonderheit an oder dass ich mit Samthandschuhen behandelt werden müsste. So war das sowohl für mich als auch für meine Freunde entspannt.
Frieda: Danke für die vielen Tipps von dir und für unser Gespräch. Ich wünsche dir alles Gute und freue mich, wenn du weiterhin so mutig deine Lebensreise voranschreitest.
Klara: Danke, Frieda. Dir auch alles Gute!
Schreibe einen Kommentar