Hektik, Stress und viele Pannen. Kurzgeschichte über das Weihnachtschaos in einer ganz normal-verrückten Familie, die zum Schmunzeln anregt.

„Beeilt euch! Die Christmette fängt bald an!“ Hektisch zerre ich an den Schnürsenkeln meines Schuhs, die mal wieder verknotet sind. Warum muss Mama so einen Stress schieben? Es ist doch Heiligabend. „Wo ist mein neuer Schal?“, kreischt meine Schwester. Papa sucht klimpernd ein paar Münzen für die Kollekte in der Kirche zusammen und brummt dazu: „Oh, Tannenbaum, oh Tannenbaum.“ Mein Bruder öffnet die Tür und freut sich: „Schaut mal. Es hat geschneit.“ Ich laufe ihm hinterher. „Lust auf eine Schneeballschlacht?“, will er herausfordernd wissen und schon trifft mich ein harter Schneeball an der Schulter. „Na, warte“, denke ich und werfe zurück. Mein Bruder will ausweichen und – zack – rutscht er aus. Genau in diesem Moment kommt Mama aus dem Haus. „Ach Kinder, musste das jetzt sein?! Komm sofort rein und zieh dich um.“ Widerwillig gehorcht mein Bruder.
Jetzt steh ich allein in der Kälte. Rein will ich nicht mehr. Zu hektisch. Ich mochte Schnee noch nie. Einfach, weil er nass und kalt ist. Und weil ich Schnee schaufeln nicht mag. Überhaupt mag ich den Winter nicht. Ich gehe ein paar Schritte im Schnee und mein Blick folgt ein paar Spatzen. Sie fliegen auf das Vogelhäuschen zu, das Papa heute auf den Fuß gefallen ist. Er war in Eile, weil er noch hundert andere Dinge machen musste. Und als er es vom Dachboden hievte, ist es ihm auf den Fuß gefallen.
Hastig zieht Papa die Haustüre hinter sich zu. „Alle einsteigen“, ruft er betont fröhlich. „Gerade war es noch schön ruhig“, denke ich, während ich mich mit meinen Geschwistern auf die Rückbank quetsche. Papa lässt den Motor an. Doch ehe er losfahren kann, ärgert sich Mama: „Stopp, ich habe meine Handtasche vergessen.“ Papa wirft ihr einen genervten Blick zu. Schnell steigt Mama aus. Wir warten. Wenig später kommt Mama wieder ein, steigt ein und schlägt die Autotür zu. Es kann losgehen. Auf zur Christmette.
Gedankenverloren kritzle ich einen Stern auf die von der Kälte beschlagene Fensterscheibe. Ich erinnere mich wieder an die Spatzen. Sie haben eifrig Körner gepickt. Sie wissen nichts von dem ganzen Trubel an Weihnachten. Sie müssen keine Weihnachtsgans zubereiten, keine Plätzchen backen, keine Geschenke verpacken und sie müssen auch keine Christbäume schmücken – so wie meine Schwester und ich heute. Wir hörten gerade Radio als Mama die Wohnzimmertüre aufstieß und einen Karton, so groß, dass man nur noch ihre Beine sah, herein trug. „Seid ihr so nett und schmückt den Baum?“, wollte sie wissen. „Klar, machen wir“, antwortete meine Schwester und schon war Mama verschwunden. Ich fing an, die Kugeln aufzuhängen. „Violette“, dachte ich genervt, „Warum konnten es dieses Jahr nicht einmal die Roten sein.“ Gerade als wir fast fertig waren, kam unser Hund herein und sprang mit wedelndem Schwanz um unseren Baum herum und schon – klirr – zerbrachen drei Kugeln. Schnell holten wir den Staubsauger. „Davon erfährt Mama nichts“, dachte ich zufrieden und entfernte die Scherben.
Abrupt kommt unser Auto zum Stehen. Ich werfe einen Blick aus dem Fenster. Es schneit wieder und die Leute hasten an unserem Auto vorbei. Langsam öffne ich die Autotür, während Mama Papa auf Tante Annemarie und ihren Mann aufmerksam macht. „Lass uns bloß schnell in die Kirche gehen, bevor sie uns sehen“, murmelt sie und zieht sich die Mütze tiefer ins Gesicht, aber es ist schon zu spät. Unsere Tante läuft wild fuchtelnd auf unser Auto zu, während sie ihren Mann hinter sich herzerrt. Überschwänglich wünscht sie unserer Familie frohe Weihnachten, bevor sie, wie jedes Jahr vor der Christmette, säuselt: „Ach, ihr drei Süßen, ihr seid ja ganz schön gewachsen“ und meinem Bruder durchs Haar wuschelt. Hilfesuchend schaut der Arme zu Mama, aber die zuckt nur mit den Schultern. „So, wir sollten jetzt mal reingehen“, meint Papa, um dem Redeschwall von Tante Annemarie zu entkommen. Schnell hakt sich Mama bei ihm ein und wir Kinder folgen den beiden und strömen mit der Menschenmenge in Richtung Kirche.
Dort angekommen quetschen wir uns in eine der Reihen. Die Leute tuscheln ungeduldig, aber wir schweigen. Jeder von uns hängt seinen Gedanken nach. Ich komme zur Ruhe und betrachte die beiden großen Christbäume links und rechts. „Rote Kugeln“, denke ich erfreut. Und auf einmal merke ich: Jetzt ist es wieder soweit. Jetzt ist Weihnachten! Jetzt, wo die ganze Anspannung von mir abfällt und ich weiß, dass nichts mehr schief gehen kann, denn das Vogelhäuschen steht im Garten, die Weihnachtsgans steckt im Ofen, die Plätzchen sind gebacken, die Geschenke sind verpackt, der Weihnachtsbaum ist geschmückt und Tante Annemarie hat uns wie jedes Jahr überschwänglich frohe Weihnachten gewünscht.
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