Nicht nur Hape Kerkeling hat es geschafft, sondern viele andere auch. In diesem Jahr bin ich zusammen mit meiner Cousine nach Santiago de Compostela gelaufen. Damit haben wir uns einen lange gehegten Traum erfüllt. Von Burgos aus sind wir 500 Kilometer bis zum Grab des heiligen Jakobus gepilgert und haben so mancherlei Erfahrungen gemacht. Von Blasen über Bettwanzen bis zu atemberaubender Natur und Freiheit, der Jakobsweg bietet alles. Aber der Reihe nach, was ist vor dem Weg, wie ist der Alltag auf dem Weg und was nimmt man davon mit zurück ins normale Leben?

Vor dem Weg – Gute aber wenig Ausrüstung ist alles
Gute und vor allem eingelaufene Wanderschuhe sind natürlich das A und O auf dem Camino, allerdings hat das in meinem Fall leider auch nicht vor Blasen geschützt. Aber es wäre wahrscheinlich ohne noch viel schlimmer gewesen. Ein Rucksack mit Waschzeug, Schlafsack, Medikamenten (vor allem Vaseline für die Füße) und so wenig Klamotten und anderem Zeug wie möglich, ist empfehlenswert. Ich bin mit zwölf Kilogramm an Gepäck gestartet und habe nach drei Tagen vier Kilo postlagernd nach Santiago geschickt. Man braucht wirklich nichts anderes, langweilig war mir nie.
Wichtig ist natürlich ein Reiseführer über die Etappen, der Informationen über Herbergen, Steigung und Entfernungen beinhaltet. Vor allem aber war es gut, mir im Vorhinein den Pilgerausweis zu besorgen, ohne den man weder in den Herbergen unterkommt noch das Pilgermenü in Anspruch nehmen kann. Außerdem muss man ja als Trophäe zu Hause seinen mit Stempeln gefüllten Ausweis vorzeigen können.
Auf dem Camino – zwischen Vorwärtskommen und Treiben lassen
Morgens klingelte meist um viertel nach fünf unser Wecker, womit wir zu den Frühaufstehern gehörten. Im Dunkel des Massenschlafsaales suchten wir unser Zeug zusammen und wehe, man findet seine Taschenlampe nicht oder hat am Abend vorher nicht alles zurechtgelegt, denn Krachmacher sind natürlich nicht beliebt. Im Morgendunkel gingen wir los und konnten fast jeden Morgen einen wunderschönen Sonnaufgang bewundern. Nach etwa zehnKilometern haben wir immer in einem der Dörfer, durch die man unterwegs kommt, eine Kaffeepause gemacht und dann gefrühstückt. So hatten wir eigentlich spätestens um neun Uhr immer schon ein gutes Stück unseres Weges hinter uns gebracht.
Wir sind jeden Tag etwa 25 Kilometer gelaufen, sodass wir von Burgos aus 21 Tage bis Santiago gebraucht haben. Wir sind von Dorf zu Dorf immer weiter marschiert und kamen zwischendurch in größere Städte wie Léon, Ponferrada oder Astorga. Durch Hochebenen und über kleine Gebirgszüge hinweg nähert man sich Kilometer für Kilometer dem Ziel. Zwischendurch gibt es immer wieder Kilometersteine, wo ich am Anfang bei 500 Kilometern schon gedacht habe, dass es doch nur ziemlich langsam voran geht. Aber das war gut so. Wann ist der Ottonormaldeutsche schon mal drei Wochen in keinem Bus, in keiner Bahn oder in keinem Auto? Es war entspannend, selber zu entscheiden, wie viel und wann man sich fortbewegt und das alles in dem Wissen, dass man sich überhaupt nicht beeilen muss, weil man eh nichts anderes mehr zu tun hat.
Mittags waren wir immer gegen Zwölf an den Herbergen, damit wir nicht in der Mittagshitze laufen mussten. Dort folgt regelmäßig der gemütliche Teil des Jakobsweges. Die meisten Herbergen sind an sich schon ein Phänomen. Unglaublich viele Freiwillige versehen dort ihren Dienst, um den Pilgern ihre Wünsche von den Augen abzulesen und eine äußerst günstige Unterbringung zu ermöglichen. In den meisten Herbergen zahlt man um die fünf Euro, einige sind auch komplett auf Spendenbasis. Sie sind natürlich einfach, aber das hat seinen Charme. Es ist zwar nicht immer alles ganz sauber, aber die Dusche (egal wie sie aussieht, wie viel und mit welcher Temperatur Wasser herauskommt) wird mit zum Tageshighlight. Bettwanzen sind auf dem Camino leider ein nicht vermeidbares Übel. In einer Herberge habe ich mir leider welche geholt, aber nachdem mein Schlafsack gewaschen war, war alles wieder okay. Viele Pilger verbringen Nachmittag und Abend damit, einfach auszuspannen. In den meisten Herbergen gab es Sitzbereiche draußen, wo man Tagebuch schreiben konnte oder mit anderen Pilgern ins Gespräch kommen kann. Ich habe viele unglaubliche Menschen, alle mit ihren ganz eigenen Geschichten und Beweggründen, kennengelernt, die ich im Laufe des Weges immer wieder getroffen habe. Menschen aus der ganzen Welt gehen den gleichen Weg.
Für mich war es eine Pilgerreise zum Grab des heiligen Jakobus, für die anderen eher spirituelle Sinn- und Entscheidungssuche. Die meisten gehen alleine, weshalb eine unglaublich offene Stimmung unter den Pilgern herrscht, jedem zu helfen, mit jedem einmal ein Wort gewechselt zu haben und vor allem, um gefragt zu haben: Und du, warum gehst du den Camino? Es gibt die wildesten und schicksalhaftesten Gründe, die von tiefsten menschlichen Abgründen bis zu totalem Dank für ein bestimmtes Ereignis gereicht haben. Sprachlich muss man auf dem Camino natürlich flexibel sein, die meisten Spanier und Italiener auf dem Jakobsweg können nur sehr bruchstückhaft Englisch. Ein bisschen Spanisch zu können, ist nicht schlecht. Ich konnte es nicht und habe mich im Zweifelsfall durchgefragt.
In Santiago und danach – Erinnerungen, die bleiben
Am Ziel, der Stadt Santiago, angekommen, waren wir natürlich erst einmal sehr ausgelassen, wann geht man schon mal 500 Kilometer zu Fuß irgendwohin. Dass ich das geschafft habe, hätte ich vorher nicht garantieren können. Zwischendurch wird es schon ziemlich anstrengend, vor allem, wenn es gerade steil bergauf geht und ich wusste, dass es die nächsten sieben Kilometer noch so weitergeht. Aber in Santiago war das natürlich alles vergessen. Die Stadt präsentierte sich uns bei schönstem Sonnenschein, was in Galicien, Spaniens regenreichster Region, nicht immer üblich ist. Die Stadt mit der größten Universität Spaniens bietet nicht nur kulturell einiges an Schätzen, sondern ist auch ausgesprochen lebhaft.
Dass der Weg damit beendet war, habe ich allerdings erst so richtig realisiert, als ich in der großen Pilgermesse in der Kathedrale von Santiago war, die jeden Tag um zwölf Uhr stattfindet. Hier traf ich bekannte Gesichter wieder und konnte zum eigentlichen Ziel meiner Reise gehen, dem Grab des Apostels Jakobus. Als besondere Attraktion wurde zum Abschluss der Messe der Botafumeiro, ein ca. 1,70 Meter großes Weihreichfass durch das Querschiff geschwungen, das ursprünglich den Gestank der ankommenden Pilger überdecken sollte. Wieder zu Hause war es natürlich erst einmal hart, sich den Aufgaben des Alltags zu stellen, aber auf dem Weg bekam ich eine gewisse Distanz zu dem, was eigentlich nicht so wichtig ist. Einmal weg zu sein, hilft, ein bisschen Ordnung ins Leben zu bringen. Was mir bleibt, sind intensive Tage des geistigen und physischen Treibenlassens in schönsten Naturszenerien und tiefen Gesprächen mit Menschen, die ich sonst wahrscheinlich nie kennengelernt hätte.
Dieser Beitrag wurde finanziell möglich gemacht durch das Institut für Gesellschaftswissenschaften Walberberg. Schaut Euch auch die Homepage an: http://institut-walberberg.de/index.php?cID=1
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