Matthias hat ein halbes Jahr in der Gemeinschaft Cenacolo im österreichischen Burgenland verbracht. Dort leben ehemalige Drogenabhängige und Süchtige, die auf der Suche nach dem Sinn ihres Lebens sind. Diese Erfahrung hat unseren Autor nachhaltig geprägt.

„Cari fratelli, sveglia, l’igiene personale, rosario in capella!”, tönt es pünktlich um 6 Uhr morgens im Zimmer. Damit nicht genug: Das Licht geht an, damit auch beim letzten Bruder die Energie für den neuen Tag geweckt wird. „Liebe Brüder, aufwachen, persönliche Hygiene, danach Rosenkranz in der hauseigenen Kapelle“, heißt der Weckruf übersetzt.
Für mich, erst einige Tage in der christlichen Gemeinschaft Cenacolo im Burgenland in Österreich, war es anfangs eine harte Umstellung, auch wenn mein Arbeitsalltag vorher auch schon früh angefangen hat. Großer Unterschied zu meinem vorherigen Leben: Kein Handy, kein Internet, kein Alkohol und keine Bequemlichkeiten. Mamma mia! Noch wusste ich nicht, welche Freiheit mir die Gemeinschaft dadurch schenken würde.
Wahre Freundschaft ist eines der Geheimnisse von Cenacolo
Jungs, die frisch eintreten, bekommen einen sogenannten „Schutzengel“ an die Seite gestellt, der sie 24 Stunden begleitet und in die Gemeinschaft einführt. Er ist länger in der Gemeinschaft und hat die Anfangsschwierigkeiten überwunden. Meinem Schutzengel, einem gebürtigen Mainzer, konnte ich mich von Anfang an öffnen und ihm gegenüber ehrlich sein. Mit 25 Jungs gemeinsam in einem Haus leben – ob aus Italien, der Slowakei, Deutschland oder Polen: Ich erfahre Ehrlichkeit und Offenheit und ich habe keine Scheu, ich selbst zu sein.

In der Gemeinschaft, in der wir 24 Stunden zusammen sind, muss ich mich nicht verstellen. Mache ich etwas falsch, kann ich mich korrigieren (lassen) und es am nächsten Tag einfach besser machen. Es ist gar nicht selbstverständlich in solch kurzer Zeit. In dieser Atmosphäre fühlt man sich wohl und kann man selbst sein. Ich weiß mich angenommen, so wie ich bin. Auch ich lerne, die anderen mit ihren Stimmungen, Stärken und Schwächen anzunehmen. Denn auch Gott nimmt mich so an und liebt mich so, wie ich bin – und das bedingungslos.
„Masken“ sind die Schutzschilde unserer Zeit
Kennt ihr das? Je nach den Personen, die ihr trefft, verhaltet ihr euch anders? Ihr versucht, das Beste von euch nach außen zu tragen und anderen zu imponieren? „Matthias, tutto bene?“, „Matthias, alles in Ordnung?“ habe ich meist mit „Si“ beantwortet. Innerlich sah es anders aus. Aber Ehrlichkeit und Wahrheit sind wichtige Pfeiler der Gemeinschaft – tragen wir doch alle „Masken“, um unser Inneres zu schützen und „die Starken zu spielen“.
Doch in der Gemeinschaft geht das nicht lange, wenn du nicht allein sein darfst und immer Jungs um dich herumhast. Die Hüllen fallen irgendwann – wenn nicht während des Gebets oder der Beichte, dann eben beim Sport oder im Gespräch. Ich konnte mich meinen Mitbrüdern öffnen, ohne Angst zu haben, dass es als Schwäche ausgelegt wird – schließlich sind wir alle in der Gemeinschaft Cenacolo, um unser Leben zu ändern und uns zu anzunehmen, wie wir sind. Auch ich habe mich mit Alkohol davor gedrückt, mich mit Herausforderungen zu konfrontieren und Probleme wie ein Erwachsener zu lösen.

Eine hohe Feedback-Kultur prägt das Zusammenleben unter uns. Die anderen melden mir zurück, wie sie mich erleben, wo vielleicht etwas nicht so gut gelaufen ist bzw. wo sie mehr Potential sehen. Mir persönlich ist es schwerer gefallen, anderen Feedback zu geben, aber ich habe die Erfahrung gemacht, dass Beziehung durch Ehrlichkeit wächst. Gleichzeitig sehe und erfahre ich, dass es nicht wehtut, jemanden auf etwas hinzuweisen, das er besser machen kann und dass durch das Aussprechen unsere Beziehung nicht leidet – im Gegenteil: sie wird tiefer.
Dank Freunden mangelt es uns in der Gemeinschaft an nichts
Frühstück, Mittag- und Abendessen und dazwischen eine Jause – „merenda“. Keines dieser Mahle wäre denkbar ohne die Freunde der Gemeinschaft Cenacolo. Ob es jemand ist, der wöchentlich Brot bringt, Firmgruppen, die uns besuchen und dabei Hygieneartikel und Nahrungsmittel dabeihaben: Es mangelt uns an nichts und ich empfinde eine tiefe Dankbarkeit dafür. Im Alltag vorher erschien mir das tägliche Brot und die ständige und schnelle Verfügbarkeit von Essen selbstverständlich – ist es aber nicht.
Insgesamt habe ich für jeden Tag zu danken, den ich in diesem Haus verbringen, arbeiten und beten darf. Eines ist klar und geht für uns im Alltagstrubel außerhalb der Gemeinschaft viel zu oft unter: Nichts ist selbstverständlich und wir haben jeden Grund, für alles zu danken, das uns jeden Tag geschenkt wird.
Was ist Cenacolo genau?
1983 hat die Ordensschwester Elvira Petrozzi die Gemeinschaft Cenacolo im italienischen Saluzzo unweit von Turin gegründet. Offen war und ist die Gemeinschaft für alle jungen Menschen – unabhängig von Nationalität und Religion -, die Sinnfragen quälen oder in Lebenskrisen stecken. Gemeinsam machen sie sich auf den Weg, den Sinn ihres Lebens neu zu entdecken und einander zu helfen, der Macht von Drogen, Alkohol und anderen Süchten dauerhaft zu entkommen.
Kontakt in Österreich:
Gemeinschaft Cenacolo
Kleinfrauenhaid 18
7023 Zemendorf-Stöttera
Telefon: +43 2626 5963
E-Mail: gemeinschaft@cenacolo.at
Kontakt in Deutschland:
Info-Hotline: 0178 6510700
E-Mail: info@cenacolo.de
Weitere Informationen und Bilder aus Österreich findet ihr unter www.cenacolo.at/.
Informationen zu den Vorgesprächen in Deutschland gibt es unter www.cenacolo.de/.
Schreibe einen Kommentar