Herr Kraus, die Veranstalter verbuchten in diesem Jahr 6,3 Millionen Gäste, ein leichter Rückgang im Vergleich zum Vorjahr. Hat sich das auch in den Einsatzstatistiken wiedergespiegelt?
Gewissermaßen ja. Wir sind sehr zufrieden mit der Kriminalität auf der Wiesn in diesem Jahr, zu verzeichnen war insgesamt eine rückläufige Straftatenentwicklung. Nicht wiedergespiegelt hat es sich jedoch in der Anzahl der Einsätze, welche sich geringfügig gesteigert hat.
Ein wie großes Thema war dabei Gewalt in diesem Jahr?
Insgesamt erfreulich: Die Anzahl der Körperverletzungen ist zurückgegangen, dabei sind auch die berüchtigten „Maßkrugschlägereien“ seltener geworden. Nichtsdestotrotz ist jede begangene Körperverletzung eine zu viel, denn Gewalt hat auf einem Volksfest eigentlich nichts zu suchen. Negativ war leider die Anzahl der Gewaltausübung gegen unsere Kollegen. Oft griffen auch Unbeteiligte während eines Einsatzes unsere Kollegen an, in einem Fall sprang eine Person völlig unabsehbar von hinten in einen Kollegen. Es ist schon erschreckend, dass alleine die Anzahl der Gewalt gegen die Polizei gestiegen ist.
Kann man da noch von Einzelfällen sprechen?
Natürlich sind das in Relation zur Gesamtbesucherzahl nur Einzelfälle. Doch dass wir seit Jahren Steigerungen in diesem Bereich feststellen müssen, ist zumindest bedenklich.
Sorgt das bei Ihren Kollegen für Verunsicherung oder ist diese Entwicklung längst Berufsalltag?
Angst darf man auf dem Oktoberfest nicht haben. Die Kollegen werden im Vorfeld in einem Einsatztraining geschult und wissen natürlich, was auf sie zukommt. Unsere Taktik ist ja auch dementsprechend geplant, wir schicken zum Beispiel keine Beamten alleine los, sondern sind sie immer in Einsatzgruppen unterwegs. Und natürlich ist den Kollegen auch bewusst, dass bei alkoholisierten Personen immer ein gewisses Aggressionspotential gegeben ist, man muss sich also auf solche Fälle einstellen.
Was war in Ihren Augen der spektakulärste Einsatz in diesem Jahr?
Ein kritischer Moment war ein Böllerwurf in einer U-Bahnstation am letzten Wiesn-Samstag. Zwei Jugendliche haben einen Feuerwerkskörper in einen Luftschacht an der U-Bahnhaltestelle „Theresienwiese“ geworfen. Dadurch entstand eine heftige Rauchentwicklung und die komplette Station musste gesperrt werden. Das ist natürlich der reinste Wahnsinn, wenn man bedenkt, dass die Haltestelle zu dieser Zeit komplett überlagert ist. Wir hatten ein riesiges Glück, dass keine Panik ausgebrochen ist. Die Jugendlichen konnten wir später festnehmen, die haben keine Ahnung, was sie hätten anrichten können.
Durch andere Ereignisse, wie zum Beispiel der Loveparade, wurde man zunehmend sensibler um das Risiko der Massenpanik. Wie bereitet sich die Polizei da im Vorfeld auf diese Eventualität vor, die ja, wie sie sagen, durchaus hätte eintreten können?
Im Vorfeld spielen wir die verschiedensten Szenarien durch, sind immer mit 300 Beamten auf dem Gelände und 200 im Umfeld im Einsatz und somit gut aufgestellt. Wir können nicht jedes Risiko ausräumen, aber es gibt keine Situation, auf die wir nicht zu reagieren wüssten.
Eine Angstvorstellung, mit der eine Großveranstaltung wie diese aber durchaus rechnen muss, ist Terrorismus. Ist das ein Thema bei den polizeilichen Vorbereitungen?
Es ist zumindest ein Thema, das man nicht ausklammern kann und inzwischen bei jeder Großveranstaltung im Hinterkopf haben muss. Wir leben weltweit mit einer ständigen abstrakten Gefahr, da können wir nicht ausschließen, dass uns das nicht auch betrifft. Man muss aber auch ganz klar sagen, dass wir auf der diesjährigen Wiesn keine konkrete Bedrohungslage hatten. Seit einigen Jahren arbeiten wir mit Sperrringen, um die Gefahr zu minimieren. Ganz ausschließen können wir die Gefahr nie, doch tun wir unser menschenmöglichstes, auch zum Beispiel durch Selektivkontrollen an den Eingängen oder ähnliches. Man muss aber auch die Kirche im Dorf lassen, eine künstliche Angst zu erzeugen, steht in keiner Relation.
Große Bekanntheit erlangen auch jedes Jahr aufs Neue die in erster Linie kuriosen Einsätze auf dem Oktoberfest. Gab es auch in diesem Jahr Einsätze, die Potential zum Evergreen haben?
Aus dem Stehgreif fallen mir zwei lustige Einsätze aus diesem Jahr ein. In einem Fall kaufte sich ein Besucher vor dem Verlassen der Wiesn eine Fischsemmel, die er dann nach Hause genommen hat. Dort ist ihm dann aufgefallen, dass ihm die Dekorationsware verkauft worden ist, also eine Fischsemmel aus Gummi. Er hat sich dann in ein Taxi gesetzt, ist zurück zum Gelände gefahren, hat sich fürchterlich am Stand beschwert. Dem Standpersonal ist natürlich nur ein Fehler unterlaufen und haben ihm sofort angeboten, das Taxi zu bezahlen und ihm mehrere Fischsemmeln zu schenken, doch er hat sich nicht beruhigen lassen und wollte den Vorfall bei uns anzeigen. Noch ein anderer Vorfall: Ein 44-Jähriger in der Geisterbahn hat sich wohl vor einem Monster dermaßen erschrocken, dass er aus einer Gondel ausgestiegen ist und dieses demoliert und aus der Verankerung gerissen hat. Für den Mann hat das leider kein gutes Ende, er wird nun wegen Sachbeschädigung angezeigt.
Hat sich die Arbeit der Beamten auf dem Oktoberfest verändert?
Man merkt schon, dass die Arbeit den Beamten im Laufe der Veranstaltung an die Substanz geht. Aber wir achten darauf, immer wieder durchzuwechseln, „frische“ Beamte auf der Wiesn zu haben. Der Dienst auf der Wiesn ist nie einfach, zumal man mit betrunkenen und aggressiven Menschen zu tun hat, von daher ist immer eine Belastung gegeben. Verändert hat sich aber mit Sicherheit so manche Taktik; nach jedem Oktoberfest schauen wir, wo wir uns weiter verbessern, Tendenzen entgegenwirken können. Wir hatten in den letzten Jahren immer wieder Steigerungen bei der Anzahl der Taschendiebstähle und setzen nun Zivilfahnder ein, was in Zusammenhang mit Prävention in den Medien einiges bewirken konnte.
Wie lief die Arbeit dieser Zivilfahnder ab?
Die Fahnder sind immer in Gruppen unterwegs und vertrauen dann auf ihr Auge und ihr Gefühl, um Taschendiebe auf frischer Tat zu ertappen und festnehmen zu können.
Mit welchen Gefühlen erwarten Sie die Wiesn 2015?
Meine Erfahrungen der letzten Jahre haben mir gezeigt, dass es auf keinen Fall einfacher wird, dass eine ähnliche Belastung wie in diesem Jahr zu erwarten ist. In unseren Nachbesprechungen, ganz nach dem Prinzip „Nach der Wiesn ist vor der Wiesn“, wird sich dann noch entscheiden, ob wir personell etwas verändern müssen. Im Großen und Ganzen wird es aber ablaufen wie in diesem Jahr.
Hat man da privat noch Lust auf einen Besuch der Wiesn, wenn man das fest auch aus einer ganz anderen Perspektive kennt?
Es gibt Kollegen, die die Wiesn lieben, gerne dort hingehen, und es gibt Kollegen, die meiden die Wiesn privat. Manche können dort abschalten und es gibt auch welche, die das nicht können.
Herr Kraus, vielen Dank für das Gespräch!
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