Für ein Auslandssemester spricht vieles: Man kann seine Fremdsprachenkenntnisse verbessern, die späteren Karrierechancen steigern, Menschen aus anderen Ländern und Kulturen kennenlernen oder einfach feiern gehen. Das Austauschprogramm Erasmus+ ist allerdings vor allem für eines gedacht: die Menschen Europas näherzubringen. Was es heißt Europäer zu sein und welche Bedeutung und Einfluss die Europäische Union auf unser tägliches Leben hat, ist mir erst durch meinen Auslandsaufenthalt in Frankreich bewusstgeworden.
Stell dir vor: Du triffst jeden Tag neue Menschen, hörst verschiedene Sprachen, siehst wie Menschen verschiedener Kulturen aufeinandertreffen und bist umgeben von Personen mit völlig neuen, anderen Ideen. Die Tage verbringst du mit Studieren, die Nächte mit interessanten Gesprächen über Gott und die Welt oder damit zu spanischem Salsa oder französischem Rap zu tanzen.
Du tauchst ein in eine neue Welt. Eine Welt voller spannender Eindrücke und Erlebnisse. Du lebst einen Alltag, der sich von deinem vorherigem unterscheidet und gefüllt ist mit neuen Erkenntnissen, Ausflügen und Sightseeingtouren. Du kannst das Leben genießen und gleichzeitig bildest du dich weiter, indem du studierst. All das in einem Wort: Erasmus.
Erasmus – wer hat davon noch nicht gehört?
Erasmus: Ein Begriff, den viele schon einmal gehört haben und der von etlichen Mythen umgeben ist. Vor allem aber von diesem: Urlaub und Party! Eigentlich ist Erasmus+ jedoch ein Förderprogramm der EU, benannt nach Erasmus von Rotterdam, einem Humanisten der Renaissance.
Natürlich ist in dem drei- bis zwölfmonatigen Auslandsaufenthalt an einer Universität oder einem Praktikum innerhalb der EU auch Zeit für wilde Partys und ausgelassene Nächte. Doch ist das wirklich der Grund, wieso über 200.000 Studierende sich jedes Jahr für ein Erasmus-Semester entscheiden? Vielleicht ist es einer von vielen, doch feiern kann man auch in der Heimatsstadt.
Wo lerne ich besser Französisch als in Frankreich?
Aber wieso verschlägt es dann so viele Studierende ins Ausland? Diese Frage wurde mir letztes Semester sehr oft gestellt. Immer antwortete ich als erstes: „Die Sprache. Ich möchte die Sprache lernen.“ Natürlich ist die Festigung der Fremdsprache für viele Studierende ein wichtiges Argument, denn wo lässt es sich besser Französisch lernen als in Frankreich? In einem Land ist man umgeben von der Sprache und lernt sie auch im Alltag zu gebrauchen.
Letztendlich liegt es jedoch an einem selbst, wie viel man aus dem Auslandsaufenthalt mitnehmen kann. Eins ist sicher: Erasmus eignet sich vor allem, um Englisch zu lernen. Englisch ist die Sprache, die fast alle Erasmus-Studierende verbindet, denn meist sind gute bis sehr gute Englischkenntnisse unerlässlich, um im Ausland studieren zu können. Aber auch seine Kenntnisse in anderen Sprachen wie Italienisch, Spanisch oder Französisch kann man verbessern. Dies ist allerdings nicht ganz so einfach wie es klingt und erfordert ein gewisses Selbstengagement. Man muss sich bemühen auch mit „Einheimischen“ in Kontakt zu treten, Freundschaften zu knüpfen und sich überwinden, Englisch außen vor zu lassen.
„Einheimische“ Freunde finden – ist das so einfach?
Im Endeffekt muss man für sich selbst definieren, was man sich von seinem Auslandsaufenthalt verspricht: Möchte ich die Sprache lernen? Dann sollte ich einheimische Freunde finden, Kurse in der Sprache belegen und am besten einen zusätzlichen Sprachkurs oder extra Übungen zu Hause erledigen. Einheimische Freunde zu finden ist allerdings nicht ganz so einfach, wie es sich anhört. Die Studierenden haben meist einen vollen Terminplan und schon Freunde mit dem sie diesen füllen. Nur wenige sind an einer ernsthaften Freundschaft mit Erasmus-Studenten interessiert. Sie werden das Land eh nach vier bis sechs Monaten wieder verlassen.
Die einzigen, die sich um internationale Studierende kümmern, sind Organisatoren von Erasmus-Gruppen oder Menschen, die daran interessiert sind andere Sprachen zu lernen. Dies ist allerdings auch nicht immer besonders hilfreich für die Erasmus-Studenten, da diese eigentlich im Land sind, um die einheimische Sprache zu lernen. Hilfreich, um Menschen aus dem Land kennenzulernen, sind deshalb vor allem Sportvereine, internationale Organisationen oder auch das „Tandem-Programm“, in dem zwei Personen unterschiedlicher Herkunft sich gegenseitig ihre Muttersprache beibringen.
Study abroad – ein Perspektivenwechsel
Das Besondere an Erasmus ist vor allem die Möglichkeit, in einem anderen Land zu studieren. Die Auslandserfahrung lässt sich mit einem sinnvollen Aspekt verbinden und steigert zudem die Karrierechancen. Zudem ist es möglich sich in einem anderen Land einen Alltag aufzubauen: dort zu wohnen, zu lernen und zu leben. Nur so kann man ein anderes Land in all seinen Facetten kennenlernen. Es ist kein oberflächlicher Einblick und ein bisschen Sightseeing – eine ausländische Stadt wird dein Zuhause! Schon nach ein paar Wochen, spätestens aber nach zwei Monaten, ist die Stadt und ihre Kultur ein Teil von dir geworden. Du entdeckst die Region mittels vieler Ausflüge, denn du hast einfach Lust, besondere Dinge zu erleben und die Gegend kennenzulernen.
Die vielen Ausflüge und Partys vermitteln oft den Eindruck, dass die universitäre Bildung bei allem anderen etwas zu kurz kommt. Aus meinen Erfahrungen kann ich jedoch berichten, dass das Auslandssemester sehr wohl lehrreich und bereichernd für das Studium ist. Die Universitäten bieten ein ganz anderes Kursangebot. Zudem werden die Lehrinhalte aus einer anderen Perspektive erläutert und auch mittels anderer Unterrichtsmethoden. Der Austausch zwischen den europäischen Universitäten macht es möglich andere Systeme und Universitäten kennenzulernen. Einigen Studierende bietet er außerdem die Chance, auch einmal an Eliteuniversitäten wie zum Beispiel der Cambridge University oder der Sciences Po Paris zu studieren.
Den Horizont erweitern
Doch nicht nur die Sprache und das Studentenleben können ein Grund sein sich für ein Auslandssemester zu entscheiden. Vor allem der kulturelle Austausch ist eine einzigartige Erfahrung. Die Studierenden kommen aus aller Welt und jeder sucht nach Anschluss. Egal, wie unterschiedlich man aussieht, welche Muttersprache man spricht oder auch wie man sich verhält, in einem sind alle gleich: Sie sind in einem fremden Land. Schnell kann man internationale Freundschaften schließen und in eine fremde Kultur eintauchen.
Die Freunde aus aller Welt erzählen von ihren Heimatländern und so lernt man sehr spezielle, aber wissenswerte Fakten über andere Länder. Wer hätte zum Beispiel gedacht, dass es mitten in Kanada Cowboys gibt? Man lernt die Perspektiven und Sichtweisen von Menschen aus anderen Nationen kennen. Länder, die sonst vielleicht nicht im Fokus der medialen Berichterstattung stehen, werden durch Geschichten auf einmal sehr interessant. Internationale Freunde erweitern folglich den Horizont. Der kulturelle Austausch hilft zudem dabei offener und toleranter zu werden, denn man erfährt am eigenen Leib, dass die Menschen trotz anderer Kulturen und Heimatländer doch nicht so verschieden sind.
„Ich bin wie Europa, ich bin das alles“
„Ich bin Franzose, Spanier, Engländer, Däne, Schwede, Österreicher, Ungar, Italiener, Portugiese, Pole, Ukrainer, Serbe. Ich bin nicht einer, sondern viele. Ich bin wie Europa, ich bin das alles.“ Genau dieses Gefühl vermittelt ein Erasmus-Aufenthalt. In Gesprächen und Diskussionen wird bewusst, dass trotz all den kulturellen und auch geschichtlichen Unterschieden innerhalb Europas eine gemeinsame Kultur und Geschichte vorhanden ist. Unsere Denkweisen ähneln sich, obwohl wir auch verschieden geprägt sind.
Tief im Innersten jedoch fühlen wir uns verbunden, egal ob ein Italiener, Finne oder Engländer vor uns steht – keiner kommt uns fremd vor. Die Europäische Union ist das, was uns zusammenhält. Nicht nur die Institutionen, die Regelungen, die Wirtschaft, die Politik. Nein, unsere Identität und die Werte, die wir teilen.
EU, mon amour
Gerade im Austausch ist mir bewusstgeworden, wie wichtig die EU auch für unser alltägliches Leben ist und wie viele Menschen auch an die Idee der EU glauben. Sie hat schließlich dafür gesorgt, dass es keine weiteren Kriege und einen wirtschaftlichen Aufschwung in Europa gibt. Dies konnte nur durch ein gemeinschaftliches Handeln erreicht werden. In der heutigen Zeit vergisst man dies jedoch. Erst im Ausland wird man daran erinnert, dass Europa beziehungsweise die Europäische Union mehr ist als nur eine Institution. Sie steht für eine Idee, die Idee von Friede und Zusammenarbeit, für die Idee, dass trotz unterschiedlichen Entwicklungen Geschichte, Kultur und Werte verbinden können.
Der Austausch zwischen den europäischen Ländern mithilfe des Erasmus-Programms symbolisiert die Idee der Europäischen Union. Das Programm wurde mit dem Ziel gegründet, die Mobilität zu Lernzwecken und der transnationalen Zusammenarbeit zu fördern. EU-Bürger werden dazu finanziell von der EU unterstützt, denn ein Erasmussemester bringt nicht nur Chancen für Studierende mit sich, sondern auch für die EU. Es fördert die Verbundenheit der europäischen Länder und kann ein entscheidendes Zeichen gegen die Euroskepsis setzen. Gerade in der heutigen Zeit, in der in der Welt viel Skepsis geäußert wird, zeigt das Erasmus-Programm, dass junge Menschen Europa mögen.
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