Nun wird es also doch bald soweit sein: die Große Koalition aus SPD und CDU/CSU wird eine Neuauflage versuchen, erneut geführt von Kanzlerin Merkel und ihrem Politikstil des Abwartens und Schweigens. Was wäre von ihr in dieser Legislaturperiode zu erwarten? Ein Ausblick.
Die dritte Auflage der Großen Koalition in der Ära Merkel wurde von Kanzlerkandidat und SPD-Parteivorsitzenden Schulz noch am Wahlabend Ende September vehement abgelehnt. Jetzt wird sie nach einer raschen Kehrtwende der SPD-Spitze nach dem Aus der Jamaika-Sondierungen wohl allzu bald Realität. Beide Partner wurden in der letzten Wahl abgestraft und erzielten historisch schlechte Wahlergebnisse.
Dennoch scheint eine Große Koalition „alternativlos“, um es mit Merkels Lieblingswort zu sagen. Alternativlos nicht nur für die Union, sondern auch für die SPD, bei der die Angst umgeht, bei möglichen Neuwahlen sogar noch schlechter abzuschneiden als im vergangenen September. Doch was würde eine erneute schwarz-rote Regierung realpolitisch, abgesehen von den parteiinternen Vor- und Nachteilen, bedeuten? Was könnte die neue alte Regierung umsetzen oder verändern?
Sozialpolitik
Für die Sozialdemokraten, die unter dem Schlagwort „Gerechtigkeit“ in den letzten Bundestagswahlkampf gezogen waren, ist die Sozialpolitik momentan das wichtigste Thema. Zwar hat die Partei anders als 2013 mit dem Mindestlohn kein großes Projekt mehr, doch einige ihrer Wahlkampfversprechen, wie höhere Ausgaben für Bildung und Investitionen in der Pflege, könnten auch dieses Mal mit der Union zusammen umgesetzt werden. Bereits in den Jamaika-Sondierungen hatten sich die Union und ihre potenziellen Partner auf große Investitionen in der Alten- und Krankenpflege geeinigt. Die SPD wird nun ihrerseits ebenfalls große Geldmengen fordern. Für die Finanzierung konkreter Maßnahmen könnte die vom Deutschen Industrie- und Handelskammertag (DIHK) prognostizierten zusätzlichen Steuereinnahmen in Höhe von rund zwölf Milliarden Euro bis 2020 genutzt werden.
Doch trotz dieser hohen Summe an Mehreinnahmen könnte es zu finanziellen Engpässen angesichts der vielfältigen Pläne beider Parteien führen. Die SPD will zusätzliche Investitionen in verschiedensten Bereichen, die Union möchte vor allem das Kindergeld und die steuerlichen Kinderfreibeträge erhöhen. Für die gleichzeitig von CDU und CSU angestrebten Steuersenkungen wird dadurch wohl kaum Geld übrig bleiben. Und trotz der durchaus vorhandenen Parallelen in den Vorstellungen von Union und Sozialdemokraten gibt es einige Streitpunkte.
Einige SPD-Politiker fordern etwa, dass die Einführung einer Bürgerversicherung und der damit verbundenen schrittweisen Abschaffung des sogenannten „Zwei-Klassen-Systems“ der Krankenversicherung sowie die Stabilisierung des Rentenniveaus rote Linien der SPD in möglichen Koalitionsverhandlungen darstellen sollten. Dies wird mit der Union vermutlich nicht zu machen sein.
Klimapolitik
Bereits in den letzten vier Jahren der Großen Koalition war die Klimapolitik nicht das Lieblingsthema der beiden Parteien. Seit einigen Jahren stagniert der Treibhaus-Ausstoß in Deutschland, 2017 scheint er sogar wieder leicht zu steigen. Dies liegt darin begründet, dass weder eine Energiewende noch eine Verkehrswende noch eine Agrarwende bis jetzt zu funktionieren scheinen.
Während die Stagnation in der Klimapolitik bei der Union mit dem Einfluss von Interessenvertretern aus der Energieindustrie zu tun hat, sitzen der SPD besonders die Gewerkschaftsvertreter der traditionellen Kohlekraftwerke im Nacken. Bereits in der letzten Koalition wurde das Thema kaum in der Regierung behandelt, stattdessen wurde eine Kommission eingesetzt, die sich dem Problem widmen sollte. Dies würde wohl auch in einer neuen Koalition geschehen. Aufgrund dieses Stillstands wird Deutschland die gesetzten Klimaziele in den nächsten Jahren vermutlich verfehlen und es wird noch unwahrscheinlicher werden, das globale Klimaziel der Begrenzung der Erderwärmung zu erreichen.
Europapolitik
Ein Thema, das sowohl Merkel als auch dem möglichen zukünftigen Vizekanzler Schulz am Herzen liegt, ist das Vorantreiben der europäischen Integration. Gemeinsam mit Emmanuel Macron könnte eine schwarz-rote Regierung neue Impulse setzen und die vom französischen Präsidenten vorgeschlagenen Reformvorschläge umsetzen. Auch wenn sich Union und SPD hier einig werden könnten, haben sie dennoch unterschiedliche Vorstellung von der konkreten Umsetzung. Während Schulz ein zusätzliches Budget für die Eurozone für kriselnde Mitgliedstaaten befürwortet, ist die Union in Finanzfragen traditionell eher konservativ eingestellt. Die Gefahr einer Verschwendung deutscher und europäischer Gelder will sie nicht eingehen. Da jedoch für viele geplante Projekte große Investitionen nötig sein werden, dürfte es auch hier Konfliktpotenzial geben.
Neue Stagnation oder wirklicher Fortschritt?
Es werden in Koalitionsverhandlungen, sollte es zu solchen kommen, viele Konfliktpunkte zu besprechen geben. Die Union ist hier aber eindeutig im Nachteil: Die Partei und im Besonderen Angela Merkel wollen eine neue Große Koalition und sind dabei auf die Unterstützung der SPD angewiesen. Die könnte davon durchaus profitieren und einige ihrer Wahlprojekte umsetzen. Ob diese jedoch wirklich fortschrittlich sein würden, bleibt fraglich. Das Jahrhundertprojekt Klimaschutz ist für die Sozialdemokraten keine Herzensangelegenheit, genauso wenig wie für die Union. Auch die Themen Digitalisierung und Bildung spielten im Wahlkampf kaum eine Rolle. Hier sind die Positionen der Parteien unklar und vage. Es bleibt nur zu hoffen, dass es einer Großen Koalition gelingen wird, sich aus der eigens verursachten, nun schon vier Jahre andauernden Stagnation zu befreien.
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