Ein Leben mit vielen Aufenthalten im Krankenhaus gehört nur für wenige Menschen zur täglichen Routine. Anke Trebing dagegen lebt mit einem Herzfehler und Lungenhochdruck. Sie klärt in ihrer Autobiografie auf, wie ihr Leben als chronisch kranke Frau aussieht und welche Höhen und Tiefen dies für sie mit sich bringt. Eine Buchrezension von Andrea Schöne.
„Ich sehe meine Krankheit als eine Art Koffer, in dem alles drinnen ist. Hin und wieder ist ein Teil kaputt, das ich dann wegwerf. Manchmal erwerbe ich neue Sachen, die dann ab in den Koffer kommen.“ – So beschreibt Anke bildlich ihr Leben mit Herzfehler und Lungenhochdruck und wie ihr der Gedanke für den Titel ihrer Autobiografie gekommen ist.
Eins von 100 Kindern kommt in Deutschland mit einem Herzfehler auf die Welt, schreibt Anke in ihrem Buch. Im Jahr 2018 lebten 200. 000 Menschen mit einem Herzfehler in Deutschland. Dennoch ist Außenstehenden die Lebenswelt und Erfahrungen der Betroffenen nur wenig bekannt – auch mir, als junge Frau mit einer Körperbehinderung. Ankes Erkrankungen gelten als lebenskürzend. In ihrem Buch beschreibt sie, wie sie dazu steht und mit ihren Erkrankungen umgeht. „Vertraue dir selbst, traue dir etwas zu und achte auf dich.“ – Das ist ihr Motto. Ihre Lebenserfahrung lehrt sie, niemals aufzugeben und auch nicht immer auf andere Menschen zu hören.
Ein entscheidender Teil ihrer Erfahrungen betrifft ihre Krankenhausaufenthalte. Die Autorin schildert auf diese Weise sehr eindrücklich, wie ernst ein Leben mit einem Herzfehler ist. Gleich nach ihrer Geburt begann ein Klinikmarathon, um die richtige Diagnose zu finden. Als Kind überlebte sie eine Operation mit schweren Folgen: Nierenversagen, Kammerflimmern, kurzer Herzstillstand. Dies hatte psychische Folgen: die Erfahrungen waren so extrem , sodass sie begann, eine Depression zu entwickeln. Anke schildert, wie eine Krankenschwester sie zwang, etwas zu essen, da sonst ihre Mutter nicht mehr kommen dürfe. Voller Wut schleuderte sie das Tablett voller Essen vom Tisch.
Junges Leben mit Herzfehler – trotzdem kein Lebensratgeber
Anke schildert auch die wenige Privatsphäre und erzählt von dem Leben auf der Intensiv- und Normalstation. Dabei gibt sie humorvolle Tipps, welche Dinge im Krankenhaus besonders nerven oder den Aufenthalt besser gestalten. Grund für Mitleid sind Ankes Erfahrungen für sie ausdrücklich nicht. In ihrer Autobiografie klärt die junge Autorin über ihr Leben mit Herzfehler auf, will Raum zum Nachdenken geben und möchte nicht als Ratgeberin gesehen werden, sondern einen Einblick in die Perspektiven von Menschen mit Herzfehler und Lungendruck geben.
So anders ist ihr Leben auch nicht immer. Fernab von Krankenhausaufenthalten war ihre Kindheit ganz normal und ausgefüllt mit vielen Tätigkeiten, die ihr Ärzte gar nicht zugetraut hätten. Seit Kindestagen an tanzt sie Ballett in einer normalen Gruppe und war elf Jahre im Karnevalsverein als Tänzerin. Sie besuchte ein Jahr den Kindergarten und machte ihr Abitur. Nach mehrmaligem Betteln durfte sie auch im Sportunterricht mitmachen und war auf Wandertagen mit dabei.
Gleichzeitig erzählt Anke von ihrer persönlichen Entwicklung. Hilfsmittel machen das Leben einfacher und geben Lebensqualität zurück, wofür sich niemand schämen sollte. Sehr eindringlich warnt Anke, nicht den falschen Dingen zu viel Raum im Leben zu geben, wie falsche Schönheitsideale und wie sie durch exzessiven Sport ihre Gesundheit und ihr Leben aufs Spiel setzte.
Öffnet den Blick für Außenstehende über Ausgrenzung
Wie gehen Außenstehende mit ihren chronischen Erkrankungen um? Verstehen Außenstehende, was es bedeutet, unsichtbare chronische Erkrankungen zu haben? Leider nicht immer. Anke muss sich immer wieder rechtfertigen, weil Menschen ihre Sonderrechte als „Extrawurst“ ansehen, anstatt ihre eigenen Privilegien zu hinterfragen.
Wie viele Möglichkeiten sie mit ihren gesunden Körpern haben! Diskriminierung schmerzt, daher lässt sie diese oft an sich abprallen. Oftmals kommen Vorurteile direkt von Behörden wie dem Versorgungsamt, das ihren Behinderungsgrad nach ihrem achtzehnten Geburtstag herabstufen wollte. Das beschämt, wie Institutionen und die Gesellschaft mit chronisch kranken Menschen umgehen – und eine Logik fehlt.
Diese Erfahrungen betreffen nicht nur Anke, sondern auch ihre Familie. Daher richtet sich ihr Buch auch an Eltern mit einem herzkranken Kind. Die Diagnosesuche und Zeit im Krankenhaus war auch für ihre Eltern schwer, da die Ärzte wenig Empathie zeigten und viele Operationen in den 1990er Jahren noch gar nicht in Deutschland möglich waren. Die junge Autorin gibt Tipps, wie Eltern mit ihren Kindern über den Herzfehler sprechen sollten und wie ihre Eltern mit ihren chronischen Erkrankungen umgehen. Auch du kannst Menschen mit Herzfehler unterstützen, indem du Blut spendest und damit Leben retten kannst.
Own Voices-Literatur und ihre Bedeutung
Ankes Buch ist ein Own Voice- Buch, was bedeutet, dass Betroffene aus ihrer Lebenswelt selbst schildern und nicht über sie geschrieben wird. Über herzkranke Menschen habe ich bisher noch keine weitere Autobiografie gefunden, aber auf Instagram gibt es die sogenannte „Herz-Bubble“, wo sich junge Menschen mit Herzfehler austauschen und aufklären.
Durch zahlreiche Operationen hat Anke eine sichtbare Narbe auf der Brust, die sie liebvoll „ihren Reißverschluss“ nennt. „Wenn man ihn aufmacht, dann ist mein Oberkörper offen, so wie eine Jacke, wenn man den Reißverschluss öffnet.“, erklärt Anke in ihrer Autobiografie. Ihre Narbe macht sie stolz und will sie gar nicht verstecken, da sie ihr vielmehr zeigt, was sie alles schon geschafft hat. Dennoch wird sie immer wieder von Außenstehenden angestarrt und auf ihre Narbe angesprochen. Hier hilft Own Voice-Literatur, um ihre Lebenswelt als Außenstehende*r besser zu verstehen. Einen Teil der Einnahmen mit ihrem Buch spendet Anke an den Bundesverband Herzkranke Kinder e.V. und die Kinderherzstiftung.
Mein Fazit
Ankes Schreibstil ist locker jugendlich und Anke schafft es, selbst Krankenhausaufenthalte humorvoll zu beschreiben. Sie nutzt die Alltagssprache aus der Lebenswelt junger Leute. Mir fällt in Ankes Autobiografie ein starker Fokus in ihren Krankenhaus-Erfahrungen auf. Leider erzählt Anke aber nicht, wie Außenstehende für herzkranke Menschen Verbündete werden können und welche Unsicherheiten es bei Freundschaften und Partnerschaften am Anfang gegeben haben könnte. Von dem Umgang ihres Freundes und Freund*innen mit ihren Erkrankungen erfahren die Leser*innen leider wenig.
Dies ist sehr schade, da andernfalls die Chance bestehen könnte, dass Außenstehende, die zum ersten Mal einen Menschen mit Herzfehler kennenlernen, eine Stütze sein könnten und sich so Berührungsängste abbauen. Sehr gerne hätte ich auch mehr über ihre Arbeit in der „Herz-Bubble“ erfahren und wo und wie sich junge Leute mit Herzfehler gegenseitig austauschen und unterstützen. Dennoch bietet Anke einen sehr wichtigen Einblick in das Leben einer jungen Frau mit Herzfehler, einem Leben zwischen Arztterminen und normalem Alltag, über Höhen und Tiefen im Leben und wie wertvoll Gesundheit ist. Daher empfehle ich das Buch auf jeden Fall weiter, um die Lebenswelten junger Menschen mit Herzfehler und Lungenhochdruck besser kennenzulernen.
Informationen zum Buch:
Buchtitel: Herzfehler im Gepäck
Autorin: Anke Trebing
Verlag: Nova MD
Seitenzahl: 172 Seiten
ISBN: 3966984059
Preis: 12,95 Euro (Taschenbuch), 16,95 Euro (Gebundene Ausgabe)
Schreibe einen Kommentar