Die Novellierung des bayrischen Polizeiaufgabengesetzes (PAG) sorgt schon seit Monaten für zahlreiche Diskussionen und Demonstrationen in Bayern. Am 25.05. tritt das PAG in Bayern in Kraft. Eine kommentierte Einschätzung der Lage von Andrea Schöne.
Viele provokante Protestslogans hörte man am 10. Mai in München. Die Wut auf Ministerpräsident Söder war nicht zu überhören. Die Proteste am 10. Mai in München richteten sich gegen die Novellierung des PAG, an dem Söder eisern festhielt. Die Großdemonstration in München war dabei ganz klar der Höhepunkt. Auch ich war als Journalistin dabei. Schon zu Beginn der Demo war der Marienplatz so voll, dass die erste Kundgebung ausfallen musste. Weiter ging es in Richtung Odeonsplatz.
Zahlreiche Menschen schauten den Demonstrierenden zu, die Polizeipräsenz war sehr gering. Ich lief zusammen mit einem guten Freund im Block der Jusos mit. Die Stimmung war super und friedlich. Ich befand mich relativ weit vorne im Strom der Demonstrierenden. Dennoch war der Odeonsplatz für die Kundgebung schon voll, als ich ankam. Die Veranstaltenden rechneten mit 7.000 Demonstrierenden. Die Zahl wurde jetzt schon übertroffen.
„Wir sind hier, wir sind laut, weil man uns die Freiheit klaut.“
Das Polizeiaufgabengesetz (PAG) regelt die Befugnisse der Polizei. Laut der CSU muss das PAG wegen der europäischen Datenschutzrichtlinie sowie neuen Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts erneuert werden. Die neuen Befugnisse sollen Gefahren abwehren und Terroranschläge, wie 2016 am Breitscheitplatz in Berlin, verhindern.
Größter Kritikpunkt ist der schwammige neue Rechtsbegriff der „drohenden Gefahr“ zusammen mit zahlreichen neuen Befugnissen der Polizei, die stark in die Privatsphäre der Bevölkerung eingreifen. Die bayrische Polizei darf jetzt nicht erst nach konkreter Gefahr Personen überwachen. „Drohende Gefahr“ reicht aus. Ab wann bereits drohende Gefahr herrscht, ist für Kritiker nicht eindeutig genug im neuen PAG geregelt.
Erstmals trat der neue Rechtsbegriff der „drohenden Gefahr“ in Zusammenhang mit der sogenannten Unendlichkeitshaft auf. Seit August 2017 können Menschen ohne eine Straftat begangen zu haben aufgrund „drohender Gefahr“ für unbegrenzte Zeit in Präventivhaft genommen werden. Damit betraten bayrische Gesetzgeber eine Grauzone zur Verfassungsfeindlichkeit.
„PAG- Scheiß Idee.“
Anfang April gründete sich das Aktionsbündnis #noPAG und leistet seitdem mit Protestaktionen Widerstand. Zum Zeitpunkt der Großdemonstration in München haben sich laut Pressesprecherin Laura von attac über 95 zivilgesellschaftliche Organisationen und Parteien dem Bündnis angeschlossen. Zahlreiche Kritikpunkte kamen während der Großdemonstration in München direkt zur Sprache.
Der Redner Thilo Weichert von der deutschen Vereinigung für Datenschutz verdeutlichte beispielhaft durch die Regelungen zum Einsatz durch Drohnen, wie stark die Befugnisse der Polizei in Bayern werden:
Die einzige Voraussetzung ist die theoretische Möglichkeit für uns, die Drohne in der Luft zu entdecken. (…) Mit den Drohnen kann die Polizei so künftig im Freien eine Totalüberwachung durchführen, ohne dass es ein Entrinnen oder eine Kontrollmöglichkeit gibt. Selbst das Eindringen mit den Drohnen in eine Wohnung soll erlaubt sein.
Besonders umstritten ist auch die sogenannte „genetische Phänotypisierung“. Durch DNA-Spuren sollen nicht nur die Haut-, Augen- und Haarfarbe, sondern auch die „biogeografische Herkunft“ abgeleitet werden. Diese Maßnahme darf zur Feststellung der Identität einer Person angewandt werden. Auch bereits bei „drohender Gefahr“. Nach Thilo Weichert schürt dies ganz klar Rassismus:
Das genetische Erraten von biogeografischer Herkunft ist letztlich nichts anderes als die Aufforderung zur Diskriminierung von ethnischen Minderheiten. Es geht nicht darum, hellhäutige, blauäugige und blonde Menschen zu identifizieren, sondern um Menschen mit fremdländischem Aussehen.
Wer ist jetzt alles Gefährder?
Seit mehrere Terroranschläge ganz Europa trafen, beherrscht die Debatte um mehr Sicherheit ganz Europa. Rassismus und Fremdenfeindlichkeit nehmen zu. Der Rechtsruck folgte, rechtsradikale Parteien bekommen immer mehr Zulauf oder bilden gar die Regierung. Auch in Deutschland zog mit der AfD offen verfassungsfeindliches Gedankengut in den Bundestag ein. Noch fataler ist, wie die AfD es schaffte, so viel Ängste zu schüren, dass die anderen deutschen Parteien dem fortschreitenden Rechtsruck nachgaben.
Das PAG ist ein Ergebnis davon. Konservative Einstellungen der CSU bewegen sich nun mehr in Richtung rechtem Rand. Das zeigte sich zuletzt auch in der Debatte um das Psychisch-Krankenhilfe-Gesetz. Der Versuch, damit der AfD Wähler abzugreifen, funktionierte schon bei der Bundestagswahl nicht. Durch das PAG verschwimmt die Grenze zwischen der Polizei als „Freund und Helfer“ und Handlanger von Geheimdiensten immer mehr. Es ist nicht auszudenken, welches Gefahrenpotenzial das PAG birgt, wenn die AfD zukünftig eine Regierung bilden könnte. Gerade deshalb ist der Eingriff in die Freiheitsrechte der Bevölkerung so gefährlich.
Schon jetzt befürchten Geflüchtete wie Rednerin Nagis Nasimi von der Organisation „Refugees Struggle For Freedom“ auf der Großdemo in München das Schlimmste:
Jeden verdammten Tag gibt es Angriffe auf Unterkünfte von Geflüchteten. Aber niemand spricht von echtem Terror in Deutschland. Im Gegenteil, das PAG, dieses angebliche Anti-Terror-Gesetz ist nur dazu da, um weiterhin Muslime, Geflüchtete und Migrantinnen zu kriminalisieren und zu stigmatisieren.
Vor allem die Jugend demonstriert
Laut Pressemeldungen nahmen 30.000 Menschen an der Großdemo teil, die Veranstalter haben die Zahl der Demonstrierenden auf 40.000 geschätzt. Vor allem junge Leute aus ganz Bayern gingen gegen das PAG auf die Straße und machten ihrer Wut über die populistischen Äußerungen von Ministerpräsident Markus Söder Luft.
Letztes Jahr reagierten Jugendverbände laut der Rednerin Melanie Geigenberger, Vertreterin der Jugend auf der Großdemo in München, auf die Einführung der Unendlichkeitshaft:
Schon letztes Jahr gab es in den Reihen der Jugendverbände massive Empörung und Widerstand gegen die damalige Novellierung und der Einführung der sogenannten Unendlichkeitshaft. Das war schon Grund genug, dass einige Jugendverbände dagegen Klage eingereicht haben.
Söders Umgang mit dem Protest der Jugend zeigt besonders stark die Arroganz der CSU im Umgang mit den protestierenden Bürgern. Erst bringen Politiker der CSU, wie Innenminister Herrmann, das bunte Protest-Bündnis in Misskredit. Ministerpräsident Söder kündigte an, nachdem das PAG in Kraft getreten ist, sollen Polizisten in Schulen und Universitäten über das Gesetz aufklären. Damit werden Polizisten mit der Wut gegen die Novellierung konfrontiert, obwohl sich selbst eine eher konservative Gewerkschaft der Polizei gegen das PAG ausspricht. Söders Aufgabe wäre es gewesen, bereits vor Verabschiedung des Gesetzes den Dialog mit den jungen Menschen zu suchen.
Widersprüche bei Demonstrierenden
Inzwischen ist die Informationslage über das PAG sehr verworren. Die Gerüchteküche in den Social Media kocht. Wie Innenminister Herrmann bestärkte, dürfen Streifenpolizisten auch zukünftig keine Handgranaten mit sich führen. Ebenso müssen Hinweise vorliegen, um bei drohender Gefahr tätig zu werden.
Nein, ich mache mich nicht gemein mit Leuten, die gegen die Polizei demonstrieren. Die Polizei muss die Bürger vor Kriminellen schützen, aber es ist unsere Aufgabe, den Rechtsstaat vor der CSU zu schützen. (Martin Hagen, FDP)
Die Großdemonstration in München wurde auch von Gruppierungen genutzt, um für die Abschaffung der Polizei zu demonstrieren. Das äußerte sich insbesondere beim Statement des FDP-Landtagskandidaten Martin Hagen mit Buhrufen, als er sich für die Polizei aussprach. Das ist nicht weniger ideologisch unangebracht wie die fehlende Diskussionskultur der CSU.
„Wir protestieren laut, wir protestieren friedlich, wir protestieren, wir protestieren bunt.“
Die Diskussion über das bayrische Polizeiaufgabengesetz ist ein Stimmungsbarometer in der Bevölkerung und der bayerischen Politik vor der Landtagswahl im Herbst. Seit der Verabschiedung des Nichtraucherschutzgesetzes vor elf Jahren hat kaum ein Gesetz hat die Menschen in Bayern mehr polarisiert als das PAG.
Gegen das PAG sind bereits neue Protestaktionen angemeldet, auch wenn das Gesetz heute in Kraft tritt. Durch die absolute Mehrheit der CSU im Parlament wurde das PAG am 15. Mai wie geplant verabschiedet. Alle Oppositionsparteien haben angekündigt, gegen das Gesetz zu klagen. Somit wird das PAG für alle Parteien ein zentrales Thema des Landtagswahlkampfs werden. Ob die CSU die absolute Mehrheit behält, ist zumindest nach aktuellem Stand fraglich.
Trotz aller Vorbehalte gegen das bayrische Polizeiaufgabengesetz, wirft es wichtige Fragen für unsere Gesellschaft auf. Die islamistisch motivierten Terroranschläge der letzten Jahre in Europa hatten ein so enormes Ausmaß wie die linksextremistischen Terrororganisation RAF im Deutschland der 70er Jahre. In der Zwischenzeit haben sich die technischen Möglichkeiten weiterentwickelt. Beispielsweise blieb die rechtsextreme Zelle, die für die NSU-Morde verantwortlich ist, lange Zeit unentdeckt. Daher müssen sehr wohl Sicherheitsstandards für den Umgang mit digitalen Daten, der Sicherheit im Internet und Handys diskutiert werden.
Auch der Umgang mit dem Rechtsruck in Deutschland muss offen diskutiert werden. Parteien wie die CSU oder auch die FDP dürfen nicht weiter rechtspopulistische Ressentiments bedienen. Vielmehr müssen wir uns wieder auf unsere Werte, besonders auf jene des Grundgesetzes besinnen. Freiheit statt Repression. Zusammenhalt statt Diskriminierung. Offenheit statt Angst.
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