Die Beziehungen zwischen der Türkei und Armenien liegen seit Jahrzenten auf Eis. Alle Versuche, diese aufzutauen, sind immer wieder gescheitert. Der armenische Völkermord spielt dabei eine wichtige Rolle. So setzen sich die Armenier weltweit für seine Anerkennung ein, während die türkische Regierung verleugnet, dass er jemals passiert ist. Um zu verstehen, warum beide Nationen nicht von ihrer Haltung abweichen, muss man einen Blick zurück nach 1915 werfen, in der die moderne Identität beider Länder ihren Ursprung hat.

Der 24. April in diesem Jahr ist ein wichtiger Tag für Armenier auf der ganzen Welt. Er ist der hundertjährige Gedenktag an den armenischen Völkermord. Dabei handelt es sich um die systematischen Ermordungen der Regierung des Osmanischen Reiches von circa 1 bis 1,5 Millionen Armeniern in den Jahren von 1915 bis 1918. Obwohl das Regime der Jungtürken den Völkermord schon vorher geplant hatte, war es der 24. April, an dem ihr Plan offenbart wurde, als etwa 250 der wichtigsten Persönlichkeiten der armenischen Gemeinde in Konstantinopel verhaftet wurden. Die Mehrheit von ihnen wurde später gefoltert und getötet.
2015 ist der 24. April von besonderer Bedeutung
Um der Opfer dieses Tages und der darauffolgenden Deportationen und Massaker, in denen auch Frauen und Kinder nicht verschont wurden, zu gedenken, pilgern jährlich am 24. April Hunderttausende Armenier zum Völkermordmahnmal in Yerevan, der Hauptstadt von Armenien. Dort legen sie Blumen zum Gedenken an die Opfer des Völkermordes an der ewigen Flamme nieder. Doch dieses Jahr wird das Gedenken größer sein, so sind auf der ganzen Welt Gedenkfeiern geplant und auch Papst Franziskus hat angekündigt, er werde Armenien anlässlich des 100-jährigen Gedenktages bald besuchen.
Doch auch aus einem anderen Grund ist der 24. April 2015 besonders: Denn der Blick wird nicht nur auf Armenien liegen, sondern vor allem auf der Türkei und der Frage der Anerkennung des Völkermordes. Bis heute verleugnet die türkische Regierung, dass der Völkermord je passiert ist und weist dabei jegliche Schuld des Osmanischen Reiches zurück. Die Verleugnung des Völkermordes hindert nicht nur die Aufklärung der historischen Ereignisse, sondern auch die Annäherung und Versöhnung der Türkei mit Armenien. Doch warum verleugnet die türkische Regierung so vehement den Völkermord, während die Armenier nicht aufhören, seine weltweite Anerkennung zu suchen? Um eine Antwort auf diese Frage zu finden, muss man zurück zu den Wurzeln von sowohl türkischer als auch armenischer Identität gehen. Denn beide Identitäten wurden von dem Völkermord geprägt.
Türkischer Nationalismus als Teil des Weges zur modernen Türkei
Zur Zeit des Völkermordes war die türkische Identität im Wandel. Das Osmanische Reich war multiethnisch, doch inneres Ungleichgewicht und äußere Bedrohungen führten zum Zerfall des Reiches. Gleichzeitig wuchsen die Macht und der Einfluss der Jungtürken, einer Reformbewegung mit einer nationalistischen türkischen Ideologie. Die Jungtürken sahen die Errichtung eines ‚Großtürkischen Reiches‘ vor, in dem sich die Staatsbürger als ‚Türken‘ definierten. Völker anderer Sprache und Kultur waren davon ausgeschlossen. Da die Armenier nicht türkisch, sondern armenisch sprachen und dem christlichen Glauben folgten, passten sie aus Sicht der Jungtürken nicht in das Bild des türkischen Nationalstaates, den sie errichten wollten. Anfang des 20. Jahrhunderts lebten jedoch 1,3 Millionen Armenier auf dem Gebiet des Osmanischen Reiches. Als Lösung für die sogenannte ‚Armenischen Frage‘, sahen die Jungtürken die Ermordung der Armenier vor.
Nachdem der Völkermord schon vollzogen war, wurde das jungtürkische Regime Ende 1918 gestürzt, was zum endgültigen Zusammenbruch des Osmanischen Reiches führte. Aus dessen Ruinen gründete Atatürk die türkische Republik – mit einer neuen, säkularen Identität. Doch die nationalistische Ideologie der Jungtürken hatte die Entwicklung des modernen türkischen Staates mitbeeinflusst. So gab sie den Türken ein positives Selbstbild und vereinheitlichte sie national. Deshalb kann der Völkermord an den Armeniern als Teil des Weges zur Bildung der modernen türkischen Identität angesehen werden. Das ist der entscheidende Grund, warum die Regierung der Türkei bis heute den Völkermord an den Armeniern verleugnet, da die Anerkennung die Grundgerüste der modernen türkischen Identität in Frage stellen würde.
Der Völkermord als Fundament moderner armenischer Identität
Die Erinnerung an den armenischen Völkermord bildet den Kern der modernen armenischen Identität. So verbindet sie Armenien und die armenische Diaspora weltweit. Durch den Völkermord wurde ein Drittel der armenischen Bevölkerung von ihrem Stammgebiet vertrieben, womit die Spuren von 3.000 Jahren armenischer Kultur beseitigt wurden. Aus diesem Grund hatten die Überlebenden des Völkermordes das Gefühl, ihre Identität verloren zu haben. Seitdem befinden sich die Armenier in einem Prozess des Neuaufbaus ihrer Identität.
Das Erinnern an die schrecklichen Ereignisse von 1915 ist zentral, denn die Verleugnung des Völkermordes stellt die letzte Stufe des Völkermordes dar – Es befreit die Tätern von ihrer Schuld und nimmt den Opfern ihr Recht auf Gerechtigkeit. Für die Armenier ist die Anerkennung des Völkermordes untrennbar mit der Anerkennung ihrer Identität verbunden, welche ihnen 1915 durch die versuchte Auslöschung verwehrt wurde und ihnen durch die Leugnung des Völkermordes weiterhin verwehrt wird. Deshalb werden die Armenier nicht aufhören, für die Anerkennung des Völkermordes durch die türkische Regierung zu kämpfen.
Der 24. April als Chance für die Erneuerung der türkisch-armenischen Beziehungen
Da die Aufgabe der Haltung beider Länder zum Völkermord bei jeweils beiden zu einer Identitätskrise führen würde, scheint eine Lösung derzeit nicht in Aussicht zu sein. Zwar könnte ein Austausch zwischen Türken und Armeniern potentiell auf lange Sicht die festgefahrenen Ansichten beider Länder beeinflussen, jedoch sind die türkisch-armenischen Grenzen seit 1993 geschlossen.
Daher sollten die Zivilgesellschaften und Regierungen beider Länder das historische Datum nutzen, um offen für einen Dialog zu sein. Vor allem die Regierung der Türkei muss erkennen, dass die Lösung der Frage um die Anerkennung nicht nur den Opfern Gerechtigkeit bringt, sondern auch erfolgreiche Zusammenarbeit zwischen der Türkei und Armenien in der Zukunft möglich macht.
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