Wer mit einer psychischen Erkrankung zu kämpfen hat, weiß: Es gibt gute und schlechte Tage. Ein Einblick in die Gefühlswelt unserer Autorin.
„Ich kann nicht mehr“, denke ich, bevor ich mich, wie jeden Morgen, auf den Weg zur Arbeit mache. Mein Alltag strengt mich an und allzu oft wächst er mir über den Kopf. Von meinem sonst ausgeglichenen, lebensfrohen Normalzustand bin ich weit entfernt, viel zu weit. Es hat lange gebraucht, bis ich mir eingestehen konnte, dass ich professionelle Hilfe brauche.
Dafür erschien es mir nicht groß genug. Wann ist der richtige Zeitpunkt, sich helfen zu lassen? Wenn es zu spät ist? So weit wollte ich es nicht kommen lassen. Als ich das Haus verlasse, erblicke ich den rötlich-orangenen Mond, der inmitten der Morgendämmerung steht. „Schön“, denke ich und versuche, den Moment festzuhalten. Das ist eine meiner Strategien: in Momenten leben.
Jeder Tag ist anders
Ich teile meine Tage ein in gut und schlecht oder – bildlich gesprochen – in blau und grau. An grauen Tagen werde ich von einem Nebelvorhang eingeschlossen. In den wehenden Tüchern greifen Emotionen nach mir und wollen mich in ihren Bann ziehen, hineinziehen in den grauen Sog, den sie erschaffen. Es ist schwer, mich dagegen zu wehren. Wenn ich es nicht schaffe, werde ich von Emotionen überrollt. Dann kommt das „Ich kann nicht mehr“ und krallt sich unangenehm in meiner Magengrube fest. Tränen sind für mich ebenso alltäglich geworden wie der Kaffee am Morgen. Sie gehören dazu. Körperliche Erschöpfung auch – bei der Anstrengung, die meine Psyche durchlebt, ist das kein Wunder.
An blauen Tagen ist die Welt heller und alles ein bisschen leichter. Die Energie, die ich dann habe, nutze ich sofort in dem Wissen, dass sie sich vielleicht schon bald wieder verabschiedet. Das ist okay für mich. An blauen Tagen weiß ich, dass auch die grau-blaue Phase irgendwann wieder von einer anderen abgelöst wird. An blauen Tagen weiß ich, dass ich das schaffe. Manchmal bin ich sogar ein klein wenig stolz auf die Dinge, die ich trotz allem noch bewältige. Alltägliches, wie Einkaufen gehen, die Wohnung aufräumen oder mich mit einem Freund verabreden, um innerlich nicht in meiner grauen Welt zu versinken.
Der Wunsch nach gesellschaftlicher Akzeptanz
Ich wünsche mir, dass wir mehr über psychische Probleme und Krankheiten reden. Dass es enttabuisiert wird, damit wir nicht nur erahnen können, dass wir nicht allein sind, sondern es sicher wissen. Ich wünsche mir, dass ich meinen Kolleginnen und Kollegen genauso entspannt erzählen kann, dass ich wegen psychischer Überlastung krankgeschrieben war, wie ich es bei einem gebrochenen Bein tun würde.
Mit jedem Beitrag, in dem jemand seine Psyche „outet“, schöpfe ich ein wenig Hoffnung. Immer, wenn mir jemand Verständnis entgegenbringt, kann ich aufatmen. Jede Person aus meinem Umfeld, die mir Hilfe anbietet, schenkt mir Kraft. Es mögen kleine Momente für die Menschen sein, die das tun; für mich sind es die Momente, die ich festhalte. Es sind Momente, in denen sich mein „Ich kann nicht mehr“ verwandelt in ein „Ich schaffe das “.
Unsere Autorin spendet ihr Honorar für diesen Beitrag zugunsten der „Deutschen Depressionshilfe“.
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