Stellvertretend für die berührende Geschichte Ruandas von Zerstörung und Wiederaufbau des Landes steht der Akagera-Nationalpark. Das einzigartige Naturparadies erlebte mit Schrecken die Gräuel des Völkermordes in den 1990er Jahren, die auch zur völligen Zerstörung von Flora und Fauna führten. Nach dem allmählichen Wiederaufbau begeistert der Park heute wieder mit seltenen Tieren der afrikanischen Savanne. Doch Bevölkerungswachstum und Klimawandel sorgen für neue Konflikte. Wie kann das Naturparadies für zukünftige Generationen erhalten bleiben?
Grasende Antilopen, jagende Löwen, wandernde Elefanten und dösende Nilpferde – die Bilder der afrikanischen Savanne stehen für ein Ideal natürlicher Schönheit. Seitdem Naturforscher und Filmemacher, wie der deutsche Zoologe Bernhard Grzimek, jene Szenen in den 1950er Jahren in die deutschen Wohnzimmer gebracht haben, stehen die afrikanischen Nationalparks unter dem Prädikat „Sehnsuchtsort“. Die Region der Großen Seen, welche ihren Namen dem riesigen Viktoriasee sowie den Gewässern entlang des afrikanischen Grabenbruchs Malawi-, Kivu-, Tanganjika- und Eduardsee verdankt, beherbergt zahlreiche der bekannten und einzigartige Refugien, wie etwa der Serengeti und Kilimandscharo Nationalpark in Tansania und Kenia.
Im Gegensatz zu den weiten Landschaften der Savanne macht Ruanda, das als „Land der 1.000 Hügel“ bekannt ist, seinem Namen alle Ehren. Das kleine Land ist durchzogen von sanften grünen Hügeln. Im Westen erstrecken sich die Virunga-Vulkane, welche nicht nur majestätisch bis zu 4.507 Metern in die Höhe ragen, sondern auch durch ihre Ausbrüche mit gewaltigen Aschewolken verantwortlich für die Entstehung der Savanne sind. Die Bedeutung eines Refugiums für Tiere wurde schon den ehemaligen belgischen Kolonialherren deutlich. Daher gründeten sie 1934 den Akagera-Nationalpark, der einst ein Zehntel der gesamten Fläche Ruandas einnahm.
Stunde null im Land der 1.000 Hügel
Ruanda wurde 1962 im Zuge der Dekolonialisierung Afrikas in die Unabhängigkeit entlassen. Nach Jahren der Abhängigkeit vom Deutschen Reich, Belgien und schließlich der Vereinten Nationen riss die neugewonnene Freiheit alte ethnische Wunden auf. Während der Kolonialzeit wurde die Volksgruppe der Tutsi mit Privilegien ausgestattet. Da diese aber eine Minderheit im Land darstellten, wurden sie nach der Unabhängigkeit von einer Hutu Mehrheit verfolgt.
Daher kam es zu ersten Fluchtbewegungen in die Nachbarländer, insbesondere nach Uganda, Burundi und Tansania. Die Exilorganisation „Ruandische Patriotische Front“ setzte sich in den folgenden Jahren mit Einsatz von Gewalt für eine Rückkehr der Flüchtlinge ein, wodurch sich der Konflikt Anfang der 1990er Jahre zu einem Bürgerkrieg entwickelte. Trotz internationaler Friedensbemühungen um das sogenannte „Arusha-Abkommen“ eskalierte die Gewalt nach dem Absturz der Präsidentenmaschine 1994 beim Landeanflug auf den Flughafen Kigali völlig. Während des Genozids starben innerhalb von nur drei Monaten zwischen April und Juli 1994 über 800.000 Tutsi und moderate Hutu.
Der Akagera-Nationalpark als Schutzort vorm Völkermord
Die Gräuel des Völkermordes machten keinen Halt vor dem Akagera Nationalpark. Millionen Flüchtlinge drangen auf der Suche nach Schutz in den Park ein. Dabei vernichteten sie die einzigartige Natur, töteten oder vertrieben wilde Tiere und öffneten die Türen für Wilderer. Höllische Szenen spielten sich ab, welche hier nicht weiter beschrieben werden. Nach dem Ende der Kampfhandlungen zeigte sich die Verwüstung. Von der einstigen Schönheit der Flora und Fauna war nichts mehr geblieben. Zerstört, gespalten und zutiefst traumatisiert stand Ruanda vor 28 Jahren vor den Trümmern des eigenen Landes.
Doch wie der Phönix aus der Asche erhob sich Ruanda in den folgenden Jahren aus den Ruinen. Wegen des Mangels an Acker- und Wohnflächen wurde der Akagera-Nationalpark zwar 1997 um circa die Hälfte seines Gebiets verkleinert, aber Investitionen zum Schutz der Natur und internationale Partnerschaften sorgten für eine rasante Rehabilitierung des Parks. So wurden große Säugetiere, wie etwa Spitzmaulnashörner, Giraffen, Elefanten und Löwen, in den Park zurückgebracht. Die Anwesenheit jener Tiere wirkte sich auch positiv auf andere Arten aus, sodass sich auf natürliche Weise zahlreiche Vogel-, Reptilien- und Insektenarten wieder ansiedelten.
Wie in ganz Ruanda wurde der Rechtsschutz und die öffentliche Sicherheit massiv ausgebaut. Auch die Einbettung der Bevölkerung ist seitdem sehr erfolgreich, da über 300.000 Menschen in der direkten Umgebung des Parks in Form von Arbeitsplätzen als Guides, Ranger, Fahrer, Hotelangestellte und Zulieferer profitieren. Zur Unterstützung wurden zudem Baumschulen, Forschungsinstitute, Imker- und Fischereibetriebe gegründet.
Ruanda als Vorreiter der Länder südlich der Sahara
Ruanda erlebte zudem ein stetiges Wirtschaftswachstum von etwa acht Prozent jährlich. Trotz Defiziten in politscher Mitsprache und Pressefreiheit zählt das Land heute zu den erfolgreichsten Ökonomien und stabilsten Ländern südlich der Sahara. Das Land ist auch ein Vorreiter in puncto Nachhaltigkeit: die Einfuhr und Nutzung von Einwegplastik wurden verboten. Außerdem erzeugt man über 97,7 Prozent der Stromerzeugung aus Wasserkraft, da das hügelige Land mehrere Quellflüsse des Nils speist.
Die Folgen des Klimawandels in Ruanda
Nichtsdestotrotz steht der Akagera-Nationalpark wieder einmal stellvertretend für ganz Ruanda heute am Scheideweg. Die Frage ist, ob der erfolgreiche Wiederaufstieg nun durch den Klimawandel, das rasante Bevölkerungswachstum und regionale Konflikte wieder zunichte gemacht wird. Jene Probleme sind kaum getrennt voneinander zu lösen, da sie sowohl Push- als auch Pull-Faktoren erzeugen. Zum Beispiel sorgt der Klimawandel für steigende Bodenerosionen, die fruchtbares Ackerland allmählich abtragen und damit die Ernährungsgrundlage vieler Menschen vernichten.
Dies führt wiederum zu sozialen Spannungen und Interessenskonflikten, da Landwirte zunehmend die Flächen des Akagera-Parks beanspruchen. Heute sieht man, dass die Mais-, Bananen- und Sojafelder bis an die Zäune des Nationalparks heranreichen. Auch das Bevölkerungswachstum sorgt für reichlich Konfliktstoff. Ruanda ist zwar bemüht, zusammen mit den Nachbarn, nachhaltige Lösungen zu erarbeiten. Dennoch hätten Unruhen in benachbarten Staaten, wie der Demokratischen Republik Kongo oder Burundi, welche weiterhin zu den ärmsten Ländern weltweit zählen, das Potential, erneute Flüchtlingswellen auszulösen.
Am Beispiel des Akagera-Nationalparks zeigt sich die Schönheit und die Widerstandsfähigkeit Ruandas. Als schon alles verloren schien, sorgten kluge Köpfe und Visionäre für eine Wiederbelebung der Naturschätze des Parks. Heute steht Ruanda erneut vor schier unlösbaren Aufgaben. Wird Ruanda diesen aber auch mit jener Leidenschaft, Hoffnung und Vertrauen begegnen, wie nach dem Wiederaufbau nach dem Völkermord vor 28 Jahren, so gibt es gute Chancen, dass Mensch und Tier gleichermaßen im Akagera-Nationalpark einer positiven Zukunft entgegensehen.
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