Wer wie ich viel auf Facebook unterwegs ist und dort viele Freunde hat, stößt früher oder später auf Leute, die ziemlich wirres Gedankengut in Form von Verschwörungstheorien verbreiten. Ein selten schweres Ereignis wie die Corona-Pandemie lässt sich sehr gut dazu nutzen, nicht überprüfbare Ideologien zu verbreiten. Warum lassen sich manche Menschen so leicht davon verführen?
Aber was genau hat es mit Verschwörungstheorien überhaupt auf sich?:
Als Verschwörungstheorie wird gemeinhin die gezielte Verheimlichung eines Ereignisses oder dessen wahrer Hintergründe durch mächtige Institutionen bezeichnet. Meist mit unlauteren Absichten.
In der Corona-Krisenzeit beschäftige ich mich mehr denn je mit dem Thema, warum Menschen solchen Theorien oder Ideologien anheimfallen. Es begann damit, dass gute Bekannte auf Facebook Youtube-Videos teilten. In diesen viel angeklickten Clips erklären diverse Ärzte, warum es das neuartige Corona-Virus wahlweise gar nicht gibt, oder es so harmlos ist wie eine normale Grippe. Abgesehen davon, dass die Argumentation dieser vermeintlichen „Experten“ ziemlich schwammig und ohne klare Belege daherkommt, gibt es glücklicherweise noch die eine oder andere Faktencheck-Seite, die sie genauestens auseinandernimmt, wie etwa „der Volksverpetzer“ oder „Mimikama“.
Sie liefern gut durchdachte Analysen, die ich dankenswerterweise als Antworten auf derartige Facebook-Posts verbreite. Doch leider gibt natürlich niemand gerne zu, sich von solchen Youtube-Videos verführt haben zu lassen, und dankt für die Aufklärung. Meist wird der Faktencheck einfach ignoriert und irgendetwas anderes angesprochen, um die eigene Haltung zu verteidigen. Wer erst einmal der Meinung ist, da sei „was im Busch“ und man könne den so genannten „Mainstreammedien“ nicht trauen, begeht den folgenschweren confirmation bias: den Bestätigungsfehler. Das bedeutet, dass wir Informationen danach filtern, ob sie unsere Meinung bestätigen und unpassende Ergebnisse oder Studien gar nicht ernst nehmen.
Hypothese oder schon Ideologie?
Während wir uns bei Aussagen wie „Covid-19 ist nicht schlimmer als eine gewöhnliche Grippe“ noch im Bereich der Hypothesen bewegen, die anhand von Zahlen und Studien überprüfbar und widerlegbar sind, rutscht es auf Facebook auch schnell ins Ideologische ab. Da heißt es dann, dieses Virus oder der mediale Rummel sowie die strengen Regelungen seien gesteuert von der Pharmaindustrie, die nur daran interessiert ist, Geld mit Impfstoffen und Medikamenten zu machen. Im Gegensatz zur Hypothese erkennen wir hier schon klare Feindbilder: Der einfache Bürger gegen die Mächtigen aus Politik und Industrie.
Natürlich will die Pharmaindustrie Geld verdienen und natürlich haben manche Dreck am Stecken, das ist nicht verwunderlich. Ihr jedoch die Macht zuzuschreiben, den Menschen weltweit eine Pandemie vorzugaukeln, dafür braucht es schon sehr viel Fantasie. Die Taktik von Verschwörungsideologen: Sie schieben die Beweislast auf Zweifler, ganz nach dem Motto: „Beweist uns erst mal das Gegenteil!“
Doch es geht noch absurder: Manche Verschwörungsideologen halten sich gar nicht erst mit der Pharmaindustrie auf, sondern sehen die Corona-Krise nur als geplantes Ablenkungsmanöver der Regierung, um unsere Demokratie mitsamt ihren Grundrechten dauerhaft abzuschaffen. Es gibt sogar Menschen, die Deutschland nicht einmal als souveränen Staat ansehen – die so genannten Reichsbürger. Der bekannteste von ihnen ist der Sänger Xavier Naidoo. Dieser ist augenscheinlich gegen keine noch so wirre Verschwörungsideologie gefeit. So verbreitete er jüngst durch Videos auch in Deutschland die QAnon-These, die 2017 in den USA entstand. Geht es noch wirrer? Ich bezweifle es.
QAnon – die beispielhafte Ausbreitung einer Verschwörung
„Q“, ein der Trump-Regierung nahe stehender US-Amerikaner, beschuldigte zahlreiche mächtige Persönlichkeiten, systematisch Kinder zu entführen und sie auszubeuten. Neben sexueller Ausbeutung gehe es auch darum, Adrenochrom aus dem Blut der Kinder zu gewinnen. Ein Stoffwechselprodukt des Adrenalins, das Menschen verjüngen könne.
Für Unterstützer dieser Theorie ist die Corona-Pandemie nichts als eine willkommene Ablenkung, während die entführten Kinder klammheimlich aus den Händen der Bösen gerettet werden sollen.
Demnach soll ausgerechnet Donald Trump der mutige Held sein, der im Schatten der Corona-Krise in Form einer „Säuberung“ die Kinder aus den Händen ihrer Peiniger befreien will.
Als Anhaltspunkte für die These gibt es nichts als ein paar kryptische Aussagen von dem bisher nicht identifizierten, anonymen US-Amerikaner, QAnon. Das reicht vielen Menschen aus, um in schnell wachsenden Facebookgruppen, nun auch in Deutschland, wild zu spekulieren.
Als Hinweis darauf, dass solche Machenschaften auch hierzulande passieren, nennen Verschwörungsideologen die Zahl von etwa 100.000 jährlich in Deutschland als vermisst gemeldeten Kindern. Was sie nicht erwähnen: Die meisten davon sind Ausreißer und tauchen nach kurzer Zeit wieder auf.
Warum werden Menschen zu Verschwörungsideologen?
Es gibt die Einen, die Verschwörungsideologien leicht durchschauen und sich von deren oft plumpen und logisch nicht haltbaren „Beweisführungen“ nicht hinters Licht führen lassen. Andere sind zunächst interessiert an derartigen Theorien – eine Phase, in der man sie noch mit Fakten beeinflussen kann. Stecken sie jedoch erstmal tief drin im Verschwörungssumpf, hilft nicht mehr viel. Denn dann gelten alle Zweifler als von der Regierung gesteuerte „Schlafschafe“. Oft handelt es sich bei den „Erwachten“ um Menschen, die ohnehin ein starkes Misstrauen gegen Mächtige und Reiche hegen. Wenn jemand erst mal an eine Verschwörungstheorie glaubt, ist er umso offener für weitere.
Ich denke, es sind vor allem psychische Faktoren, die solch eine Neigung begünstigen. Menschen, die sich gesellschaftlich abgehängt oder minderwertig fühlen, psychisch labil sind oder Anerkennung vermissen, können anfälliger sein für solche Theorien. Diese gewinnen sie im erlauchten Kreis der „Erleuchteten“. Hier werden sie in diversen Facebookgruppen herzlich willkommen geheißen, die ihnen ein Gefühl der Zugehörigkeit vermitteln, so lange sie deren Grundannahmen nicht hinterfragen. Sie finden einen aufklärerischen Sinn im wilden Spekulieren und Interpretieren. Deren Mitglieder sagen von sich selbst, die Wahrheit erkannt und das Marionettentheater durchschaut zu haben.
Mit geöffneten Augen würden sie den Verstand benutzen, kritisch hinterfragen und selbst recherchieren. Ihr Interesse erwecken dabei jedoch nur Ergebnisse, die ins eigene Weltbild und ihre Theorien passen. Recherche betreiben sie nicht bei den so genannten Mainstreammedien, gern auch als System- oder gar Lügenpresse bezeichnet, sondern auf dubiosen Internetseiten und eben auf der „Youtube-Universität“. Darüber hinaus spielt wohl auch das Bedürfnis nach einfachen Antworten in einer immer komplexer werdenden Welt eine Rolle. In einem klaren Freund-Feind-Schema zu erkennen, wer auf welcher Seite steht, mindert die gefühlten Bedrohungen und dient dem Gefühl von Klarheit.
Der Schaden dieser Theorien
Mich erinnert das ein bisschen an Fantasyfilme von fernen Welten. Es gibt, vereinfacht gesagt, die wenigen Reichen und Mächtigen, die Unterdrückten, denen etwas vorgegaukelt wird und ein paar Erleuchtete, die das Spiel durchschaut haben und dagegen vorgehen. Das kann auch zu Gewalt gegenüber Sachen und Menschen verleiten.
Wenn „Reichsbürger“ gewalttätig werden, Politiker wie Trump nicht an den menschengemachten Klimawandel glauben, Mobilfunkmasten abgefackelt werden, weil sie angeblich Corona befördern und Eltern ihre Kinder nicht impfen lassen, weil sie eine Falle der Pharmaindustrie wittern, sind Verschwörungstheorien nicht nur anti-aufklärerisch, sondern auch schädlich.
Was tun?
Zunächst gilt es zu erkennen, ob Menschen noch für sachliche Argumente und Belege zugänglich sind. Ist dies nicht der Fall, sollte man besser nicht allzu viel Zeit in Kommentarspalten verschwenden, und da spreche ich aus Erfahrung. Denn egal wie gut Informationen aufbereitet und belegt werden – passen sie nicht in ein streng geschlossenes Weltbild, werden sie ignoriert.
Manche meiner Facebook-Freunde machen es auf die harte Art und entabonnieren oder entfreunden gar Leute, die solche Ideologien, ich nenne sie auch gerne: „Schwurbel“, verbreiten. Einerseits verständlich, andererseits ist das auch eine Art Kapitulation gegenüber der Spaltung unserer Gesellschaft.
Ein ganz anderer Ansatzpunkt liegt bei den schon erwähnten psychischen und gesellschaftlichen Faktoren; also bei den Ursachen. Je gesünder und je besser sozial eingebunden Menschen in Gemeinschaften leben, desto weniger anfällig werden sie für Verschwörungstheorien.
Stattdessen sollten wir mithilfe von Wissenschaft und Logik jegliche Institution kritisch hinterfragen, kontrovers diskutieren und offen sein. Auch für Argumente, die nicht zu unserer jetzigen Position passen.
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