Manchmal wäre ich gern ein Vogel. Ein Vogel, der fliegen kann. Wegfliegen. Weg von all der Verantwortung. Von dem Gefühl, einsam zu sein. Oder ungeliebt. Weg von Hunger, Krieg und Katastrophen. Weg von dieser kalten, schrecklichen, himmelschreiend ungerechten Welt. Aber dann sind da diese kleinen Momente. Die Momente, die uns zeigen, dass es sich doch noch lohnt, hier zu lachen, zu leben, zu lieben. Ein Plädoyer für mehr Dankbarkeit und den Mut, das Leben trotz aller Widrigkeiten zu lieben.
Warum nicht einfach resignieren?

Was sind diese kleinen Momente, die mir zeigen, dass das Leben doch wert ist, gelebt und vor allem geliebt zu werden? Warum nicht einfach schlecht gelaunt aufwachen, resignieren, den Miesepeter spielen und den Tag irgendwie hinter sich bringen – denn das hat doch eh alles keinen Sinn mehr?
Die Antwort ist eigentlich gar nicht so kompliziert: Weil das Leben schön sein kann. Weil es kleine Momente gibt, die zeigen, was ein Perspektivwechsel ausmacht. Und weil man in jeder noch so ausweglos erscheinenden Situation immer einen Lichtblick findet.
Von Lichtblicken und Mut-mach-Momenten
Da wäre die Palliativstation. Was? Jetzt dachtest du vielleicht, ich erzähle von Sonnenuntergangs- oder Berggipfelmomenten – aber nein, die Palliativstation. Die Station, auf der gestorben wird. Und dennoch ist die „Palli“, wie sie im Gesundheitssystem liebevoll genannt wird, eben kein kalter, schrecklicher, grausamer Ort – im Gegenteil: Hier wird erstaunlich oft gelacht, geliebt, gelebt.
Als ich eines Morgens während meines Pflegepraktikums für mein Medizinstudium in eines der Patientenzimmer laufe, sehe ich, wie die Patientin ihr breitestes Grinsen aufsetzt, mir eine Kusshand zuwirft und „Du bist ein Schatz!“ ruft. Genau die Patientin, die einige Tage später an Krebs sterben wird. Die Patientin, die ihr Leben lang unter einer Alkoholsucht litt, da sie versuchte, ihre Depressionen zu ertränken. Warum schafft gerade SIE es, mir ein nettes Wort und ein freundliches Lächeln zu schenken?
In einem anderen Zimmer liegt ein junger Patient mit ALS, einer unheilbaren Muskelkrankheit. Und das Einzige, was ihm gerade wichtig ist, ist, mich mit seinen Witzen zum Lachen zu bringen! Die übrigens ungefähr so gehen: „Schwester, könnten Sie heute Abend das Licht anlassen? – Warum das denn? – Na, damit ich dem Licht entgegen gehen kann!“ Ja, auch hier wird gelacht – über Sätze, die man aus dem Mund eines sterbenskranken Mannes gar nicht für möglich gehalten hätte.
Das Leben kann so unfair sein
Wenn ich eins gelernt habe, dann die Bewunderung für Menschen in scheinbar ausweglosen Situationen. Die wissen, dass sie sterben werden. Dass sie ihre Kinder allein zurücklassen müssen. Dass sie gerade aus dem Krieg in der Ukraine geflüchtet sind, um dann in Deutschland, auf unserer Station, an Krebs im Endstadium sterben zu müssen. Das Leben ist manchmal so unfair! Und doch haben mir unglaublich viele Patienten gezeigt, dass man es irgendwie immer schaffen kann, das Beste daraus zu machen und sein Lächeln nicht zu verlieren.
Lachen, wo es nichts zu lachen gibt
Ich kann euch bis heute nicht genau sagen, was für mich den Charme dieser Station ausmachte oder wieso ich jeden Tag gerne um fünf Uhr aufstand, um dort zu arbeiten – aber es gab da etwas, das die Menschen dort von den Menschen in der „Außenwelt“ unterschied. Sie schätzten die kleinen Dinge. Sie lachten, obwohl es nichts zu lachen gab. Sie liebten bedingungslos. Und sie waren einfach nur sehr, sehr dankbar.
Ein Perspektivwechsel
Für mich stellte die Arbeit auf dieser Station einen Wendepunkt dar. Ein Wendepunkt in meiner Einstellung. Ein Startschuss für ein Leben, in dem ich morgens oft aufwache und dankbar sein darf. Denn ich glaube, das Wichtigste, was uns heute in dieser dunklen Welt hilft, dennoch glücklich zu sein, ist Dankbarkeit für die großen, aber vor allem auch die kleinen Dinge. Denn „Nicht die Glücklichen sind dankbar. Es sind die Dankbaren, die glücklich sind.“ (Francis Bacon)
Und da braucht es einen Perspektivwechsel. Warum nicht morgens aufstehen in der Hoffnung, dass der Tag schöne Momente bringen könnte? Warum nicht einfach einmal offen sein – offen für die Mitmenschen, offen für neue Erfahrungen, offen für die Schönheiten dieser Welt? Es können die Gänseblümchen sein, die wie über Nacht im Vorgarten erblüht sind. Der nette ältere Herr, der Dir in der Bahn freundlich zunickt. Das Vogelgezwitscher im Park, das den Frühling ankündigt.
Hoffnung in dieser dunklen Welt
Letztens habe ich ein Zitat entdeckt, das mir immer wieder Hoffnung gibt, inmitten all dieses Leids und dieser scheinbar trostlosen Welt, in der uns schreckliche Nachrichten nur so überhäufen, die Freude nicht zu verlieren.
Darf ich denn blühen, fragte die Blume, in einer Welt voller Leid?
Darf ich denn summen, fragte die Biene, in einer Welt voller Neid?
Darf ich denn strahlen, fragte die Sonne, in einer Welt voller Dunkelheit?
Darf ich denn lachen, fragte das Kind, in einer Welt voller Streit?
Darf ich denn glücklich sein, fragte der Mensch, in dieser Zeit?
Du musst! Antwortete das Leben.
(Unbekannt)
Und so hoffe ich und wünsche mir, dass auch DU nun vielleicht ein klein wenig inspiriert bist und einen Perspektivwechsel wagst. Denn das Leben ist bunter, als Du denkst und Dankbarkeit ist vielleicht unser Streichholz für einen Lichtblick in all dieser Dunkelheit.
Liebe Johanna, vielen Dank für diesen schönen inspirierenden Artikel! Ich möchte versuchen, häufiger deine positiven Gedanken in meinen Alltag einzubauen. 🙂