Da sind sie wieder. Die Zahlen, die meinen Körper definieren schwirren durch meinen Kopf und ehe ich sie aus meinen Gedanken drängen kann, stehe ich schon wieder auf der Waage und zähle die Kalorien meines Mittagessens. So sieht ein Rückfall aus. Die Essstörung klopft wieder an die Tür.

Ich erinnere mich nicht an das letzte Mal, als ich mir das selbst angetan habe. Ich dachte, ich hätte es im Griff. Es ist unfassbar, wie sehr man sich doch irren kann, selbst wenn es um die eigene Person geht. Doch so sieht ein Rückfall aus.
Am Anfang stand der Drang nach Anerkennung. Ein wenig Aufmerksamkeit, die mir in der Isolation geraubt worden ist. „Du siehst wunderbar aus!“, wollte ich sie sagen hören. „Wenigstens eine von uns hat die Kontrolle behalten.“, sollte es in meinen Ohren schallen. Nur für einen kurzen Augenblick wollte ich mich genug und von den Menschen geliebt fühlen. Wo habe ich das Gefühl in den letzten zwei Jahren verloren? Wann kamen die unerbittlichen Denkmuster zurück, um sich wieder in meinem Kopf einzunisten?
Meine Odyssee ins vermeintliche Glück
Sie sagen nicht umsonst, dass unsere Kindheit uns das ganzes Leben lang prägen wird. Ich war nur ein Kind, als ich damit begonnen habe, Abführmittel zu missbrauchen und meinen Körper tagelang hungern zu lassen, um die Essattacken zu kompensieren. „Dünn sein“ war für mich ein Synonym für „Schönheit“, was ich als die Voraussetzung für Liebe und Anerkennung verstand. Viel hatte ich von diesen Werten bis zu dem Zeitpunkt nicht erfahren. Lange litt ich unter Ausgrenzung, doch plötzlich tat sich ein Licht am Ende des Tunnels auf und der Weg der „Schönheit“ sollte meine Odyssee ins vermeintliche Glück darstellen. Natürlich habe ich dieses Ziel nie erreicht.
Die Isolation, die wir gerade in der Quarantäne erfahren, bringt mich zurück auf diesen Weg. Der Bereich in meinem Gehirn, der für das rationale Denken zuständig ist, schaltet sich in den Flugmodus und übergibt meinen sozialen Ängsten das Kommando. Die Gefühle sind zurück, die Kontrolle ist verloren. Für einen Atemzug lasse ich es über mich ergehen bis ich schließlich aus dem Delirium erwache. Eine Erinnerung genügt, um mir selbst zu zeigen, dass es sich nicht lohnt, mich erneut auf diese Irrfahrt zu begeben.
Mein Körper ist kein Projekt
Selbst wenn ich glaube, die Tür hinter mir fest genug verriegelt zu haben, weiß ich, dass sie sich hin und wieder öffnen wird. Ein Rückfall ist aber nur ein Rückfall, wenn ich ihn als genau das akzeptiere und mich nicht darauf einlasse. Mein Körper ist kein Projekt, an dem ich arbeiten muss, sondern der Motor, der mich dazu bringt, großartige Dinge zu vollbringen. Also drehe ich der Waage den Rücken zu und lasse die Kalorien nur weitere beliebige Zahlen sein, denn nichts davon wird mir dabei helfen, mich endlich genug und geliebt zu fühlen.
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