Auch meine nächsten Tage in Sucre sind wie bisher immer geprägt von vielen Veränderungen. Nach vier intensiven Wochen haben wir unsere anderen Mitfreiwilligen verabschiedet. Zwei sind mit dem Bus nach La Paz aufgebrochen und die anderen sechs werden das Jahr von nun an in Santa Cruz verbringen. Vier Wochen, in denen wir zusammen gelacht und geweint haben, manchmal vor Freude, manchmal aus Verzweiflung. Um ehrlich zu sein, war ich froh, dass wir nun wirklich nur in unserer WG sind, aber trotzdem ist mir der Abschied schwerer gefallen als gedacht.

Arbeit, Fiesta und Krankheit – es bleibt abwechslungsreich
Ich habe angefangen an meiner Schule zu arbeiten. Die „Unidad Educativa Alegría“ liegt mit dem Micro rund zwanzig Minuten außerhalb von Sucre. Schon bald tauchen am Horizont nur noch kleine Bergdörfer auf und die letzten Meter bis zu meiner Schule muss ich zu Fuß bewältigen, da die Straße von Rissen durchzogen und mit riesigen Steinen gepflastert ist. Ich soll hier immer von 14 bis 18 Uhr in der Oberstufe arbeiten und den Schülern Englisch „beibringen“. Bereits am ersten Tag werde ich ins kalte Wasser geschmissen. Ohne eine andere Lehrkraft im Raum soll ich eine neunte Klasse beschäftigen. Ich bin hoffnungslos überfordert. In jeglicher Hinsicht. Ich weiß nicht, wie gut die Schüler Englisch können, aber diese wiederum merken sehr schnell, dass ich mehr schlecht als recht Spanisch spreche und tanzen mir so auf der Nase herum, bis ich die Schüler irgendwann komplett entnervt nach Hause schicke. Na toll, so hatte ich mir das nicht gedacht. Also trete auch in den Heimweg an, der sich als komplettes Desaster entpuppt. Ich bin 1 ½ Stunden unterwegs und sitze schließlich in Tränen aufgelöst im vierten Bus, weil ich mich verfahren habe. Auch das freundliche „Qué Pasa?“ vom Busfahrer kann nicht mehr viel anrichten. Irgendwann komme ich doch noch in meinem Hostel an und könnte mich für den Rest des Jahres in meinem Bett verkriechen und einfach nicht mehr herauskommen. Aber irgendetwas muss passieren. Also rede ich ich mit meinem Mentor Don Arturo und dem Schulleiter, sodass es mir möglich ist, jeden Morgen von 8 bis halb eins in der ersten bis sechsten Klasse zu verbringen. Ich werde gefragt, ob ich mich nicht sicher genug fühle, eine eigene Klasse zu übernehmen. Vielleicht ist es das, ja. Vielleicht ist das von einer 17-jährigen Freiwilligen am ersten Tag aber auch einfach nicht zu erwarten. Auch nicht in Bolivien.
Der holprige Start in der Schule geht weiter
Seitdem bin ich also immer vormittags in der Schule. Eine Umstellung ist es aber immer noch. Besonders die erste und zweite Klasse sind wirklich anstrengend und oft besteht der Unterricht nur aus Herumschreien und Einschüchterungen von Seiten der Lehrer. Auch der Gebrauch von Rohrstöcken ist für mich nicht nachvollziehbar und auch nicht akzeptabel. Zum Glück sind manche Schüler trotzdem offen und interessiert und stellen mir Fragen. Die meisten Kinder kommen aus ärmlichen und einfachen Verhältnissen, welches sich auch in ihrem Auftreten und ihrer Kleidung widerspiegelt. Auch das ist eine große Herausforderung für mich. Viele Kinder strahlen dennoch so viel Lebensfreude aus, dass sie mich ihre Herkunft schnell vergessen lassen. Im Moment begleite ich die Lehrer nur und nehme selten aktiv am Unterricht teil. Ich hoffe, das wird sich noch ändern, denn ein Jahr nur zuschauen ist natürlich auch langweilig. Gelegentlich darf ich aber auch schon Englisch unterrichten, deswegen bin ich frohen Mutes für die nächsten Wochen.
Was unser WG Leben betrifft, hat sich schon etwas Alltag eingespielt. Natürlich sind Meinungsverschiedenheiten gelegentlich an der Tagesordnung, aber bis jetzt klappt alles noch recht harmonisch. Konfliktthema Nummer eins sind dennoch die beiden WG Katzen Minka und Mufflon: Diese wurden uns von den Freiwilligen des letzten Jahres überlassen und keiner fühlt sich so recht verantwortlich, die Tiere zu versorgen und zu pflegen. Hier ist das letzte Wort noch lange nicht gesprochen. Alles in allem erscheint mir die Situation immer noch neu und oft fühle ich mich mit der WG-Größe überfordert, dennoch gibt es immer wieder schöne Momente.

Día de la Virgen de Guadaloupe – eine Stadt steht Kopf
Am Wochenende vor meinem Geburtstag durften wir dann auch die Feierfreudigkeit der Bolivianer kennenlernen. Die Stadt Sucre feiert ihren „Día de la Virgen de Guadaloupe“. Guadaloupe ist die Stadtpatronin und ihr zu Ehren fanden am Freitag und Samstag riesige Paraden statt. Tanz- und Musikgruppen aller Art präsentieren sich von ihrer besten Seite und werden von den Zuschauern bejubelt. Beeindruckend sind vor allem die Kostüme. Aber auch die Absätze mancher Tänzerinnen lassen mich hochfahren. Wenn ich in diesen auch nur stehen könnte, wäre das bereits ein Erfolg. Nichts wird hier dem Zufall überlassen. Auch wenn Bolivianer normalerweise die berühmte „manana, manana – Mentalität“ haben, werden die Tänze für die Parade monatelang vorher geübt, bis jeder Schritt sitzt. Bekannte Tänze sind der Tinkuy, Caporales oder die Morenada. Und mitten unter all den Profitänzern bewegt sich auch ein kleiner Trupp Freiwilliger durch die Menge. Wir wurden im Hostel gefragt, ob wir mit der Gruppe „Tantó Morenas“ mittanzen wollen. Diese Gelegenheit möchte ich natürlich nutzen. So tanze ich, verkleidet als „Diablo“ (Teufel) acht Stunden lang durch Sucre. Die ganze Anstrengung und die schmerzenden Füße lohnen sich, als wir im großen Finale um kurz nach acht auf den „Plaza 25 de Mayo“ einziehen. Auch wenn unsere Choreographie nicht die anspruchsvollste war, wollen viele mit uns ein Foto machen und feuern uns an: „Baile, Baile! Tanzt! Tanzt!“ Wir müssen ein zu komisches Bild abgeben. Rund 20 „Gringos“, die sich an bolivianischen Tänzen und Traditionen probieren. So etwas sieht man hier nicht alle Tage.
Zwei Tage nach der Parade feiere ich hier zudem meinen 18. Geburtstag. Kleine Geschenke und Nettigkeiten aus der Heimat packe ich voller Vorfreude nach dem Mittagessen aus. Trotzdem fühlt es sich irgendwie komisch an. Eigentlich ist es hier ein Tag wie jeder andere. Und auch wenn ich in Deutschland jetzt offiziell „alles“ darf, hier ändert sich für mich nichts. Und wirklich älter fühle ich mich auch nicht. Positiv überrascht mich, dass ich kaum Heimweh verspüre und es gar nicht schlimm finde, nicht im großen Rahmen mit Familien und Freunden zu feiern. Dieses positive Gefühl möchte ich mir für die nächsten Wochen bewahren. Ob ich mich dann schon besser in meiner Schule zurecht finde und was hier ansonsten noch alles passiert, lest ihr in meinem nächsten Bericht.
Hasta luego!
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