El Puente. Die Brücke. Der Eingang zum Cuyabeno Faunareservat trägt einen unscheinbaren und zugleich doch so passenden Namen. Denn auf dem Weg von der Ölstadt Lago Agrio hin zum Primärwald zeigt sich die Landschaft geprägt durch einen erstaunlichen Wandel. Entlang der Pipelines wird die Umgebung immer grüner und die Luftfeuchtigkeit steigt. Endgültig in die grüne Hölle eintauchen kann der Besucher jedoch erst nachdem der Motor des Kanus am Eingang des Nationalparks aufgeheult ist und die Zivilisation hinter undurchdringlichen natürlichen Wänden verschwunden ist.
Der Fahrtwind macht die tropischen Temperaturen am frühen Nachmittag erst erträglich. Der Blick wandert vom aufspritzenden Wasser dem Himmel entgegen. Stets auf der Suche nach Tieren, suchen die Augen die Wipfel nach Bewegungen ab. Nichts. Warum werden wir also langsamer, frage ich mich und sehe den Guide, der seinem Fahrer aufgeregt zu verstehen gibt, den Motor auszumachen und die Geschwindigkeit zu drosseln.
Er deutet auf Unterholz am Ufer. Dort solle eine Anaconda liegen. Es bedarf mehrerer Beschreibungen, bis ich die immerhin zwei Meter große Schlange sehe, die sich in der Sonne wärmt. Atemberaubend. Noch nicht einmal eine halbe Stunde im Regenwald und trotzdem habe ich bereits eine seltene Tierart gesehen. Viel erstaunlicher ist für mich jedoch, wie der Guide trotz des hohen Tempos dieses Exemplar sehen konnte, wo ich im Stillstand noch kaum in der Lage war es zu entdecken. Diese Menschen leben und lieben den Regenwald.
Rückkehr in die Ursprünglichkeit
Diese Liebe und Verehrung zeigt sich insbesondere im Respekt gegenüber der Natur und ihren Geschöpfen. Ein Hotel oder nur ein Hostel sucht der luxusverwöhnte Europäer somit logischerweise auch vergeblich. Das Boot hält an einem einfachen Holzsteg. Von dort führt eine steile Treppe hinauf zur Guayacamo Lodge. Bevor ich das künftige Schlafgemach sehen konnte, folgte der Schockmoment: Beim Aufstehen verliere ich das Gleichgewicht. Ich kippe nach hinten in Richtung Fluss. Mein Herz rast. Ich pralle auf. Holz. Kein Wasser. Glück.
Mit erhöhtem Puls erklimme ich die Stufen und erblicke mehrere kleine Hütten, deren Dächer mit Stroh bedeckt sind. Im Innern kein Licht – nur zwischen 18 und 22 Uhr. Ein einfacher Holztisch und ein Bett. Im Bad ein Waschbecken und eine Dusche. Kein Handyempfang. Keine Steckdose. Kein Schrank. Keine Decke sondern nur das Dach. Ich setze mich auf die Bettkante. Das Zirpen von etlichen Zikaden, das Gezwitscher der geflügelten Bewohner des Urwaldes sowie vereinzeltes Affengeschrei sind zu hören. In diesem Moment fühlt man sich der gewohnten Welt so fern und der Natur und sich selbst so unfassbar nahe.
Ich bin der Natur und ihren Launen beinahe hilflos aufgesetzt. Schade ist das nicht, denn sie gibt mir die Chance, über die Grundsätze des Menschseins nachzudenken und demütig zu werden. Ich erkenne, wie verschwenderisch unser aller Lebensstil ist und wie hoch unsere Ansprüche geworden sind. Hier kann ich sein, wie ich bin. Der Dschungel gibt mir die Chance, mich neu kennenzulernen und auszurichten.
Hilfe! Ich versinke
Dieser Prozess wird neben den natürlichen Bedingungen zusätzlich durch die beeindruckende Tierwelt verstärkt. Auf abgestorbenen Ästen sitzen pechschwarze Schildkröten, auf deren Köpfen weiße Schmetterlinge Platz genommen haben. In den Baumkronen schwingen sich Totenkopfäffchen durch die Luft und in der Nacht leuchten die roten Augen weißer und schwarzer Kaimane gespenstisch wenige Zentimeter über den dunklen Gewässern. In hohlen Baumstämmen suchen blaue und gelbe Papagaien sowie winzige Zwergseidenäffchen Schutz. Flussdelfine und Seekühe tauchen aus den undurchsichtigen Flüssen auf, um Luft zu schnappen und verzücken mein Herz.
Das größte Abenteuer war jedoch eine Naturwanderung – in mehrfacher Hinsicht. In den frühen Abendstunden machte ich mich mit einer kleinen Gruppe auf in den Regenwald. Schon nach wenigen Schritten machte mir die Luftfeuchtigkeit zu schaffen. Ich schwitze. Wenig später ist meien Kleidung durchnässt. Es geht weiter. Tropfend. Ehe mich unser Guide ein weiteres Mal überrascht. Unter Blättern, auf denen die Wassertropfen abperlen, sitzt ein kleiner roter Amazonasfrosch. Er ist knapp vier Zentimeter groß und eine tödliche Schönheit, denn in seinem Rücken befindet sich Pfeilgift, das einem Menschen das Leben kosten kann. Der kleine Amphibienkörper bewegt sich langsam auf und ab. Dieses Geschöpf ist unglaublich. Gefährlich, beinahe unsichtbar und zugleich wunderschön und bezaubernd.
Eine halbe Stunde später stecke ich fest. Bis zum Oberschenkel stehe ich im Schlamm, nachdem ich auf einem rutschigen Baumstamm gefallen war. Ich lache. Ohne meine Begleiter wäre ich wohl nicht so leicht aus dieser Situation entkommen. Auch, wenn ich am Abend wieder heil im Camp angekommen bin, hat mich der Regenwald wohl für immer gefangen. Er hat mir meinen Verstand geraubt und meinen Geist vernebelt, um mich in eine andere Welt – eine schönere Welt – zu entführen.
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