Endlich mal nicht um 6 Uhr aufstehen – das ist eine echte Erlösung. Obwohl auch 7.30 Uhr noch eindeutig zu früh ist. Ein Frühstück mit Pfannkuchen, Obstsalat und Joghurt soll mich auf den wohl anstrengensten Tag meines Lebens vorbereiten. Eine halbe Stunde später geht es los. Ein ecuadorianischer Nationalguide holt mich und meine drei Begleiter in der Hosteria ab – die Moutainbikes sind bereits auf dem Auto. Auf rund 3.200 Meter ein kurzer Stopp. Besuch im lokalen Museum am Fuße des Cotopaxi. Unser Führer erklärt uns, dass sich die Natur in den letzten 50 Jahren stark verändert hat. Die globale Erwärmung ließ den Gletscher schmelzen, sodass es mehr Wasser im Nationalpark gibt. Doch weil es zudem weniger Regen gibt, trocknet die Umgebung zunehmend aus. Deswegen gibt es heute kaum noch Tiere und nur sehr widerstandsfähige und rustikale Pflanzen am zweithöchsten aktiven Vulkan Ecuadors.
Nach einem Coca-Tee geht es mit dem Jeep zur Parkstation auf 4.500 Metern. Schon auf dem Weg nach oben durchqueren wir erste Wolken. Es nieselt. Angekommen am Parkplatz weht der Wind so stark, dass die Autotür sofort nach dem Öffnen wieder mit einem lauten Knall zufliegt. Die Orkanböen pfeiffen über das schroffe, steinige Land und wirbeln den Sand auf. Obwohl schon die erste Rampe steil gewesen ist, komme ich erstaunlich gut voran. Noch nie zuvor war ich in einer derartigen Höhe unterwegs gewesen. Doch die anfängliche Euphorie verwandelt sich schnell in Ernüchterung. Zwar sehe ich die letzte Hütte „Jose Rivas“ recht schnell, doch mit jedem Schritt werden meine Beine nun schwerer und schwerer. Ich atme tief ein, doch meine Lunge füllt sich einfach nicht. Die Luft ist zu dünn. Ich schleppe mich weiter bergauf. An jedem größeren Stein mache ich eine Pause. Ich bin enttäuscht von mir. Immerhin geben mir meine Trinkpausen die Möglichkeit, den Blick schweifen zu lassen.
Das Eisen des Vulkans verwandelt das Gestein teilweise in einen rot-bronzenen Farbton. Der Wind trägt die obersten Schichten ab und wirbelt sie auf. In der Luft vermischen sich die Partikel mit der Feuchtigkeit. Dieses Gemisch wird dir mit fast 80 Stundenkilometern vom Wind ins Gesicht geschlagen. Ich fühle mich grauenvoll. Der Nebel verdeckt die „Straße der Vulkane“, die Humboldt bereits im 19. Jahrhundert entdeckte. Rund eine Stunde nach dem Aufstieg erreiche ich als letzter meiner Gruppe die Hütte. Erschöpft und ausgelaugt setze ich mich trotz gefühlter Minusgrade an die Wand der Unterkunft. Ich trinke einen Liter Wasser, esse Schokolade und kehre in mich ein. Noch nie war ich derart mit meinen Kräften am Ende. Zweifel kommen auf. Der Schweiß und die Kälte ergeben eine beinahe unerträgliche Kombination. Sollte ich aufgeben? Nein! Dieser Aufstieg ist eine Herausforderung für mich. Ich wollte mir etwas beweisen. Nicht aufgeben. Frierend rapple ich mich auf. Ich friere.
Noch 200 Höhenmeter bis zur Schneegrenze. Die Gruppe setzt ihren Trip fort. Eigentlich bin ich am Ende, doch aus meinem Inneren kommt neue Kraft. Es ist unerklärlich diese Motivation. Ich weiß nicht, was mich antreibt, doch die steilen Rampen erscheinen auf einmal nicht mehr so anstrengend wie zuvor. Schritt für Schritt, Meter für Meter nähere ich mich dem Gletscher. Während die anderen eine Pause machen, laufe ich mit unserem Guide weiter. Und dann: Der erste Gletscherbach und eine halbe Minute später gigantisches Gletschereis und Schnee. Der Eindruck ist gewaltig. Im Hintergrund zwei Meter hohe Wände aus gefrorenem Wasser. High Five mit dem Guide. Unbeschreibliche Freude. Ich habe es geschafft. Meinen eigenen Schweinehund überwunden und mich bis zum Ziel auf mehr als 5.000 Metern gekämpft. Auch, wenn die Sicht schlecht ist, fühle ich mich großartig. Während des Aufstiegs schien es so, als würde mich der Cotopaxi mit seinem eisigen Winden und seinem schroffen Gelände besiegen. Doch am Ende stehe ich oben. Es ist wohl das größte Abenteuer meines Lebens gewesen. Ich will gar nicht mehr absteigen. Ich will diesen Moment festhalten und für immer speichern.
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