Dünn ist jetzt nicht mehr genug. Jedenfalls nicht für das amerikanische Modelabel Abercrombie&Fitch, das in der Vergangenheit schon oft in die Kritik geraten ist, für seine fragwürdige Propaganda eines krankhaften Magerwahns. Das Trendlabel hat in den USA eine neue „Größe“ – falls man sie noch so bezeichnen kann – eingeführt: Triple Zero. Das entspricht der Konfektionsgröße XXXXS. Die Bundweite einer Jeans dieser Größe beträgt minimalistische 58,5 cm – der normale Hüftumfang eines sechs bis achtjährigen Mädchens mit einer Körpergröße von etwa 1,30m. Doch Triple Zero sucht man nicht etwa in der Kinderabteilung, nein, Triple Zero wurde für erwachsene Frauen erfunden.
Magerideal – ein ernstgemeintes Statement oder bloße Provokation?
Es ist nicht das erste Mal, dass das amerikanische Trendlabel das öffentliche Aufsehen durch provokative Aussagen und Aktionen erregt. So weigerte sich die Modekette vor einiger Zeit, die Größen XL und XXL zu führen. Das erklärte A&F-CEO Mike Jeffries mit der Aussage: „Ganz ehrlich, wir wollen die coolen Kids. Viele Menschen haben in unserer Kleidung einfach nichts zu suchen.“ Mit diesem Statement sorgte Jeffrey bereits im vergangenen Sommer für Kritik. Und diese fällt nicht geringer aus im Hinblick auf die allgemeine fragwürdige Unternehmenspolitik des Labels. Läuft nicht etwas schief, wenn Push-up-Bikinis und String-Tangas in der Kinderabteilung ausliegen, während die Damen Jeans in Kindergrößen angeboten bekommen? Ich frage mich, ob hinter dieser Unternehmenspolitik ein ernstgemeintes Statement steckt, oder will das Unternehmen vielleicht nur für Provokation, im Angesicht des immer drastischer werdenden Magerwahn unserer modernen Gesellschaft, sorgen? Doch diese Möglichkeit erscheint etwas abwegig und wäre nicht zuletzt zu gefährlich für eine reine Provokation. Denn die Message, die das Modelabel durch solche Aussagen vermittelt, ist alles andere als ungefährlich.
Produktion von Triple Zero nach heftiger Kritik eingestellt
Auch das neueste Bekenntnis einer umstrittenen Unternehmensphilosophie löste Wellen von Kritik im Internet und in den Medien aus. Kindergrößen für erwachsene Frauen zu verkaufen sei Werbung für Magersucht. So wurde auf der Social-Media Plattform Twitter gegen das Unternehmen gewettert. In den Medien wurde berichtet, dass Nicole Richie, die bekanntermaßen an Magersucht leidet, bereits ein Modell der Triple Zero besitzt. Sie ist gerade einmal 1,52m groß und schwer untergewichtig. In den USA warnten Ärzte vor den teilweise sogar lebensbedrohlichen Folgen von Magersucht und krankhaftem Untergewicht. Von allen Seiten hagelte es Kritik. Und die kam offenbar bei dem Modelabel an. Die Produktion der Triple Zero wurde wieder eingestellt. Eigentlich eine gute Nachricht. Dennoch bleibt die Frage, ob die Einstellung der Produktion des neusten Magerwahnsinns tatsächlich etwas an dem allgemeinen Magerwahn, der in unserer Gesellschaft herrscht, ändert. „Nichts schmeckt so gut, wie sich dünn anfühlt“ – dieses von Kate Moss geprägte Motto prägt immerhin bereits spätestens seit den 1980er-Jahren unser kollektives Bewusstsein. Nicht zuletzt aus dem Grund, dass es uns bereits von klein auf tagein tagaus in den Medien, im Kindergarten, auf dem Schulhof, im Supermarkt eingehämmert wird. Nur weil man ein Symptom einer Krankheit nicht mehr (offen) auslebt, bedeutet das noch lange nicht, dass die zugrunde liegende Krankheit geheilt ist. Und was war Triple Zero, wenn nicht symptomatisch für eine Gesellschaft, die irgendwie das Maß verloren hat?
Triple Zero wird niemanden „magersüchtig machen“
Es ist richtig, dass die Triple Zero eine gefährliche Botschaft vermittelt. Vor allem an junge Mädchen, für die es häufig noch im absoluten Mittelpunkt steht, „dazuzugehören“, „cool“ zu sein. Und laut Abercrombie&Fitch sind eben nur dünne Menschen „cool“. Frauen, die den Hüftumfang einer Sechsjährigen haben. Frauen die folglich an einer schweren Magersucht leiden müssen. Durch die Botschaft, die das Modeunternehmen vermittelt, wird diese Krankheit zweifelsohne glorifiziert oder verharmlost. Doch eine Triple Zero wird keine Epidemie von Magersucht unter den jungen Mädchen unserer Gesellschaft auslösen. Magersüchtig wird man nicht, weil man in die neueste coole Jeans passen will oder, weil die InStyle-Bilder von abgemagerten Promis als schön verkauft. Die Anorexia Nervosa – der medizinische Terminus für Magersucht – ist eine tiefgreifende psychische Erkrankung, die vielfältige Ursachen hat. Die Glorifizierung eines Schönheitsideals, das dem BMI einer schwer Magersüchtigen entspricht, ist vielmehr darum gefährlich, weil es die Folgen eines solchen Körper verleugnet; krankhaftes Untergewicht, das im schlimmsten Fall sogar zum Tod führen kann, als harmlos, ja, als erstrebenswert darstellt.
Realität gegen Ideal; dick gegen dünn
Das durchschnittliche Gewicht der Bevölkerung in allen westlichen Staaten stieg in den letzten Jahrzehnten stetig an. Jeder lernt bereits im Kindergarten, dass Fett und Kohlenhydrate „schlecht“ sind, dass Übergewicht krank macht (und dass Dicke faul, dumm etc. seien). Nach 18 Uhr sollte man nichts mehr essen, denn anscheinend schaltet der Körper um Punkt 18 Uhr jegliche Stoffwechselprozesse ab. Ich frage mich, ob er sich auch an die Sommer- und Winterzeit anpasst? Während unsere Gesellschaft also immer dicker wird, nimmt das allgemein akzeptierte Schönheitsideal parallel zu diesem Trend stetig ab.
Endlich ein „Nein“!
Die Triple Zero von Abercrombie & Fitch hat der Öffentlichkeit gewissermaßen einen Spiegel vorgehalten. Sie sagt: „Guckt! DAS ist doch das, was ihr zum allgemeinen Ideal erklärt habt! Genau so sieht die Realität aus, also seht gefällig zu, dass es auch Abnehmer für diese Größe gibt!“
Doch anstatt Hals über Kopf ins Fitnessstudio zu rennen und von Nahrung für immer und alle Zeiten abzuschwören, rief die Triple Zero eine äußerst gesunde Reaktion in einer zu einem großen Teil kranken Gesellschaft hervor. Die Öffentlichkeit sprach sich klar gegen den extremen Mager-Fetischismus aus und weigerte sich, diesem neuesten „Trend“ zu folgen. Meiner Meinung hatte die Triple Zero in ihrer kurzen Existenz am Ende doch eine positive Folge: Vielleicht hat sie nicht Augen geöffnet – denn ich bin überzeugt davon, dass viele Augen schon lange offen sind. Nein, sie hat das Fass endlich zum Überlaufen gebracht und wir haben uns endlich getraut, laut und deutlich „NEIN!“ zu sagen.
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