Jedes Jahr gibt es einen riesigen Hype um den Superbowl, auch wenn sich an den übrigen Tagen des Jahres kaum jemand intensiv für American Football interessiert. Über ein viel spannenderes Turnier spricht dagegen kaum jemand: Die Six Nations.

In England ist das Turnier im Moment der Grund, warum sich jedes Wochenende die gesamte Familie vor dem Fernseher versammelt: Hier wird ordentlich mitgefiebert und angefeuert und jedes Spiel gespannt verfolgt. Aber wie funktioniert eigentlich Rugby? Als ahnungslose Deutsche, die noch nie ein Rugbyspiel gesehen hat, war es an der Zeit, das zu ändern. Jeden Samstag spielt eine der Mannschaften des Rugby Club Ringwoods und ich habe mir das Spiel Ringwood gegen Poole angeschaut.
Rugby – eine organisierte Schlacht
Ein ovaler Ball, 15 Spieler pro Mannschaft und ein Spielfeld, ungefähr so groß wie ein Fußballfeld. Auf dem Spielfeld sind mehrere diagonale Linien eingezeichnet, an den zwei Enden des Feldes ragen jeweils zwei Posten in die Luft, mit circa fünf Metern Abstand zueinander. Soweit alles klar. 14 Uhr ist Kick-Off, das Spiel, besser gesagt “die Schlacht”, beginnt. Es dauert keine zwei Sekunden, da wird der erste Spieler angegriffen, fällt und landet im Matsch. Angespannt verfolge ich die ersten paar Minuten des Spiels. Die anderen Zuschauer rufen, klatschen, fiebern mit. Die meisten sind Eltern, Freunde oder ehemalige Spieler. Eine Frau, die neben mir steht, spricht mich an, sie habe mich hier noch nie gesehen. Ich erkläre warum ich hier bin und ihrem Gesichtsausdruck nach zu urteilen findet sie es wohl ganz amüsant, dass ich als Deutsche beschließe, mir ein Spiel anzuschauen. Sie erklärt mir die wichtigsten Regeln des Spiels, unterbrochen von “Go, get the ball!” und “Ruuuuuun!”.
Die Rugby-Regeln
Ganz ehrlich: Für mich sieht es aus wie ein Haufen Männer, die sich gegenseitig angreifen und zu Boden werfen, sich vollmatschen und irgendwie versuchen Punkte zu machen. Einige der Spieler tragen Helme, die die Ohren schützen sollen, wie ich später erfahre. Es geht ganz schön heftig zu: Nur der Spieler, der den Ball hat, darf angegriffen werden. Bei einem Angriff ist fast alles erlaubt: Es darf zum Beispiel am Trikot gezogen werden und die Beine oder die Taille festgehalten werden. Nur der Kopf und Nacken dürfen nicht angegriffen werden.
Ziel ist es, den Ball hinter die gegnerische Grundlinie zu bringen. Das nennt man einen Versuch und bringt der Mannschaft fünf Punkte. Wurde der Ball hinter der Linie abgelegt, können noch einmal durch eine Erhöhung zwei Punkte erzielt werden. Dabei wird versucht, den Ball durch die zwei Posten der gegnerischen Mannschaft zu kicken. Das klingt eigentlich nicht so schwierig: Es wird nach vorne gespielt und der Ball muss hinter die Linie. Der Ball darf allerdings nur nach vorne gekickt werden; geworfen werden darf nur zur Seite oder nach hinten. Wird der Ball während des Spiels durch die zwei Posten gekickt, dann erzielt die Mannschaft durch diesen Drop-Kick drei Punkte. Drei Punkte können außerdem auch bei einem Penalty-Kick erzielt werden: Bei sämtlichen Regelverstößen wie zum Beispiel spielen am Boden, kann die andere Mannschaft den Ball durch die zwei Posten kicken und erzielt drei Punkte.
Inzwischen sind so gut wie alle Trikots der Spieler mit Matsch überzogen und die ersten Punkte hat es auch schon gegeben. Es steht 14:0 für Ringwood. Der Mannschaft sind zwei Versuche gelungen sowie zwei Erhöhungen. Weiterhin wird die Mannschaft kräftig angefeuert. Trotz der ausführlichen Erklärungen kann ich dem Spiel nicht so richtig folgen. Für mich ist es immer noch ein einziges Gedränge um den Ball. Hat jemand den Ball dauert es keine zwei Sekunden, bis er von der anderen Mannschaft zu Boden gerissen wird. Ich denke mir: “Eigentlich ist es da schlauer zu versuchen, nicht den Ball zugespielt zu bekommen.” Aber das ist wohl typisch Mädchen. A propos: Es gibt auch viele Frauenteams, die Rugby spielen. Anders als im Fußball habe ich hier das Gefühl, dass die Frauenmannschaft nicht belächelt wird. Dann ertönt ein Pfiff und die erste Halbzeit ist vorbei. 40 Minuten sind gespielt und es steht 31:0 für Ringwood. Jetzt gibt es eine kleine Pause von circa fünf Minuten.
Irgendwo muss der Haken doch sein
Das Spiel ist ziemlich rasant und äußerst unterhaltsam, da immer etwas passiert und der Ball, anders als beim Fußball, nicht nur minutenlang hin und her gekickt wird. Trotzdem: Wenn man nicht aufpasst, verliert man schnell den Anschluss. Oft wird gepfiffen und selbst die Spieler wissen nicht so recht, warum der Schiedsrichter jene Entscheidung getroffen hat. Später erfahre ich: Rugby ist ein Gentlemensport und die Entscheidung des Schiris wird nicht infrage gestellt.
Mittlerweile habe ich mich ein bisschen in das Spiel eingefunden und erkenne auch die Taktik hinter dem Spiel. Ich feuer die Ringwood Mannschaft an, die sich gerade im Angriff befinden, als einer der Spieler den Ball unabsichtlich zu Boden fallen lässt. Der Schiri pfeift, und die ersten acht Spieler jeder Mannschaft formieren sich auf den Knien hockend einander gegenüber. Was jetzt passiert ist für mich erst überhaupt nicht nachvollziehbar. Die Spieler formen einen Scrum: Drei Spieler bilden die erste Reihe, vier die zweite und dahinter befindet sich ein achter Spieler. Der Ball wird von der Seite in die Mitte der Formation eingeworfen und Ziel ist es, den Ball zu ergattern und durch die zwei Reihen dem achten Mann zuzuspielen. Leider kann die Mannschaft aus Poole durch den Scrum den Ball erobern. Für mich sieht das trotzdem eher nach Wrestling als nach Rugby aus.

Ein paar Minuten später wird der Ball ins Aus gespielt und erneut denke ich mir: “Rugby ist schon ein eigenartiger Sport”: Statt den Ball einfach wieder ins Spiel einzuwerfen, bilden die Spieler beider Mannschaften eine Gasse, ein Lineout. Wird der Ball eingeworfen, springt jeweils ein Spieler in die Luft, gestützt von zwei Mitspielern. Ziel ist es natürlich den Ball zu fangen. Irgendwie ist das unnötig kompliziert, aber auch amüsant: Die Frau neben mir schreit ein langezogenes “Fly!”, als der Ball eingeworfen wird. Inzwischen hat es angefangen zu Regnen, meine Jeans ist schon ziemlich durchgeweicht und ich spüre meine Zehen nicht mehr. Ich tippele von einem Fuß auf den anderen, versuche mich irgendwie warm zu halten. Kurz vor Spielende kann die Mannschaft aus Poole doch noch 7 Punkte erzielen. Für einen Sieg reicht es trotzdem nicht. Nach 80 Minuten Spielzweit steht es 38:7 für Ringwood.
Die Six Nations
Nach dem Spiel treffen sich alle Spieler und Zuschauer im Clubhaus des Rugbyclubs. Auf einem großen Fernseher werden auch hier die Six Nations verfolgt. Die Six Nations sind ein jährlich stattfindendes Rugbyturnier zwischen den Rugby-Nationalmannschaften aus England, Schottland, Wales, Irland, Frankreich und Italien. An fünf Wochenenden wird im Jeder-Gegen-Jeden-Prinzip der Sieger ermittelt. Das Turnier findet seit 1883 statt. Zunächst spielten nur England, Schottland, Wales und Irland gegeneinander, bis 1910 Frankreich und schließlich im Jahr 2000 Italien beitrat. Der Sieger gilt als inoffizieller Europameister. An diesem Nachmittag spielt Schottland gegen Wales und mit einem kühlen Bier in der Hand wird Schottland angefeuert. Ich geselle mich dazu und verfolge das Spiel auf dem Bildschirm. Mein Fazit steht fest: Auch wenn Rugby zunächst schwierig zu verfolgen ist, ist es doch unheimlich unterhaltsam und ein spannender Sport. Nicht zuletzt weil es doch “very british” ist.
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