Selbstmitleid – Viele leiden darunter, doch nur wenigen ist es bewusst. Menschen mit frühkindlichen Trauma-Erfahrungen sind oft in diesem Schema gefangen. Gibt es einen Ausweg? Oder muss ich ewig Opfer meiner traumatischen Erlebnisse bleiben?
Menschen, die leidvolle Erfahrungen in der Kindheit gemacht haben und Opfer anderer Menschen oder der Umstände geworden sind, verharren oft in einer Art „Opferhaltung“. Ihr Leben ist ein fortwährendes Leiden und selten geprägt von wahren Glücksmomenten, die dann auch (un-)bewusst nicht genossen werden können. Glücksmomente werden klein geredet. Komplimente nicht angenommen. Der Mensch, der mir was Gutes tut, tut dies lediglich aus eigenem Interesse und mit Hintergedanken. Doch niemals wirklich bin ich gemeint. Alles Glaubenssätze, um die gegenwärtigen Situationen der erlebten leidvollen Vergangenheit anzupassen. Und anhand dieser verinnerlichten Glaubenssätze reinszeniert der Betroffene seine Vergangenheit und bleibt weiter im Leiden stecken. So ist keine Besserung der Zukunft möglich.
Bewusstwerdung und Annahme ist der erste Schritt zur Heilung
Dieser Opferhaltung, welche Betroffene angenommen haben, muss man sich erst einmal bewusstwerden und diese anerkennen. Erst dann kann eine Änderung erfolgen, im eigenen Verhalten und, im Zuge dessen, auch im Erleben der Umwelt und der persönlichen Entfaltung.
Wer meine Artikel kennt, der weiß, dass ich immer aus persönlicher Erfahrung berichte. Mir war lange Zeit nicht bewusst, dass ich diese Opfermentalität an den Tag gelegt habe und mich in dieser Rolle gesuhlt habe wie ein Schwein im Dreck. Mir war auch mein Leiden nicht bewusst und dass ich ein Leben voller Selbstmitleid führte. Bis zu dem Tag, an welchem meine Psychologin mir in der Therapie mehr als deutlich gezeigt hat, welche Last ich auf mir und meinen Schultern trage. Sie hat mir ein paar mit Blättern gefüllte, volle Ordner auf den Rücken gepackt. Simples Beispiel der Veranschaulichung. Und die Frage, wie ich mich fühle. Ich bin heulend zusammengebrochen.
Nach dieser Aktion wusste ich auch, woher meine leicht gekrümmte Haltung und meine ständigen Rückenschmerzen herrührten. Wer das gesamte erfahrene Leid auf sich nimmt und kontinuierlich mit sich herumträgt, kann nicht erwarten, dass eine wahre Entfaltung seines Selbst sattfinden kann.
Welche Glaubenssätze & Gedanken verbergen sich hinter der Opferhaltung?
Das Erkennen ist ein Aspekt, doch die Loslösung dieser Thematik ist Arbeit. Die kognitive Erfassung allein bringt keine Linderung des Leidens und auch keine Lösung. Eine Psychotherapie ist harte Arbeit an der eigenen Person und benötigt einen immer wiederkehrenden prüfenden Blick auf das eigene Verhalten, welches resultiert aus den Gedankengängen, den manifestierten Glaubenssätzen und den Gefühlen. Um also ein Verhalten dauerhaft zu ändern, ist es immens wichtig, die Frage nach dem „wozu?“ zu stellen. Wozu hat mir dieses oder jenes Verhalten gedient? Wozu war es nützlich?
Hinsichtlich der Opferthematik und dem Zustand des Verharrens in Selbstmitleid war mir die Frage „Was bringt es mir, ein Opfer zu sein?“ sehr dienlich. Also habe ich mich hingesetzt und aufgeschrieben, welche vermeintlichen Vorteile mir die Opferrolle bringt und weshalb ich daran festhalte. Erstaunlich, was da an Gedanken und vermeintlich (falschen) Annahmen zu Tage tritt. Falsche Annahmen deshalb, weil sie in der erlebten Situation nicht falsch, sondern überlebensnotwendig waren. Im Hier und Jetzt sind sie allerdings nicht mehr angemessen und förderlich.
Ein selbst auferlegter Teufelskreis aus Schmerz und Leid
Wie bereits oben erwähnt, erschafft man sich mit dieser Konstitution das Umfeld und malt sich ewig das gleiche Bild aus Leid und Schmerz, welches in der Kindheit bereits gezeichnet wurde. Es gleicht einem Teufelskreis, aus dem man sich nicht befreien kann. Und es stimmt. Wenn ich mir über diese Thematik nicht bewusstwerde und dem nicht versuche, bewusst gegenzusteuern, dann werde ich mich niemals aus diesem Teufelskreis befreien können. Die Aufgabe für Betroffene ist jetzt, sich dieser Thematik, die hinter dem Selbstmitleid liegt, zuzuwenden und diese aufzulösen. Es ist das dahinter liegende Trauma, welches gesehen werden möchte.
Erst dann kann man es loslassen. In vielen Fällen, so auch bei mir, ist es aber nicht ganz einfach, das Trauma überhaupt zu erfassen. Die Dissoziation, welche ich als Kind angewandt habe, um zu überleben, hat dafür gesorgt, dass ich die traumatischen Erfahrungen aus meinem Bewusstsein abgespalten habe. Mittlerweile weiß ich zwar um die Umstände, doch die Gefühle dazu sind immer noch in mir vergraben. Trauer kann ich empfinden, doch die dahinterliegende ursprüngliche Wut ist (noch) verborgen bzw. fehlgeleitet. Wohin? In Selbsthass.
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