Dieser Beitrag erscheint im Rahmen unserer Diskussionsreihe “Schlagabtausch”. Lies hier den anderen Schlagabtausch-Artikel zum Thema: “Schlagabtausch: Glaube, Liebe, Hoffnung – So gibt es kaum Hoffnung die Kirche!”, um Dir eine eigene Meinung aus den Argumenten zu bilden.
Ich habe Hoffnung für diese Kirche. Und ich glaube, dass diese Kirche eine Zukunft hat. Diese Sätze sind heute nicht mehr selbstverständlich. Die beiden großen Kirchen sind in Deutschland seit Jahren in der Kritik. Ich kann im Folgenden begründet nur über die Katholische Kirche sprechen, die ich kenne, die mir Heimat ist, die ich liebe.
Skandale folgen auf Skandale: 2010 wurde aufgedeckt, in welchem Ausmaß kirchliche Mitarbeiter Minderjährige sexuell und körperlich missbrauchten; die meisten Täter waren Priester. Spätestens mit dem Bau des Bischofshauses in Limburg gerieten auch die kirchlichen Finanzen in den Fokus: Verschwendung ist ein Vorwurf, die Abschaffung der Kirchensteuer eine laute Forderung.
Missbrauch muss aufgearbeitet werden
Der Missbrauchsskandal ist nicht nur ein Verbrechen an den vielen schutzlosen Kindern und Jugendlichen, sondern auch ein Verrat der Täter am Evangelium. Statt Licht und Leben haben sie Schatten und Verzweiflung über die ihnen anvertrauten Menschen gebracht. Sie, deren Hände segnen sollten, haben verletzt. Zu den vielen einzelnen Tätern trat ein System, das – wie wir heute wissen – diese Missbrauchsfälle gezielt vertuscht und alles getan hat, eine staatliche Verfolgung zu verhindern.
Diese Taten lassen an einer Zukunft für die Kirche zweifeln. Und doch glaube ich, dass die katholische Kirche in Deutschland sich an vielen Stellen bereits auf den richtigen Weg gemacht hat. Etliche Bistümer in Deutschland haben den Missbrauch systematisch und juristisch aufarbeiten lassen, um die Vergangenheit zu verstehen und die Zukunft zu gestalten. Auch wenn der Vergleich mit anderen Institutionen einerseits hinkt, andererseits das Verbrechen der Kirche nicht besser machen kann: Wie kaum eine andere Institution stellt sich die Kirche mit diesen Gutachten ihrer Geschichte. Dass viele Täter strafrechtlich nicht verfolgt werden, kann man – auch kirchlicherseits – bedauern.
Es liegt aber eben auch in den Händen des Staates, der für alle Straftaten, mit Ausnahme des Mordes, die Verjährung vorsieht. Ob sich kirchliche Würdenträger strafbar gemacht haben, wenn sie ihnen bekannte Missbrauchstaten nicht zur Anzeige gebracht haben, ist eine zunächst den Staatsanwaltschaften obliegende Frage. Im Raum mag die Strafvereitelung stehen (§ 258 des Strafgesetzbuches), die aber auch nur dann eine Straftat darstellt, wenn denn eine Pflicht zur Anzeige der Straftaten bestand. Anders formuliert: Eine weltliche Bestrafung vor einem staatlichen Gericht folgt den staatlichen Gesetzen. Auf diese hat aber auch die Kirche nur einen beschränkten Einfluss.
Schritte in Richtung Aufarbeitung
Hat die Kirche also genug getan, den Missbrauch aufzuklären? Mit Sicherheit nicht. Zu sagen, keinerlei Konsequenzen seien gezogen worden, ist, meines Erachtens, aber schlicht falsch: Die zahlreichen Gutachten und Präventionsstrategien, die Schulungen kirchlicher Mitarbeiter und Beauftragung von Ansprechpersonen, die Zahlungen in Anerkennung des Leides wie auch der „Synodale Weg“, der Antworten auf den Missbrauch geben soll, sind Schritte in die Richtung einer Aufarbeitung.
Reicht das schon? Nein. Noch immer wird an vielen Stellen das Leid der Missbrauchsopfer negiert. Die Kommunikation ist schlecht. Die Zahlungen in Anerkennung des Leids müssten höher sein. Aber es sind Schritte auf dem richtigen Weg, die Fehler zu erkennen.
Die Kirche und das Judentum
Ähnlich geht es mir mit dem Vorwurf, die katholische Kirche habe ihre Judenfeindlichkeit noch nicht aufgearbeitet. Mir bietet sich ein anderes Bild. Unbestritten hat die katholische Kirche über beinahe zwei Jahrtausende hinweg Ausschreitungen gegenüber Juden wenigstens untätig geduldet, oft initiiert. Einen ersten Schritt zur öffentlichen Aufarbeitung machte Papst Johannes XXIII., der die Synagoge in Rom besuchte. Das Konzilsdokument „Nostra Aetate“ beschäftigte sich auf dem Zweiten Vatikanischen Konzil (1962-1965) auch mit der Haltung der Kirche zum Judentum und reformierte die Beziehung – wie es in der Folge auch durch die Überarbeitung liturgischer Texte zum Ausdruck kam.
Papst Johannes Paul II. sprach im Jahr 2000 mehrere Vergebungsbitten; eine adressierte sich direkt an das jüdische Volk. Die Auseinandersetzung mit der Rolle der Kirche im Holocaust – vor allem der Rolle von Papst Pius XII. – ist seit Jahren in der öffentlichen und kirchlichen Debatte gegenwärtig. Katholische Theologie reflektiert immer mehr die jüdischen Wurzeln des christlichen Glaubens, sucht den Dialog mit dem Judentum.
Dass sich judenfeindliche Darstellungen noch immer an und in Kirchen finden – prominent ist etwa die Darstellung einer „Judensau“ in Wittenberg – hat ebenfalls Gründe. So verabscheuungswürdig diese Darstellungen sind, wird es der europäischen Geschichte eben nicht gerecht, diese Denkmäler einer gottlosen Ausgrenzung zu entfernen: Wo diese Darstellungen noch zu sehen sind, werden sie – meines Wissens nach – eingeordnet und erklärt. Sie sind nun Mahnmal einer sündhaften Vergangenheit, nicht Ausdruck einer Überzeugung.
Quellen des Glaubens
Neben diesen aktuellen Fragen stellt sich in den vergangenen Jahrzehnten innerhalb des kirchlichen Lebens und der Theologie eine Grundsatzfrage, wie ich meine. Der augenblickliche „Synodale Weg“ in Deutschland zeigt es doch recht anschaulich: Es ist die Frage nach den Quellen des Katholischen Glaubens und ihrer Verbindlichkeit in der heutigen Zeit. Ich will das am Beispiel des Zölibats verdeutlichen.
Der Zölibat der Priester (https://www.firstlife.de/warum-will-jemand-heute-noch-priester-werden/) – also die ehelose Lebensform – ist historisch gewachsen. Es gab Zeiten, in denen Priester auch in der katholischen Kirche verheiratet waren. Gleichzeitig findet sich die ehelose Lebensform im Evangelium als die Lebensform Jesu und seiner Jünger. Seit frühester Zeit kennt die Kirche ein eheloses Leben um des Himmelsreiches willen. Das bedeutet: Den Zölibat nur als geschichtliches Phänomen, nur als einen Brauch der Katholischen Kirche zu verstehen, erschöpft nicht all seine Dimensionen. Nun wird oft mit praktischen Erwägungen argumentiert: Priester könnten neben dem anspruchsvollen Beruf kein Familienleben führen.
Ich halte das für falsch. Auch Ärzte haben einen anspruchsvollen Beruf und können eine Familie haben. Nichts Anderes gilt für Hebammen oder Juristinnen, für Feuerwehrleute oder Soldaten. Umgekehrt wird oft gesagt, Priester ohne Familie könnten Familien nicht verstehen. Auch das überzeugt mich nicht. In vielen Bereichen unseres Lebens erkennen wir an, dass jemand Hilfe leisten kann, der nicht jede „Notsituation“ selbst durchlebt haben muss, sondern durch seine Ausbildung einen nüchternen Blick auf die Dinge haben kann: Ein Strafverteidiger muss nicht selbst im Gefängnis sitzen, eine Kardiologin keine Herzprobleme haben, eine Psychotherapeutin nicht psychisch krank sein.
Blick auf die Offenbarung Gottes
Im Letzten aber geht es für mich um eine andere Argumentationsstruktur: Haben wir aus der Heiligen Schrift und der Tradition der Kirche – das sind die beiden Weisen, wie die Offenbarung Gottes sich mitteilt – etwas erhalten, das für den Zölibat spricht? Die Entscheidung für oder gegen den Zölibat ist keine, die sich an der Praktikabilität oder dem Verständnis für Familien zeigen müsste. Es ist in erster Linie eine Frage, deren Antwort sich mit dem Blick auf die Offenbarung Gottes stellt – und von daher auch gelöst werden muss.
Das zeigt auch bei der Frage nach Beziehungen Folgen. Die Kirche hat eine sehr klare Vorstellung von Sexualität – und zu der gehört es grundsätzlich einmal, dass sich zwei Menschen lieben und sich Mann und Frau in der Ehe lebenslange Treue versprechen. Wenn man das so von der Heiligen Schrift her versteht, ist eben nicht egal, „wie viele und wie oft“ man liebt. Auch hier stellt sich also eine entscheidende Frage: Wie ist die Heilige Schrift und wie ist die Tradition der Kirche zu verstehen? Dabei kann die Kirche sicherlich dazulernen. Eine Argumentation von dem, was ist, auf das, was sein soll, ist für mich aber schwierig.
Auch hier gilt: Kirche ist nicht sich selbst oder der Gesellschaft verpflichtet. Sie ist dem Evangelium verpflichtet. An erster Stelle steht also die Frage, was Jesus uns sagt – in der Heiligen Schrift und in der Tradition der Kirche. Ich sehe auch in der Frage sehr viel Bewegung in den letzten Jahren und Jahrzehnten. Immer mehr berücksichtigt die Kirche, was sie von den verschiedenen Humanwissenschaften lernen kann. Immer mehr hört die Kirche auf verschiedene kritische Stimmen, gerade aus den eigenen Reihen – einmal mehr sei der „Synodale Weg“ ein Beispiel.
Die “Zeichen der Zeit”
Ja, die Kirche kennt die „Zeichen der Zeit“ als einen „locus theologicus“, als einen Erkenntnisort von Theologie und Glaube. Darin drückt sich die Überzeugung aus, auch in dieser Welt, in unserer Gegenwart, in unserer Nachbarschaft könnten sich Zeichen Gottes finden, die uns auf seinen Willen aufmerksam machen. Aber die „Zeichen der Zeit“ sind nicht der einzige Erkenntnisort der Theologie. Das führt natürlich zu Problemen: In einer Welt, die zurecht immer mehr für die Gleichberechtigung der Frauen eintritt, mutet es doch seltsam an, Frauen nicht zu Priesterinnen zu weihen. Die Haltung der Kirche wird dabei auch nicht nur damit begründet, es „sei schon immer so gewesen“.
Vielmehr resultiert diese Überzeugung auch aus der Heiligen Schrift und dem Kreis der Apostel, zu dem – ganz im Gegensatz zum größeren Kreis der „Jüngerinnen und Jünger“ – nur Männer gehörten. Auch in der Frage gibt es die verschiedensten Ansätze in der Theologie. Nicht wenige machen nachdenklich darüber, ob es sich wirklich nur damit begründen lässt, Frauen nicht zur Weihe zuzulassen. Aber es geht in der kirchlichen Debatte, die durchaus geführt wird – der „Synodale Weg“ ist ja nur ein Beispiel dafür – eben nicht einfach nur um ein bestimmtes Geschichtsbild.
Es geht um die Heilige Schrift und die Frage, wie sie in unserer Zeit und Kultur gelebt werden kann. So wichtig die „Zeichen der Zeit“ sind, so meinen sie eben nicht einfach eine Anpassung an diese Welt. Kirche will und muss auch eine kritische Antwort auf die Haltungen und den Geist unserer Zeit geben. Das erfordert sicherlich eine gewisse Balance, die nicht immer einfach ist. In vielen Aspekten befindet sich die Kirche auch auf einem Weg.
Sinnvolle Kirchensteuer?
Gespalten bin ich bei der Frage nach der Kirchensteuer. Auch ich sehe, dass sie teilweise falsche Anreize schaffen kann und an einigen Stellen dazu führt, dass scheinbar zu viel Geld vorhanden ist, mit dem nicht immer wirtschaftlich umgegangen wird. Auf der anderen Seite halte ich diese Verteilung des Geldes auch für eine gerechte Sache. Wo Menschen entscheiden können, welche Stellen ihre Spenden bekommen sollen, werden Ungleichgewichte geschaffen. Einzelne mit viel Geld können Einrichtungen oder Gemeinden nach ihrem Gusto übermäßig finanzieren.
Andere, wichtige Einrichtungen bleiben vielleicht auf der Strecke, weil sie zumindest auf den ersten Blick nicht ebenso wichtig oder attraktiv erscheinen. Was, wenn den Jugendverbänden nur noch Jugendliche Geld geben würden? Wir kennen die Debatten ja auch aus dem staatlichen Bereich: Niemand würde seine Steuern freiwillig für das Finanzamt verwenden wollen oder ein Kreisverwaltungsreferat. Bei einem nüchternen Blick wird uns aber doch klar, dass auch diese Einrichtungen Geld brauchen und damit der Allgemeinheit dienen. Nicht zu vergessen, welche enormen Ausgaben die Kirche für Gegenwartskultur leisten kann und tatsächlich leistet – für Musik, bildende Kunst, Wissenschaft und Bildung.
Kirche hat eine Zukunft
Für mich hat diese Kirche eine Zukunft. Und die hat in erster Linie nicht so viel zu tun mit den Kirchensteuern. Kirche hat einen einzigen Zweck: Jesus Christus zu verkündigen. Sie ist die Gemeinschaft derer, die an Jesus glauben und zu ihm gehören wollen. Das bedeutet zunächst einmal, dass in dieser Gemeinschaft jeder einen Platz hat. Kirche steht jedem offen. Das bedeutet aber auch, dass das Handeln der Kirche an Jesus Christus ausgerichtet werden muss. Und natürlich – was das dann genau und im Detail bedeutet, wird unterschiedlich gesehen. Nicht zuletzt die Spaltung der Kirche in viele Konfessionen legt davon Zeugnis ab. Und trotzdem ist diese Basis die gemeinsame Grundlage aller, die glauben. Auf dieser Grundlage macht die Rede von „Brüdern und Schwestern“ einen Sinn.
Auf dieser Grundlage können auch verschiedene Argumente ausgetauscht und ausgehalten werden. In diesem Diskurs muss man sich aber auch auf das Gemeinsame verständigen können. Und dazu gehört für die Kirche seit jeher das Glaubensbekenntnis. Ein erstes gemeinsames Merkmal aller Getauften sollte es doch sein, das Glaubensbekenntnis gemeinsam sprechen zu können: In diesem uralten kirchlichen Text bekennen sich Christen zu ihrem Glauben an „Gott“, der nicht als unpersonale Geisteskraft geglaubt wird, sondern als „Person“, als lebendiges Gegenüber. Zu diesem Credo gehört aber auch das Bekenntnis zur Kirche. Die Heilige Schrift legt von der ersten bis zur letzten Seite Zeugnis davon ab, dass Glaube nicht alleine, sondern in Gemeinschaft funktioniert. Und ja: Deswegen brauche ich Kirche.
Kirche braucht Veränderung
Für mich hat diese Kirche so lange Zukunft, wie das Evangelium eine Zukunft hat. Die Rede von der „Amtskirche“ hat mich deshalb immer schon gestört: Die Kirche besteht doch nicht nur aus irgendwelchen Amtsträgern. Sie besteht aus jedem einzelnen Katholiken, jeder einzelnen Katholikin. All diese Katholiken müssen für eine Veränderung der Kirche einstehen.
Wir verstehen darunter in letzter Zeit immer nur kirchenpolitische Fragestellungen. Aber das Evangelium verlangt doch Heiligkeit von uns: Und Heiligkeit ist immer Veränderung. Sie meint, sich jeden Tag ein klein wenig zu verändern, ein kleines bisschen mehr zu werden wie Jesus Christus. Diese Veränderung braucht Kirche dringend! Sie beginnt im Kleinen – bei jedem Einzelnen, in den Familien und in den Gemeinden.
Ohne Gottesdienst gibt es Kirche nicht
Seit langem definiert die Kirche vier „Grundvollzüge“: Sie definiert damit vier Handlungsaufträge, die sie hat. Vier Bereiche, in denen sie sich ausdrückt: Diakonie, Zeugnis, Gottesdienst und Gemeinschaft. Nur, wenn diese vier Elemente Hand in Hand gehen, verwirklicht Kirche ihren Auftrag. Eine Gemeinschaft, die sich nur noch in die Vergangenheit sehnt und blind wird für die Nöte der Menschen ihrer Zeit, droht, einen musealen Glauben zu feiern, der kein fruchtbares Zeugnis mehr ablegt und keinen Dienst der Diakonie mehr tut.
Aber umgekehrt kann eine Gemeinde ohne Gottesdienst den kirchlichen Grundauftrag nicht mehr erfüllen. Kirche ist also mehr als Gottesdienst – aber ohne Gottesdienst gibt es Kirche nicht. Und Kirche ist auch mehr als Diakonie, mehr als soziales Engagement – aber auch ohne diesen Einsatz gibt es Kirche nicht. Zu all dem tritt auch das Zeugnis von Gott und seiner Botschaft, das wir in dieser Zeit bitter nötig haben – etwa wenn es darum geht, für das Lebensrecht aller geliebten Geschöpfe Gottes einzutreten, ganz besonders der Ungeborenen.
Ich hoffe auf eine solche Kirche, die sich in all diesen Bereichen einsetzt, ausdrückt. Eine Kirche, die sich gemeinsam um Jesus Christus in der Heiligen Messe versammelt – und von diesem Ort aus die Welt im Sinne des Evangeliums gestaltet und verwandelt. Dieses Bild von Kirche ist ein Ideal; und gleichzeitig kenne ich viele Orte und Gemeinden, die sich lebendig darum bemühen, es zu erreichen. Das ist Kirche. Und auf diese Kirche kann man zählen. Diese Kirche hat Zukunft.
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